Nach einem äußerst stressigen Tag an der Uni war ich endlich unterwegs nach Hause. Bis jetzt war der Tag wirklich nicht das Gelbe vom Ei gewesen. Mittlerweile hatte ein Seminar zum Thema „Politik nach Aristoteles“ begonnen. Und nein, es reichte nicht aus, dass das Seminar an sich total langweilig war, ich musste auch noch in einer Gruppe mit total langweiligen Menschen landen, die anscheinend annahmen, dass jeder Mensch auf der Welt staubtrockene politische Theorie liebte und total entrüstet taten, wenn einer diese Leidenschaft nicht teilte – in dem Fall ich. Ein blondes langhaariges Mädchen, dessen Namen ich immer vergaß, ging mich irgendwann total an, ihr ginge mein Desinteresse auf die Nerven und warum ich mich überhaupt für diesen Studiengang eingeschrieben hätte.
„Um Bafög zu kassieren“, antwortete ich ganz cool.
Mit dem Blick, den ich daraufhin kassierte, hätte man Elefanten töten können oder so etwas. Nach genau fünfzehn abgezählten Sekunden verzog ich mich kommentarlos in die Bibliothek, weil ich hoffte, dort meine Ruhe zu haben. Vergebens.
Ich hätte schon um ein Uhr zu Hause sein können. Aber nein, ich war erst auf dem Weg nach Hause, als es draußen bereits dunkel war und die Lichterketten an den Geschäften angingen. Es war Ende November. Wieso mussten die die Weihnachtsketten so früh aufhängen?
Unterwegs begegneten mir so einige ebenfalls verfrühte Schnapsnasen, die mich angrölten (wahrscheinlich waren es eher Glühweinnasen). Nervlich war ich so aufgekratzt, dass ich fürchterlich erschrak, als die Kirchenglocken an der Kirche neben der Haltestelle läuteten. Das war mir eigentlich schon seit Wochen nicht mehr passiert.
Ich war also total schlecht gelaunt und wollte eigentlich nur noch in mein Einzelzimmer mit der Miniküche zurückkehren, um mich dort mit einer Tasse heißem Kakao zu wärmen.
Doch völlig unerwartet saß Aurélie auf dem Zaun vorm Haupteingang. War es nicht total unbequem, dort zu sitzen?
„Was ist denn los? Ist es dir nicht zu kalt auf der Mauer da?“, fragte ich Aurélie und hielt ihr meine rechte Hand hin. Sie nahm die Hand und zog sich daran herunter.
„Nicht so kalt, wie mein Leben zu mir ist.“
„Wie meinst du denn das?“ Aurélie hatte manchmal eine Tendenz zu theatralischer Ausdrucksweise, aber diese Wendung war mir neu.
Wir gingen in meine Bude, wo ich uns erst mal eine Kanne Kakao kochte, um uns aufzuwärmen.
Dann setzten wir uns auf mein Bett und ich forderte sie auf: „Los, erzähl mir, was passiert ist.“
Aurélie holte tief Luft, dann polterte sie los: „Ich weiß einfach nicht mehr, was ich mit Freddy machen soll! Er hockt ständig nur vorm Computer und kümmert sich gar nicht mehr um mich. Und am Wochenende machen wir nur das, was er will. Ich komme gar nicht zum Zug! Und seine Freunde – schrecklich sind die! Du kennst sie ja.“
In der Tat hatte ich mit ihnen auch so meine Bekanntschaft gemacht und toll waren die wirklich nicht, das stimmte.
„Die machen die ganze Zeit blöde Witze und sie mögen mich nicht, außerdem besaufen die sich die ganze Zeit! Ich bin nicht der Mensch für so etwas und wenn ich Freddy darauf anspreche, blockt er ab! Ich traue mich schon gar nicht mehr, was zu sagen.“
Hallo, Probleme. So, wie sich das anhörte, musste sich früher oder später jede Frau, die einen Kerl an ihrer Seite hatte, mit solchen Dingen herumschlagen. Dachte ich. Auf eigene Erfahrungen konnte ich leider nicht zurückgreifen. Oder sollte ich „Gott sei Dank!“ sagen?
„Ähm, wie kommst du denn auf die Idee, dass die dich nicht mögen?“, erkundigte ich mich erst einmal, um mich zu sammeln.
„Ach, die wollen mich nie dabeihaben, wenn Freddy sich mit ihnen trifft, und haben gesagt, ich würde mich ja nur um mich selbst kümmern und wäre total egoistisch. Und wenn ich doch mal dabeisein darf, ignorieren sie alles, was ich sage.“
Nun ja, das waren deutliche Anzeichen. Aber wie kamen die denn darauf, dass Aurélie egoistisch war? Das stimmte doch überhaupt nicht.
„Hast du überhaupt schon mal mehr als einen Satz mit ihnen geredet?“
„Nein.“
Oh Mann, das hörte sich in der Tat schlimm an.
„Und Freddy sagt dazu nichts?“
„Nur, dass ich das alles nicht so ernst nehmen soll. Ich finde allerdings auch, dass er sich viel zu häufig mit seinen Freunden trifft.“
„Wieso das?“
„Fast jedes Wochenende sind die auf Tour. Wenn ich da mal was mit ihm alleine machen will – keine Chance. Ich weiß schon gar nicht mehr, wann wir das letzte Mal zusammen aus waren. Neulich wollten wir diesen französischen Film zusammen ansehen, du weißt schon, den mit Audrey Tautou.“
Ja, der war mir bekannt.
„Im letzten Augenblick hieß es, er wäre auf Dennys Geburtstag eingeladen und da müsse er unbedingt hin.“
„Das ist ja echt… blöd. Aber du musst mit Freddy mal ernsthaft darüber reden, wenn du dich vernachlässigt fühlst und so. Sonst bleibt das auf ewig so.“
Aurélie nahm einen Schluck aus ihrer Kakaotasse und rief sogleich: „Au, der ist ja heiß!“ Sie fächelte sich mit der Hand Luft zu, warum auch immer. „Das möchte ich ja. Aber wie? Ich habe Angst, dass wir uns dann streiten oder dass er mir böse ist oder sonst etwas.“
„Das Risiko besteht leider immer. Aber glaub mir, wenn du mit ihm darüber redest, dann wird es schon besser. Irgendwie.“
„Wenn du meinst…“