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Wo ist die Liebe hin?, Teil 5

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Zu Hause war ich fix und fertig. Der auf sechs Tage komprimierte Prüfungsstress hatte mich richtig fertig gemacht, dazu kam noch der familiäre Terror, und nun hatte sich auch noch herausgestellt, dass Freddy tatsächlich in Aurélie verliebt war, was ohne Zweifel noch einen Haufen Probleme nach sich zog.

Als ich im Flur stand und die Schuhe abstreifte, hörte ich aus Leas Zimmer laute Musik. Sie hörte gerade die Beatsteaks.

I got a whole bag of trouble to be taken away…

„Die haben ja so Recht“, murmelte ich.

„Mit wem redest du gerade?“, fragte mich Paul, der mit seinem Lieblingsball durch den Flur tollte. „Paul, du sollst nicht mit deinem Ball auf dem Flur spielen, das weißt du ganz genau!“, rief meine Mutter gereizt aus der Küche. Nanu, war sie schon aus der Praxis zurück?

„Ich hab mit niemandem geredet“, behauptete ich und ging Richtung mein Zimmer. Unterwegs ging ich an Leas Zimmer vorbei. Die Musik war unverändert laut, doch jetzt stratzte meine Oma vorbei und versuchte, gegen den Lärm anzukommen: „Mach deine Kapelle leiser, du bist hier nicht alleine!“

Na toll. Die Atmosphäre hatte sich nicht entspannt, seit ich mich mit Anna zur Bushaltestelle aufgemacht hatte. Ich setzte meinen MP3-Player auf und drehte ihn auf volle Lautstärke, um mich abzuschotten.

Es ist ja häufig so, dass die Zufallsreihenfolge des MP3-Players einen zu ärgern scheint. Jedenfalls war das Lied, mit dem der Player startete, ausgerechnet „Wie es geht“ von den Ärzten. Bitte geh noch nicht, bleib noch ein bisschen hier, ich muss dir noch was sagen, nur die Worte fehlen mir… Ich schaltete weiter.

Doch es war wie verhext: Ich bekam nur noch Lieder, die haargenau auf meine Umwelt passten. Als es schließlich hieß: Junge, warum hast du nichts gelernt?, riss mein Geduldsfaden. Natürlich hätte ich auch einfach ein Lied auswählen können, aber dazu hatte ich schon gar keine Lust mehr.

Stattdessen pflanzte ich mich vor den Fernseher. Ich blieb auf Kanal sieben hängen, wo gerade über eine Sechzehnjährige berichtet wurde, dessen kleinkrimineller Freund ihr gerade einen Heiratsantrag gemacht hatte. Im Wechsel mit dieser Tussi wurde über eine Fünfzehnjährige berichtet, die unbedingt Go-go-Girl werden wollte in einem Club, in den sie noch nicht hereindurfte, und die sich deswegen mit ihrer Mutter zoffte.

Plötzlich tauchte meine Mutter in der Sendung auf und fauchte die Oma der Sechzehnjährigen, die meiner Oma verdammt ähnlich sah, an, dass sie an allem schuld sei, weil die Sechzehnjährige dadurch, dass die Oma so ein Ekel war, erst dazu getrieben wurde. Die Oma wehrte sich und hielt dagegen, dass die Mutter ihre Pflichten vernachlässigt hätte.

Ich wachte auf. Was zum…? Was war denn jetzt los?

Ich starrte konsterniert auf den Fernseher. Nichts mehr von außer Kontrolle geratenen Teenagern namens Mandy, Robin und Alina. Dafür verkündete nun eine Blondine die neuesten Nachrichten. Doch die streitenden Stimmen waren immer noch zu hören.

Na super. Meine Mutter und meine Oma zofften sich schon wieder. Kriegten die sich denn nie ein?

Ich versuchte, mich diesmal unbeeindruckt zu geben, und kochte, während der Streit in der Küche weiterging, das Abendessen. Mama hatte es bereits begonnen, aber anstatt es zu Ende zu führen, stritt sie sich lieber mit Oma.

Während des Essens hatten sie sich, Gott sei Dank, beruhigt.

Aber Mama hatte einige Beschwerden loszuwerden.

„Lea, bitte dreh deine Musik nicht immer so laut. Du bist nicht alleine in diesem Haus.“

„Ist ja schon gut. Wieso bist du heute eigentlich früher aus der Praxis zurückgekommen?“

„Darf ich das nicht? Ich dachte, ich mach euch eine Freude damit, wenn ich mal früher komme und mich ein wenig um den Haushalt kümmere.“

„Hat ja super geklappt“, brummte Oma.

„Elisabeth!“, hieß es von Papa und Mama gleichzeitig.

Nun probierte Paul zum ersten Mal von dem Essen, das zu einem großen Teil ich zubereitet hatte. Natürlich schmeckte es ihm nicht.

„Ich hätte mich auch nicht an den Herd wagen müssen, wenn Mama es vorgezogen hätte, das Essen zu machen, anstatt sich mal wieder mit Oma zu streiten“, rief ich.

„Sara! Bitte nicht in diesem Ton!“, wurde ich von meinem Vater zurechtgewiesen. Doch auch ohne seine Äußerung merkte ich schnell, dass ich da etwas gesagt hatte, was ich besser nicht gesagt hätte.

„Man kann es euch einfach nicht recht machen“, regte sich Mama auf und schmiss ihr Besteck auf den Teller. „Da will ich mal extra früher nach Hause kommen, um euch ein schönes Essen zu kochen, und dann ist es euch auch wieder nicht recht. Was wollt ihr eigentlich?“

„Dass du aufhörst, dich mit Oma zu streiten. Das geht uns nämlich mittlerweile allen auf die Nerven“, sprach Lea aus, was auch ich dachte.

„Du sei mal ganz ruhig“, keifte Oma. „Du kümmerst dich doch hier um nichts. Obwohl du nie in der Uni bist, sondern immer zu Hause herumhängst.“

„Das stimmt nicht“, machte Lea ihrem Ärger lautstark Luft. „Ich mache alles, was mir aufgetragen wird. Sogar Paul musste ich heute von der Schule abholen, weil du es mal wieder vergessen hast. Der Kleine sah ja ganz verzweifelt aus.“

„Wie bitte?“, rief Mama schockiert und gleichzeitig hieß es von Oma: „So wird es also respektiert, was ich hier mache. In Wahrheit halte ich doch den ganzen Laden zusammen!“

„So ein Blödsinn!“, fauchte Lea.

„RUHE!“, brüllte Mama plötzlich. In Großbuchstaben. Egal, was wir vorher gemacht hatten, jetzt waren alle still. Und erschrocken bis ins Mark.

„Es funktioniert so nicht. So funktioniert es einfach nicht! Und wisst ihr was? Ich pfeif drauf!“

Mama stürmte in den Flur, zog sich Schuhe und Mantel an. „Ich gehe zu Gitte.“ Das war ihre Praxiskollegin.

„Monika!“ Auf einmal machte Papa den Mund auf. „Monika, bleib doch…“

„Nein. Nein, Martin, das kann ich nicht. Ich habe keine Lust, mich weiter mit deiner Mutter zu streiten, wer hier was falsch macht. Wenn ihr euch beruhigt habt, bin ich wieder zurück. Tschüss.“

Und weg war sie.

Einige Sekunden lang wusste keiner von uns etwas zu sagen. Dann rief Lea: „Ganz toll. Das habt ihr ja mal wieder ganz toll hingekriegt. Ich glaube, ich ziehe lieber aus, bevor ich euch noch weiter ertragen muss.“ Sprach’s und verzog sich in ihr Zimmer.

„Das versuch mal“, antwortete Papa noch, aber das hörte sie schon nicht mehr.

 

Auch ich hatte von allem genug. Und wie immer, wenn mir zu Hause die Decke auf den Kopf fiel bzw. auf den Kopf geschmissen wurde, machte ich einen Spaziergang. Ich wollte meinen Kopf freimachen, aber es ging nicht gut. Da hatten meine Freunde und meine Familie ganze Arbeit geleistet.

Ich lief ziellos durch die Stadt. Auf meinem Streifzug kam ich an einem Haus mit einem Schild vorbei. Neugierig las ich das Schild.

Wohnung zu vermieten und eine Telefonnummer las ich darauf. Ich begutachtete das Haus. Es sah gar nicht mal schlecht aus.

Hier konnte Lea ja einziehen.

Ich ging schnell weiter.

Irgendwann landete ich am Hauptbahnhof. Wie, so weit war ich gelaufen? Jetzt merkte ich erst, wie weh meine Füße taten.

Da erblickte ich eine Filiale der Kette mit dem geschwungenen M. Warum eigentlich nicht, dachte ich und ging herein. Ich bekam sogar noch einen Sitzplatz.

Missmutig stocherte ich im Gartensalat herum, eine der wenigen vegetarischen Sachen, die man hier kriegen konnte. Wie konnte man die Probleme zu Hause nur lösen? Ständig lagen sie sich in den Haaren. Immer ging es um dasselbe. Kein Ende in Sicht.

Mir fiel ein Aushang ins Auge. Aushilfe auf 400-Euro-Basis gesucht.

Wie oft hatte ich zu hören bekommen, dass ich mir einen Job suchen sollte, um meinen Eltern nicht auf der Tasche zu liegen, wenn ich studierte?

Es war ziemlich laut hier, aber ich bekam trotzdem mit, wie sich drei Typen hinter mir über ihre Band unterhielten.

„Meine Güte, wenn wir nicht bald eine Location finden, sind wir aufgeschmissen“, meinte einer.

„Ja, genau. Blöd, dass um die Zeit immer tote Hose ist.“

„Wenn wir doch nur eine Auftrittsmöglichkeit hätten. Ich muss irgendwann mal meine Miete für diesen Monat bezahlen. Ich würde ja fast überall spielen…“

Und da hatte ich zwei super Ideen. Mit einem Mal ging mir ein Licht auf, das so grell war, dass es schon fast schmerzte.

Ich drehte mich zu den Typen hinter mir um und quatschte ein bisschen mit ihnen. Dann lief ich zurück zur Straße, wo eine Wohnung zu vermieten war, und speicherte die Telefonnummer in mein Handy.

Über kitschautorin

Ich bin Früh-ins-Bett-Geherin. Im Internet zu Hause. Ehemalige Blutspendenanmeldungshilfe. Gelernte Übersetzerin für Englisch und Französisch. Gegen Atomkraft und sinnlose Verbote. Mitglied der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. Politisch interessiert. Mutter. Schulbegleiterin. Pädagogin (B.A.). Auf Flickr zu finden: https://www.flickr.com/photos/100511533@N08/ Auf erklaerversucherin.wordpress.com ebenfalls zu finden. Ich blogge über alles, was mich bewegt. Und Kunst - aber nur die gibt es hier. Alles andere auf dem Hauptblog. Ich mag Bücher. Nudeln. „Hör mal, wer da hämmert“. Depeche Mode. Zitate. Meine Arbeit in der Schule. SpongeBob. Garfield. „Switch“. „Ein Herz und eine Seele“. "The Crown". Britischen Humor. Ich hasse Fremdenfeindlichkeit. Misogynie. Homo- und Frankophobie. Die meisten Sorten von Kohl (auch den aus der CDU, haha). Den Großteil des Fernsehprogramms. Armut. Arroganz. Springer. Leute, die anderen Leuten keine eigene Meinung gönnen. Das Wort „Gutmensch“. Fußball. Viele Politiker. Ich habe hier noch mehr über mich geschrieben: https://kitschautorin.wordpress.com/2011/04/16/alles-glanzt-so-schon-neu/ https://kitschautorin.wordpress.com/2012/01/17/11-fragen/ https://kitschautorin.wordpress.com/2012/07/22/immer-wieder-sonntags/ https://kitschautorin.wordpress.com/2012/03/07/mal-wieder-was-uber-mich/ https://kitschautorin.wordpress.com/2013/05/04/was-ich-unbedingt-noch-machen-will/ https://kitschautorin.wordpress.com/2014/04/11/fragebogen-zu-film-und-kino/ https://kitschautorin.wordpress.com/2014/04/15/nochn-fragebogen/

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