Die ganze Nacht hatte ich es bei mir und schaute es mir an. Es sah wirklich so aus wie meines. Nur die Farbe war leicht anders… oder etwa doch nicht? Immer wieder betrachtete ich es. Ein paar Mal roch ich sogar dran. Männerschweiß, Zigarettenrauch, Shampoo, Duschgel. Was für ein… angenehmer Geruch. Am nächsten Morgen, nachdem mein Wecker klingelte, griff ich sofort zum Handy und rief Kati an. Kurz bevor sich die Mailbox melden konnte, ging sie endlich ran.
„Hallo?“, murmelte sie verschlafen.
„Hallo, Kati, ich brauche unbedingt Lukas‘ Adresse!“
Kati stöhnte. „Was ist denn so wichtig daran, dass du mich wachklingelst?“ Ein ausgedehntes Gähnen war zu hören.
„Es ist wichtig!“, betonte ich. „Er hat gestern Abend beim Konzert sein Palästinensertuch vergessen und das muss ich ihm unbedingt zurückbringen!“
„Beim Konzert, hm?“ Auf einmal klang Kati ziemlich wach. „Habt ihr euch gedatet oder was?“
„Nein, ich bin mit Anna und Aurélie im Erdbeergrün gewesen und da hat er gespielt.“
„Ach so.“ Sie gähnte wieder. „Er wohnt in der Rostocker Straße 35. Aber überfall ihn nicht so wie mich. Gute Nacht.“ Und zack, hatte sie aufgelegt.
Hm. Rostocker Straße 35? Wo lag das?
Kati hatte mir als Tipp gegeben, ihn nicht zu überfallen. Deswegen ging ich erst nach der Uni zu ihm. Trotzdem öffnete mir an der Tür mit dem „Achtung, Gefahr!“-Schild ein verschlafener Typ in Unterhose. Hatte der nicht gestern mit Lukas auf der Bühne gestanden?
„Guten Morgen, schöne Frau, was führt dich zu uns?“
„Ähm…“ Ich sah auf die Uhr. „Ist Lukas da? Ich möchte ihm das hier zurückbringen.“ Ich hielt das Tuch hoch.
„Sekunde, ich hol ihn.“ Der Mensch ging Richtung offene Badezimmertür und brüllte: „Lukas!!! Damenbesuch für dich.“ Eine halbe Ewigkeit später erschien der Angesprochene, nicht mehr bekleidet als der, der mir die Tür aufgemacht hatte.
„Hallo, ähm… was gibt’s?“
„Hi, ähm… ich wollte dir das hier zurückbringen, das hast du gestern beim Konzert vergessen.“
Sein Gesicht hellte sich auf. „Mensch, das hab ich schon überall gesucht! Dankeschön!“ Er strahlte mich an. „Willst du kurz reinkommen?“
„Klar.“
Er schloss die Tür und bedeutete mir, in die Küche zu gehen. Danach verschwand Lukas kurz in seinem Zimmer. Als er wiederkam, war er komplett angezogen. Auch das Tuch hatte er sich wieder umgewickelt.
„Willst du ‘nen Kaffee?“
„Gerne.“
Er setzte ihn auf und ich schaute ihm stumm zu. Irgendwann setzte er sich hin und stellte mir eine Tasse hin. Ich sah sie mir an. Geek stand da drauf. Was auch immer das sein sollte.
„So ein Palästinensertuch haben nicht viele Männer, oder?“, begann ich das Gespräch.
„Ja, da bin ich wahrscheinlich eine echte Ausnahme.“ Er zog seine Augenbraue hoch. Ich musste lachen.
„So was tragen normalerweise nur Frauen. Da war ich ganz schön überrascht.“
„Du hast auch so eins, oder?“
„Woher weißt du das?“
„Übersinnliche Kräfte.“ Er trank seinen Kaffee. „Na ja, du läufst ganz schön häufig damit herum. Sieht ja sogar so aus wie meins.“
„Stimmt, das ist mir auch schon aufgefallen.“ Jemand lief an der Küche vorbei. „Du wohnst in einer WG?“
„Ja, das stimmt. Der Typ, der dir gerade aufgemacht, war mein Bassist.“
„Ach, deswegen kam er mir so bekannt vor.“
„Wohnst du auch in einer WG?“
„Nein, ich bin in einem Studentenwohnheim.“
„Naja, davon hört man nicht so tolle Geschichten.“ Lukas goss sich Kaffee nach.
„Das stimmt“, antwortete ich. „Ich bin froh, dass ich eine Küchenzeile für mich alleine habe. Ich habe gehört, dass in den Gemeinschaftsküchen immer die Sachen rumstehen, sodass man denken könnte, die Biostudenten haben ihre Experimente nach Hause mitgenommen.“
Jetzt lachte er. Er hatte ein wirklich schönes Lachen, das musste ich ja sagen. Und ich hörte es noch oft, während ich in der Küche bei ihm saß. Als ich gehen wollte, war es schon dunkel und das lag ganz bestimmt nicht nur an der Jahreszeit.
„Eine Frage hab ich aber noch“, sagte Lukas, als ich schon aus der Tür raus war. „Woher weißt du, wo ich wohne?“
„Übersinnliche Kräfte“, antwortete ich und streckte die Zunge raus.
Am Wochenende besuchte ich wieder meine Familie. Diesmal natürlich angekündigt. Und – oh Wunder – es öffnete mir Gero. Gehörte er jetzt schon dazu, dass er die Tür öffnen durfte? Interessant.
„Hey“, begrüßte er mich. „Deine Familie schmückt gerade das Haus.“
Das Haus. Schmücken. Das hatte ich als Kind unheimlich gern gemacht. Gleich nachdem ich meine Eltern und meine Oma begrüßt hatte, schnappte ich mir einen Karton mit Deko und begann, ihn über’s ganze Haus zu verteilen.
„Na, mein Kind, wie geht es dir? Isst und trinkst du auch immer schön?“, wollte Oma wissen.
„Ja, das mache ich, Oma. Ich will doch nicht noch mal Lea vor die Füße fallen. Apropos, wo ist sie eigentlich? Geht es ihr und dem Baby gut?“
„Sie ist bei der Vorsorgeuntersuchung“, erzählte Oma, während sie auf einen Stuhl stieg. „Es geht den beiden ausgezeichnet.“
„Das ist ja schön. Warte, ich helf dir“, rief ich und hing die lilafarbene Perlenkette über die Gardinenstange im Wohnzimmer.
„Du hast es gut, du bist körperlich noch fit und kannst so was noch machen. Ich mit meinen schwachen Knochen – da geht das nicht mehr.“ Oma holte ein neues Bild und zeigte es mir. „Hab ich gemalt. Was meinst du?“
„Sieht gut aus!“
„Dankeschön. Kannst du hier mal weitermachen? Ich muss eben nach dem Essen schauen.“
„Was gibt es denn?“, erkundigte ich mich.
„Hackbraten.“
„Gibt es auch eine vegetarische Alternative?“
„Vegetarisch? Wieso das denn?“
„Oma!“ Ich verdrehte den Kopf und hätte beinahe die Weihnachtsengelchen fallen lassen.
„Oh, natürlich, es gibt bestimmt was für dich. Da isst du schon so lange kein Fleisch mehr und ich kann es mir immer noch nicht merken. Furchtbar.“
Beim Essen grinste ich die ganze Zeit in mich hinein. Ich trank Cola und im Ohr hatte ich immer noch den ersten Song von gestern Abend.
„Warum bist du denn heute so fröhlich?“, wollte Mama wissen.
„Du grinst schon die ganze Zeit in dich hinein, das tust du doch sonst nicht“, wunderte sich auch Papa.
„Ach, einfach so“, antwortete ich… grinsend. „Die Uni läuft eben gut.“
„Na, dann.“ Papa fuhr damit fort, von seiner Arbeit zu erzählen. Er berichtete vom Mann einer Klientin, der ihn in seiner Kanzlei aufgesucht hatte und ihm ans Leder wollte, da der Irre keine Lust hatte, den Unterhalt zu bezahlen, den Papa für die Frau einfordern sollte.
„Ich hoffe, so etwas wird uns nie passieren“, seufzte Lea. „Sicher nicht“, tröstete Gero sie und drückte ihr einen Kuss auf den Babybauch. Er war noch nicht besonders dick, aber ein bisschen hatte Lea wohl zugenommen.
„Wie geht es dem Baby denn?“, erkundigte sich Mama und lud sich eine Scheibe Hackbraten auf den Teller.
„Es geht ihm ausgezeichnet“, lächelte Lea. Sie blickte auf ihren immer noch enthüllten Bauch.
„Wisst ihr denn schon, was es wird?“, fragte Papa. Er wollte bestimmt einen Jungen.
„Ein Baby“, entgegnete Gero. Alle lachten.
„Ja, aber was für ein Baby?“
„Wird nicht verraten“, antwortete Lea zwinkernd. „Erst an Weihnachten.“
„Da fällt mir ein“ – Mama kaute an ihrem Hackbraten herum – „kommst du nächstes Wochenende?“
„Nein, da kann ich nicht“, teilte ich mit. „Da hab ich einen Termin.“
„Was für einen denn?“, stocherte Lea, neugierig wie immer.
„Verrat ich dir nicht.“ Ich streckte ihr die Zunge raus und aß mein Ersatz-Essen weiter.
Ich verriet es ihr natürlich trotzdem, aber erst, als sie mich wieder zum Bahnhof fuhr. Ja, Auto fahren konnte sie noch! Das versicherte sie mir lautstark. Auf die Neuigkeit, dass ich jemanden kennengelernt hatte, reagierte sie genauso wie meine Freundinnen.
„Das war der, der mich wiederbelebt hat, als ich dir vor die Füße gekippt bin“, verriet ich ihr. „Ach, der war das“, murmelte Lea. „Ist er nett?“
„Aber unheimlich. Wir haben so viel gelacht, als ich ihm das Tuch wiedergebracht hab, unglaublich.“
„Was für ein Tuch?“, hakte Lea nach und bog links ab.
„Sein Palästinensertuch, das er immer trägt. Er hat es bei seinem Konzert verloren.“
„Soso, sein Konzert“, flötete sie. „Du warst schon extra auf seinem Konzert?“
„Nein“, beteuerte ich, „es war zufällig. Ich bin mit Anna und Aurélie ausgegangen.“
„Ja klar, zufällig“, entgegnete meine große Schwester, mit einem Unterton in der Stimme, der preisgab, dass sie mir nicht glaubte. Sie hielt vorm Bahnhofsgebäude. „Endstation!“ Sie stieg aus und machte mir die Tür auf. „Viel Spaß in der Uni, Kleine. Und viel Glück mit deinem Lukas, oder wie er heißt.“
Die letzten zehn Worte, die sie zu mir gesagt hatte, hallten noch lange in meinem Kopf nach. Viel Glück? Konnte ich das gebrauchen? Wofür?
„Beim Essen grinste ich die ganze Zeit in mich hinein. Ich trank Cola und im Ohr hatte ich immer noch den ersten Song von gestern Abend.“
Gestern?
Du, sag mal, ist das schlimm wenn ich dir sowas schicke? ^^
„Ich verriet es ihr natürlich trotzdem, aber erst, als sie mich wieder zum Bahnhof fuhr. Ja, Auto fahren konnte sie noch! Das versicherte sie mir lautstark. “
Auch wenn es langsam unbequem wird mit der Zeit xD
Ach, ich bin mittlerweile mit den Tagen so durcheinander xD
Schick mir gern was zu.
Ja, das glaube ich. Obwohl es ja mindestens so spezielle Gurte gibt für Schwangere.
Kann ich verstehen. Mir fällt es halt nur während des Lesens auf und oft weiß ich auch nicht ob ich richtig denke oder nicht 😀
Ach, der Gurt ist gar nicht so das Problem. Sei es allgemein das Sitzen und das ein- und aussteigen! xD
Ich liege sowieso am liebsten. Geht nur halt nicht im Auto.