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500 Ideen

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Vor ein paar Jahren habe ich ein wunderbares Buch gekauft. Es trägt den Titel „500 junge Ideen, täglich die Welt zu verbessern“, wurde von Shary Reeves, Jan Hofer (ja, der Tagesschau-Moderator) und Dieter Kronzucker (ja, der Journalist) herausgegeben, und zu einigen dieser Ideen will ich jetzt ein bisschen was aufschreiben.

Idee 11 – Zu cool für Müll

Bevor ich diese Idee gelesen hatte, hatte ich Eis immer nur im Becher bestellt, weil ich die Waffel nicht mochte. Aber jetzt bestelle ich mein Kugeleis nur noch mit Waffel – und sie schmeckt mir komischerweise sogar seitdem!

Idee 21 – Beim China-Imbiss Bäume retten

Ich hatte eigentlich nie viel asiatisch gegessen, bis ich freie Mitarbeiterin bei einem Radiosender wurde – und die bestellten sich dauernd was zum Mitnehmen beim Chinesen um die Ecke. Weil mir das Plastikbesteck da auf die Nerven ging, habe ich mir irgendwann wunderschöne Essstäbchen gekauft.

Idee 50 – Lehrer loben (beigesteuert von Prof. Dr. rer. nat. habil. Astrid Beckmann)

Der Frau, die in der ersten und zweiten Klasse meine Klassenlehrerin war, habe ich einen Brief geschickt, in der ich ihr erklärt habe, was für eine tolle Lehrerin sie mir war. Geantwortet hat sie bis jetzt noch nicht, aber vielleicht kommt das noch. Ansonsten war ich vor zweieinhalb Monaten auf dem Schulfest meines alten Gymnasiums. Was ich gegenüber meiner Lehrerin aus der Neunten und Zehnten nach zwei Cola-Rum herausgekriegt habe, war: „Sie sind cool!“ Was ich eigentlich damit sagen wollte, war „danke, dass Sie sich für mich eingesetzt haben“. Und das hat sie. Sie hat einem Mädchen, das keine Freunde in der Klasse hatte, gesagt, dass es toll ist, weil es so intelligent ist. Und sie hat sich dafür eingesetzt, dass dieses Mädchen nicht sitzenbleibt, weil es sich so hängen ließ.

Idee 63 – Nicht für die Schule, sondern für das Leben (beigesteuert von Lisa Bund)

Wenn ich irgendwo Müll auf dem Boden sehe, nehme ich ihn nicht jedes Mal mit – grundsätzlich sollte jeder seinen Müll selbst entsorgen. Eine Ausnahme mache ich aber: wenn der Müll so liegt, dass jemand darauf ausrutschen könnte. Ich bin auf der Kölner Domplatte mal auf einem Flyer ausgerutscht und habe mir den Fuß verknackst. Das sollte keinem anderen passieren.

Idee 67 – Behinderte Kinder in normale Schulen integrieren (beigesteuert von Andrea Nahles)

Mein ganzer Beruf dreht sich darum. Eine wichtige und sinnvolle Arbeit. Man sollte behinderten Menschen alle Chancen zukommen lassen. Umso wütender macht es mich, wenn man immer wieder versucht, meiner Profession die Relevanz abzusprechen.

Idee 107 – Schönen guten Tag noch (beigesteuert von Katharina Gast)

Meine Mutter hat fast zwanzig Jahre lang als Verkäuferin gearbeitet, ich habe Verkäuferinnen im Freundeskreis. Sie freu(t)en sich sehr, wenn die Kunden nicht bloß muffig, sondern auch etwas freundlich waren. Verbessert(e) ihren Tag.

Idee 117 – Offenheit statt Angst (beigesteuert von Hülya Özkan)

Mein Leben ist definitiv besser geworden, seit ich weiß, wie gastfreundlich Syrer sind. Oder wie gut Iraner kochen können. Oder wie sie über ihre Heimat denken. Oder wie man auf Persisch fragt, wie es einem geht (und antwortet).

Idee 125 – Lachen hilft (beigesteuert von Kester Schlenz)

Natürlich gibt es Dinge, gegen die können Witze nichts ausrichten, aber ich glaube, ein guter Freund von mir hat sich schon gefreut, als ich mich am Telefon mit einer total dummen Ansage meldete und das Ganze ein paar Minuten lang aufrechterhielt. Den Arbeitsstress schien er hinterher nicht mehr ganz so schlimm zu finden. Und ich denke, an jenem einen Tag DDR-Witze nachzuschlagen, war auch besser für mich, als mir weiter Sorgen über diverse Dinge zu machen.

Idee 127 – Sei wirkungsstark wie ein kleiner Vulkan (beigesteuert von Gerlis Zillgens)

Als ich im Unichor sang, starrte ich monatelang immer wieder auf den Nacken eines hübschen Mädels, die dort ein Tattoo trug. Motiv: ein Herz mit integriertem Gleichheitszeichen und dem Wort „equality“. Irgendwann nahm ich all meinen Mut zusammen und sagte ihr nach der Probe, wie cool ich ihr Tattoo fände. Das Strahlen, als sie danke sagte, wars definitiv wert.

Idee 129 – Rechtzeitig umdenken

Gesine Schwan rät: „Versuche, in jedem Gegner den möglichen Partner zu entdecken.“ Als ich das las, musste ich an eine Geschichte von vor ein paar Jahren denken. Ich führte im mittlerweile leider geschlossenen sozialen Netzwerk Neon.de eine erbitterte Diskussion mit jemandem, der eine gleichgeschlechtliche Ehe nicht Ehe nennen wollte. Dieser Mann ist heute einer meiner besten Freunde.

Idee 163 – Kavalier sein (beigesteuert von Marc Dumitru)

Irgendein Abend während meiner Schwangerschaft, ich hatte was mit einem Freund unternommen und wollte danach mit Öffentlichen weiter zu meinen Schwiegereltern fahren. Er brachte mich zum Bahnhof, leider kamen wir etwas zu spät dort an. Aber anstatt mich dort allein eine knappe Stunde warten zu lassen, wartete er mit mir, bis der nächste Zug da war. Und als ich am Zielbahnhof ankam, holte mein Schwiegervater mich dort ab. Mit dem Auto. Damit ich die knapp fünfhundert Meter nicht selbst laufen musste.

Idee 240 – Schnelle Frische

Das ist eine Idee, gegen die ich mal etwas sagen muss, als jemand, der jahrelang gemobbt wurde. Wenn mir jemand ein Minzbonbon anbietet, ist mein erster Gedanke nicht „oh, cool, nehm ich mal“, sondern „der will mir sagen, dass ich stinke“. Und dann habe ich Flashbacks. Ob jetzt ungerechtfertigt oder nicht.

Idee 241 – Echt bei sich selbst ankommen

Auch diese Idee überzeugt mich nicht hundertprozentig. Birgitta Weizenegger plädiert dafür, sich nicht in der virtuellen Welt zu verstecken. Sie selbst habe das lange gemacht, aber es habe sie nicht weitergebracht, im Gegenteil.

Dazu muss ich sagen: Wer im echten Leben jahrelang nur Ablehnung und Gegenwind erfahren hat, ist über das Internet sehr froh. Man kann dort relativ gefahrenlos Menschen kennen lernen, und das wiederum hat mir in der echten Welt sehr weitergeholfen.

Idee 487 – Lesen bringt Frieden

Eva Jung plädiert in Anlehnung auf ein Zitat von Mahatma Gandhi dafür, die Bibel zu lesen, denn dies habe Potenzial, die Welt wirklich zu verbessern. Ich bin zwar Christin, aber ich denke auch, dass „meine“ heilige Schrift nicht automatisch dazu taugt, die Welt zu verbessern. Es kommt auf den Menschen an, der sie liest, und der nutzt sie vielleicht eher als Anlass für Kreuzzüge oder Homophobie.

Habt ihr Fragen oder Anmerkungen? Ab damit in die Kommentare.

Mit freundlichen Grüßen

Die Kitschautorin

12 von 12 mal anders, Teil 2

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Mit freundlichen Grüßen

Die GIFKitschautorin

 

Geschützt: Wie man einen Fahrlehrer zum Lachen bringt

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Geschützt: Es wird Zeit für einen neuen Rechner, wenn

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Krümelmonster, Teil 28

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„Weil ich mich in dich verliebt habe, Lukas.“

Jetzt war es raus. Er starrte mich an. Ich starrte ihn an. Eine ganze Weile lang. Dann wandte er sein Gesicht ab.

„Und das soll ich dir glauben? Wahrscheinlich hast du diese ganze Geschichte nur erfunden, weil du Hannes nicht haben kannst. Weil er jede Frau dieser Uni haben will, außer dir. Und weil ich gerade da bin, denkst du dir: Hey, ich nehme ihn als Ersatz!“

„Das ist nicht wahr!“, rief ich.

„Ja klar. Und als Nächstes friert die Hölle zu. Jetzt entschuldige mich bitte, ich muss hier ein Konzert geben mit meinen Leuten.“

Ich weiß nicht mehr, wie ich von der Bühne kam. Aber in dem Augenblick fühlte ich mich so niedergeschlagen wie noch nie.

Ich verzog mich in die hinterste Ecke des Ballsaales, der eigentlich die Aula war, und betrachtete den hässlichen Boden. Ich wünschte mich zehntausend Kilometer weit weg. Da hatte ich einmal in meinem Leben etwas riskiert – und eine Abfuhr bekommen! Ich hatte es gewusst, ich hätte heute gar nicht kommen brauchen. Missmutig sah ich auf und guckte den Leuten beim Tanzen zu. Hannes hatte wieder jemanden im Arm, Aurélie tanzte mit Freddy, sogar Anna tanzte mit irgendjemandem. Alle hatten jemanden, außer mir. Was war mit mir, verdammt? Wann kam ich endlich dran? Wieso bekam ich nicht den Menschen, den ich wollte?

Ich bekam zu viel. Ich stürzte nach draußen, vorbei an den Sekt trinkenden Mädels, den saufenden Jungs und den Suchtrauchern. Bis ich mit jemandem zusammenprallte.

„Hey, pass doch auf!“, beschwerte sich jemand – bis wir uns erkannten. Ich hätte Kati fast umgerannt.

„Du gehst in die falsche Richtung!“, bemerkte sie.

„Doch, ich gehe in genau die richtige Richtung.“

„Wieso das denn?“

„Weil ich mit Lukas gesprochen habe. Und es ist nicht das herausgekommen, was ich wollte.“

„Wirklich nicht? Ach, komm wieder mit rein, lass dir davon nicht die Laune vermiesen.“

„Zu spät! Und was befiehlst du mir da überhaupt wieder? Für dich ist es doch ein Leichtes, die Typen zu kriegen“, fuhr ich sie an, „du siehst super aus, dich will jeder haben!“

„Ich hab es ganz bestimmt nicht leicht. Wir haben darüber gesprochen.“ Kati sah mich eindringlich an. „Es bringt jedenfalls auch nichts, sich hängen zu lassen. Also, kommst du jetzt mit rein oder nicht?“

Ich hatte gar keine Wahl, sie hakte sich bei mir ein und zog mich mit sich. Als ich gerade im Gebäude war, blieb ich stehen. Ich ging ganz bestimmt nicht weiter.

Kati ließ sich ihren Sekt schmecken. „Schmeckt gut. Lukas sieht auch nicht besonders glücklich aus.“

„Ja, und ich bin daran schuld.“

„Jetzt hör aber auf, verdammt noch mal!“, regte sich Kati auf. „Willst du den Abend überhaupt noch retten? Bin gleich wieder da.“

„Wo willst du denn hin?“

„Mich frischmachen gehen.“ Und schon war sie weg.

Den halben Abend stand ich alleine hinten an der Wand und trank Sekt. Wieso ließen mich immer alle alleine? Jetzt reichte es mir aber! Ich wandte mich zum Ausgang.

„Hey, wo willst du denn hin? Du bist doch gerade erst gekommen!“, ertönte es auf einmal hinter mir. Ich stöhnte laut auf.

„So leicht entwischt du uns nicht wieder“, rief Aurélie fröhlich. Freddy, der neben ihr stand, hob die Hand zum Gruß.

„Was soll das denn heißen?“, fragte ich pikiert.

„Dass du uns in den letzten Tagen ja voll aus dem Weg gegangen bist.“
„Ich hatte eben viel um die Ohren!“, versuchte ich mich zu verteidigen. „Da konnte ich mich nicht ganz so intensiv um euch kümmern.“

„Wir waren dir ja wohl völlig egal!“

„Aurélie! Sara! Meine Güte“, ermahnte uns Freddy, doch es war bereits zu spät.

„Ich hab nun mal nicht so ein tolles Liebesleben wie du!“ Ich deutete auf die Knutschflecken an Aurélies Hals. Sie versuchte noch, diese mit der Stola zu verdecken, klappte aber nicht. „Und es hat null geklappt! Und dann darf ich mir auch noch Egoismus vorwerfen lassen! Ach, lass mich doch in Ruhe!“ Ich stürmte davon.

„Sara? Hey, warte! Es tut mir Leid! Sara?“, rief sie noch hinter mir her, doch es war mir egal.

Ich merkte ja nicht einmal die Richtung, in die ich lief. Allerdings erblickte ich Kati an der Bühne. Sie flüsterte Lukas etwas ins Ohr. Was machte sie denn da? Wollte sie nicht eigentlich zu mir zurückkommen?

Lukas nickte und richtete sich wieder auf. Es war so, als suchte er irgendetwas im Publikum. Dann machte er eine Ansage: „Hey, Leute! Wir spielen jetzt das letzte Lied vor der Pause, also viel Spaß beim Abrocken!“ Die ‚Leute‘ applaudierten. Ich nicht.

Die ersten Akkorde ertönten. Was sollte das denn jetzt? Er spielte ein Lied, das ich nur zu gut kannte.

Tonight we drink to youth
and holding fast to truth.
I don’t want to lose what I had as a boy
My heart still has a beat
but love is now a feat
As common as a cold day in LA
Sometimes when I’m alone, I wonder
is there a spell that I am under
keeping me from seeing the real thing?
Love hurts…
but sometimes it’s a good hurt
and it feels like I’m alive
Love sings
when it transcends the bad things
Have a heart and try me
‚cause without love I won’t survive

Bei den letzten beiden Zeilen sah er mir in die Augen. Es fühlte sich an, als würden die schrammelnden Gitarrenakkorde, die er erklingen ließ, mein Herz zerschneiden.

Und sie trieben meine Beine an. Richtung Ausgang. Ich stürzte davon, während meine Tränen zu laufen begannen. Auch ich lief davon, im schnellen Tempo. Niemand war mehr draußen. Alle waren drinnen.

Plötzlich stolperte ich und lag der Länge nach auf dem Boden. Mein rechter Schuh lag irgendwo, mein Gesicht tat unheimlich weh, genauso wie mein rechtes Fußgelenk. Ich heulte richtig laut los. Nie wieder würde ich solche Schuhe tragen! Verdammter Mist!

Ich versuchte, mich aufzurichten, um nach meinem rechten Schuh zu greifen, aber das gefiel meinem rechten Fußgelenk überhaupt nicht. Es schmerzte unheimlich. Ich weinte noch lauter. Und mir wurde langsam kalt.

Aus der Ferne hörte ich, wie die Ballgäste applaudierten und Schritte sich näherten. Schließlich tauchte am Ende des roten Teppichs, zirka zwanzig Meter von mir entfernt, ein Mann auf. Ich konnte ihn nicht genau erkennen. Er drehte sich nach allen Seiten um und rannte dann auf mich zu! Hilfe! Was hatte er vor?

Krümelmonster, Teil 12

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Verschlafen meldete Anna sich. „Hallo?“

„Na, gut geschlafen?“

„Haha, du Scherzkeks. Das war ’ne Höllennacht, wie hätte ich denn da schlafen sollen?“, grummelte sie.

„Jaja, ist ja gut. Sag mal, was war da eigentlich gestern los? Ich hab gestern ganze sieben SMS von unserer guten Aurélie gekriegt, und dazu dann noch drei von dir.“

Anna gähnte ausgiebig. „Ich erklär es dir. Du hast doch sicher mitgekriegt, dass es bei den beiden nicht mehr ganz so gut läuft?“

„Ja, das weiß ich.“

„Nun ja, Aurélie hat vermutet, dass Freddy sie einfach nicht mehr so anziehend findet wie am Anfang…“

„So ein Blödsinn!“, entfuhr es mir.

„Ja, das sage ich ja auch, aber Aurélie wollte mir ja nicht zuhören. Dann hat sie sich ja die Haare blond gefärbt, aber das hat Freddy überhaupt nicht gefallen. Gestern nun wollte sie ihn überraschen und hat sich in die schärfsten Sachen geworfen, die sie so hatte, und dann ab in sein Bett, Rosenblätter und den ganzen Kram.“

„Was? Wie ist die denn in sein Zimmer gekommen?“

„Keine Ahnung. Freddy kam dann jedenfalls nach Hause und hat sich erst mal tierisch erschrocken, er hat sie angeschrien, die beiden haben sich gezofft und er hat sie mehr oder weniger verlassen.“

„Wow…“ Ich atmete tief durch. „Das ist ja wirklich…“

„…kacke, genau“, beendete Anna meinen Satz. „Deswegen bin ich jetzt auch zu Hause geblieben, weil Aurélie mich die ganze Nacht genervt hat. Was hast du gestern eigentlich noch so mit Lea gemacht?“

Jetzt war alles wieder da. Ärztehaus, Krankenwagen, Krankenhausflur, das Zimmer, meine Schwester auf der Liege, weinend…

„Bist du noch dran?“, rief Anna.

Ich schluckte zwei Mal. Mein Hals brannte wie Hölle und ich bemühte mich um einen möglichst neutralen Ton: „Na ja… Lea ist im Krankenhaus…“

„Was?“ Auf einmal war meine beste Freundin hellwach. „Was ist mit ihr? Komm, sag schon!“

„Das war echt eine merkwürdige Geschichte… Wie soll ich das bloß anfangen?“

„Am Anfang, wenn’s geht.“

„Zum Brüllen komisch, weißt du? Ich hab dir doch erzählt, dass sie wie wild am Fressen und Trinken war und sich ständig saumüde fühlte, richtig?“

„Ja, hast du…“

„Lea hat auf Diabetes getippt und war richtig besorgt deswegen. Also sind Gero und ich mit ihr zusammen zum Arzt gegangen und dann wurde sie auf einmal ohnmächtig rausgetragen…“

„Oh nein, hatte sie etwa einen diabetischen Anfall? Das ist echt ’ne schlimme Sache. Also, meine Tante, die…“

„Nein“, unterbrach ich sie, „sie hat… sie wird… sie ist schwanger! Und sie ist ohnmächtig geworden, weil sie so geschockt war von der Nachricht!“

Einige Sekunden lang war es still. Jetzt hatte es Anna wohl die Sprache verschlagen. Ich hörte sie tief durchatmen. Als sie wieder reden konnte, sagte sie: „Das sollten wir wohl besser nicht am Telefon besprechen, hä?“

„Da hast du wohl Recht…“

„Wie lange hast du noch Uni?“

„Ich arbeite noch bis drei Uhr und dann wollte ich mal ein bisschen lernen, wie wäre es, wenn wir uns heute Abend um acht Uhr treffen?“

„Okay, willst du zu mir kommen oder soll ich zu dir fahren?“

„Komm du ruhig zu mir…“

„Okay, dann bis heute Abend. Ciao!“

„Auf Wiedersehen“, sagte ich und wollte schon auflegen, da fiel Anna noch etwas ein. „Warte mal, Sara!“

„Was gibt’s denn noch?“

„Nimm dich bloß vor Aurélie in Acht. Die ist heute ’ne echte Kratzbürste.“

„Ach was. Kommt sie heute zur Uni?“

„Ja, sie ist jedenfalls grad nicht zu Hause. Gott sei Dank.“

„Na dann, danke für den Tipp und bis heute Abend.“

„Bis heute Abend“, sagte sie und wir legten auf.

Gestärkt für den Rest der Schicht ging ich nach vorne. Jedenfalls fühlte ich mich schon bedeutend besser. Es tat gut, mit jemandem gesprochen zu haben, der nicht sofort nach dem Warum fragte, der einen nicht sofort verrückt damit machte. Und was Aurélie und Freddy anging, wusste ich zumindest schon mal über die Situation Bescheid –

„Einen Latte macchiato mit zwei Stückchen Giotto und eine Cola light bitte“, bestellte eine weibliche Stimme, die mir sofort ins Ohr schnitt, warum auch immer. Ich rief nur mein übliches „Kommt sofort!“ und sortierte erst mal weiter Flaschen in den Kühlschrank ein. Erst als ich mich wieder aufrichtete, nahm ich wirklich wahr, wer mir da seine Bestellung ins Ohr geschnottert hatte und vor allem: wen diese Person im Schlepptau hatte.

Kati und Hannes!

Sie setzten sich an einen Tisch ganz hinten. War das nicht der, den mir Gero gestern beschrieben hatte, mit dem fetten Herz drin? Sie umarmten sich und küssten sich so, als gäbe es kein Morgen. Wollte er mit seiner Zunge ihren Magen erforschen, oder was machte er da? Die beiden sanken auf ihrer Sitzbank zurück und ich fühlte mich, als würde mein Herz aus der Brust auf den Boden rutschen und dort zerplatzen wie eine Wasserbombe.

„Ich komm gleich zurück, Schatz, okay?“, bildete ich mir ein, von Kati zu hören, wie sie es zu Hannes sagte und sie ging Richtung Damentoilette. Natürlich nicht, ohne vorher noch an mir vorbeizustöckeln und zu zwitschern: „Und denk an unsere Bestellung, Sara-Schatz, okay?“ Und weg war sie.

Ich bekam Lust, die Schlange zu erwürgen, sie das Klo runterzuspülen und ihren Arsch so lange mit klebrigem Zeugs vollzustopfen, bis sie platzte, ich wollte sie auf tausend Arten quälen, diese Missgestalt, aber das sah man meinem Gesicht vermutlich nicht gerade an. Es stürzte ein und ich senkte meinen Blick auf den Boden.

Plötzlich ertönte aus der erst kürzlich fürs Studentencafé erworbenen Anlage eine laute Schrammelgitarre und kurz darauf eine männliche Stimme. Das Lied kannte ich doch irgendwoher, was war das nur für ein Lied?

My heart still has a beat

but love is now a feat

As common as a cold day in LA

Sometimes when I’m alone, I wonder

is there a spell that I am under

keeping me from seeing the real thing?

Love hurts…

Die Frage nach dem Lied konnte ich zumindest schon mal beantworten. Das Herzschmerzlied schlechthin. Wollte mich mit Love hurts eigentlich irgendjemand da oben im Himmel ärgern? Hatte ich das verdient? Womit bloß? Mir war grottenschlecht.

Hannes schaute irgendwelchen Damen hinterher. Der Mann, in dessen Armen ich neulich noch gelegen und an dessen Lippen diese unsägliche Kati gehangen hatte, schaute anderen Studentinnen auf die Hintern und die Brüste und ihm lief der Speichel dabei fast aus dem Mund heraus. Und jeder begehrende Blick veursachte mir erneute Stiche in den Magen und ins Herz.

Ich konnte meine Augen nicht von ihm lassen, obwohl mir sein mich völlig ignorierendes Verhalten so weh tat. Als Kati von der Toilette zurückkam, richteten sich seine Augen wie auf Kommando wieder auf sie und er lächelte sie an. Erst vor ein paar Tagen hatte er mich so angelächelt…

Meine Chefin lehnte sich neben mich an die Theke. „So wie die gerade herumgeknutscht hatten, müssten wir die eigentlich wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses anzeigen, was?“ Sie lachte. „Machste eben die Latte und die Cola für die beiden fertig?“

Ich reagierte nicht. Ich konnte meine Augen nicht vom superverliebten Pärchen lassen und wünschte mich zehntausend Kilometer weit weg.

„Machst du das jetzt oder was?“, pflaumte meine Chefin mich an. Ich drehte mich um und schaute sie an. Keine Ahnung, wie beschissen ich ausgesehen hatte, jedenfalls zog sie nur die Augenbrauen hoch und sagte schnell: „Okay, ich mach’s eben selbst.“ Bevor ich auch nur blinzeln konnte, schrie auf einmal jemand meinen Namen in voller Lautstärke und ich erschreckte mich unheimlich. Mehrere Gäste drehten sich um.

„Saaaaaraaa!“ Und da erschien die Kratzbürste auch schon und wetterte so laut, dass ich nicht mal fragen konnte, was sie haben wollte. „Ich glaube, ich explodiere gleich! Da denke ich mir so eine tolle Überraschung aus und der Blödmann von Freddy, was tut der? Er schmeißt mich raus! Einfach raus. Der tickt doch nicht mehr richtig. Ich versuche wenigstens noch, irgendwas an unserer Beziehung zu ändern, aber der Trottel trifft sich nur mit seinen Kumpels und säuft sich voll. Ja, da brauchst du gar nicht so zu gucken, Sara, du hast es ja nicht mal für nötig gehalten, an dein Handy zu gehen. Obwohl ich echte Probleme hatte! Was guckst du denn so betroffen?“

Da piepste meine Armbanduhr drei Mal. Es hörte sich an wie das Piepsen, das in Filmen immer ertönte, kurz bevor eine Bombe platzte. Ich glaubte auch, selbst gleich zu explodieren.

„Was bildest du dir eigentlich ein?“, fuhr ich Aurélie an. „Du denkst, du hast Probleme und fragst nicht mal eine Sekunde lang, wie es mir geht? Lass mich doch in Ruhe mit deinem Geschwätz! Gott sei Dank muss ich dich jetzt nicht mehr bedienen, denn ich hab Schichtende!“ Wütend riss ich mir die Schürze vom Leib und nahm meine Jacke sowie die Handtasche an mich. „Ruf mich an, wenn du mich wieder eingeteilt hast. Bis dann!“, rief ich meiner Chefin zu und rannte aus dem Studentencafé. Einfach irgendwohin. Ich bildete mir ein, irgendjemanden hinter mir herrufen zu hören. Aber es war mir egal. Ob es jetzt Aurélie war, die Chefin, Kati, Hannes, der Weihnachtsmann oder alle zusammen, es war mir so egal.

Krümelmonster, Teil 9

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„Gehören Sie zu Frau Lehmann?“

„Ich bin ihre Schwester“, rief ich.

„Und ich ihr Verlobter“, rief Gero geistesgegenwärtig. Das ließ der Notarzt als angehörig durchgehen und ließ uns beide mitfahren.

„Ich hätte mir denken müssen, dass sie nicht in Ordnung ist, sie hat sich heute Morgen die ganze Zeit übergeben müssen“, bemerkte Gero noch.

„Das würde zur medizinischen Geschichte Ihrer Verlobten passen“, berichtete der Notarzt.

„Welche medizinische Geschichte? Was ist überhaupt los?“, fragte Gero.

„Nun sagen Sie doch endlich, was los ist!“, bestürmte ich den Notarzt.

Der sagte: „Ruhig, ruhig! Ich will Ihnen ja erzählen, was passiert ist. Soweit ich weiß, hatte Frau Lehmann einen Termin beim Hausarzt?“

„Ja, das stimmt.“

„Wir haben die junge Dame nämlich vom Frauenarzt abgeholt, ein Stockwerk drüber.“

„Frauenarzt?“ Gero und ich schauten uns ratlos an.

„Ja“, erzählte der Arzt, während er Lea eine Infusion legte. „Frau Dr. Campe berichtete mir, dass sie vom Hausarzt zu ihr geschickt wurde, wegen einer Untersuchung. Und als Ihre Angehörige das Ergebnis gehört hat, ist sie bewusstlos geworden.“

„Welche Untersuchung?“, wollte ich wissen.

„Was für ein Ergebnis?“, rief Gero fast zeitgleich. „Und wieso musste Lea deswegen ins Krankenhaus? Sie war doch nur ohnmächtig, da hätte man sie doch einfach wiederbeleben können?“

„Nun, dafür gibt es einen ganz bestimmten Grund.“ Der Notarzt legte seine Utensilien beiseite und blickte uns an. „Lea Lehmann ist im dritten Monat schwanger.“

 

„Das glaube ich einfach nicht! Ich dreh noch durch!“

In den drei Minuten, die wir bereits hier waren, war Gero bereits so oft den Krankenhausflur auf- und abgerannt, dass man es gar nicht mehr zählen konnte.

„Ich drehe auch gleich durch, wenn du nicht sofort stehen bleibst! Das hält ja kein Mensch aus!“, fuhr ich ihn an.

„Wie kannst du das von mir verlangen?“, antwortete Gero, blieb aber stehen. „Ich werde Vater, ohne bis jetzt was davon gewusst zu haben, mit 22! Meinst du nicht, dass das etwas früh ist? Mal abgesehen davon liegt Lea da drin in diesem Scheißzimmer und konnte bis jetzt nicht wiederbelebt werden! Das bringt mich nicht eben dazu, bessere Laune zu haben! Scheiße!“, rief er laut aus und trat in seiner Wut gegen einen Essenswagen, worauf eine Krankenschwester ihn missbilligend ansah.

„Ja, es ist vielleicht etwas früh, aber kommt das wirklich so überraschend für dich? Weißt du ganz sicher, dass sie nie die Pille vergessen hat oder so?“

„Jetzt fang nicht auch noch damit an! Ich mach mir sowieso schon die ganze Zeit Vorwürfe. Es ist alles meine Schuld. Wenn wir, wann auch immer, nicht miteinander geschlafen hätten, dann wäre Lea jetzt nicht schwanger und hätte auch keinen Schock gekriegt und wäre nicht in Ohnmacht gefallen… ach, verdammt!“ Erneut trat er gegen den herumstehenden Essenswagen, worauf die Krankenschwester jetzt sagte: „Lassen Sie Ihre Wut bitte nicht am Essenswagen aus!“

„Sie haben doch keine Ahnung, was hier gerade abgeht!“, fauchte er.

Ich zog ihn auf den Stuhl neben mir und zwang ihn so, sich niederzulassen. „Gero, ich weiß, dass das alles große Scheiße ist, aber sieh es doch mal positiv: Wir wissen jetzt, dass sie kein Diabetes hat. Das wäre doch viel, viel schlimmer!“

„Ja, toll.“ Gero sprang wieder auf. „Stattdessen liegt sie ohnmächtig in diesem Zimmer und wacht nicht wieder auf, und über Nacht sind wir werdende Eltern! Denkst du wirklich, dass das besser ist?“

„Was weiß ich denn!“, rief ich hilflos. „Ich versuche wenigstens, ruhig zu bleiben. Das ist nicht gerade einfach!“

Gero stratzte wieder ruhelos über den Flur. „Was sollen wir nur machen? Wieso muss uns so was passieren?“ Er ließ sich auf den Stuhl fallen. „Selbst wenn Lea wieder aufwachen sollte, ist da immer noch dieses Problem…“

Mir gefiel irgendwie die Art und Weise nicht, in der er Problem aussprach. „Betrachtest du euer gemeinsames Kind etwa als Problem? Sei doch froh, dass es sich hier wenigstens um deine Freundin handelt und nicht um irgendeinen One-Night-Stand handelt.“

„Ja, es ist ein Problem für mich. Ich befinde mich zufällig gerade mitten im Studium und Lea genauso! Wie konnte uns das nur passieren?“

„Weißt du, wenn ein Mann und eine Frau…“

„Findest du das etwa witzig?“, fauchte Gero mich an.

„Nein!“, rief ich genauso aufgebracht zurück. „Aber wie ein Duracell-Hase auf Ecstasy den Flur rauf- und runterzurennen, bringt es doch auch nicht!“

„Woher soll ich denn wissen, was hilft?“, rief Gero hilflos aus. Plötzlich ließ er sich auf den Stuhl neben mir fallen und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Ein lautes Wimmern war zu hören. „Wieso passiert uns nur immer wieder so was? Warum? Wieso wacht Lea nicht auf? Warum?“

Der arme Gero tat mir Leid. Und auch ich war ziemlich durcheinander. Wie tröstet man jemanden, der total aufgewühlt ist, wenn es einem selbst nicht anders geht? Mir kam die Nachricht von Leas Schwangerschaft ja genauso überraschend wie ihm, und das Ganze wurde dadurch noch verschlimmert, dass Lea in diesem Krankenzimmer lag und noch immer ohnmächtig war. Normalerweise war man nach einigen Minuten doch wieder bei Bewusstsein, oder? Wieso gab Lea immer noch kein Lebenszeichen von sich? Was sollten wir nur tun?

Ich nahm Gero in den Arm und wimmerte mit.

Krümelmonster, Teil 8

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Irgendwie bekam ich Hannes an dem Tag gar nicht zu Gesicht. Na gut, das konnte vielleicht daran liegen, dass wir nicht die gleichen Studienfächer hatten oder dass er einfach keine Lust auf die Vorlesungen hatte. Verständlich. Hatte ich auch selten.

Ich hatte auch eigentlich keine Zeit, mich darüber zu wundern, denn als ich just aus dem riesigen Unigebäude gehen wollte, stand plötzlich Lea vor mir.

„Hey, was machst du denn hier?“, fragte ich erstaunt und umarmte meine Schwester.

„Ach, ich wollte dich einfach abholen“, antwortete sie.

„Dann bis später“, verabschiedete sich Anna, die bis dahin mit mir gegangen war.

„Bis später“, winkten wir ihr und liefen dann gemeinsam die Robert-Mayer-Straße entlang.

„Du hast mir ja gar nicht Bescheid gesagt, was ist denn los?“, erkundigte ich mich bei ihr.

„Na jaaa…“ Sie seufzte. „Ich wollte nur mal wissen, wie es dir geht.“

„Wie es mir geht? Und da kommst du extra vorbei, anstatt mir ‘ne SMS zu schreiben oder anzurufen?“

„Na ja, ich hab mich doch schon ziemlich lange nicht mehr bei dir gemeldet, oder?“

Wenn sie zwei Tage als lang bezeichnen wollte, dann hatte sie vermutlich Recht. Was war mit Lea?

„Komm, du bist doch nicht hergekommen, um zu fragen, wie’s mir geht. Das könntest du doch auch telefonisch machen. Also, was stimmt nicht mit dir?“

Jetzt blieb Lea stehen und ließ sich damit fast von einem Fußgänger anrempeln, der sie mürrisch anguckte. „Ich bin zu dir gekommen“, antwortete sie nun mit bewegter Stimme, „da ich heute zum Arzt wollte.“

Da war auch ich plötzlich aufgeregt. „Hast du dich jetzt endlich durchgerungen?“

„Ja, habe ich.“ Lea atmete tief durch. „Ich hab mir ein Ärztehaus in der Dominikanerstraße ausgesucht. Ich wollte nicht zu Hause zum Arzt gehen.“

„Das kann ich verstehen.“

Wir kamen an der U-Bahn-Station an.

„Wo willst du jetzt hin? Zu mir nach Hause oder irgendwen besuchen?“

„Na ja“, antwortete Lea, „ich wollte eigentlich direkt zum Arzt gehen. Gero kommt auch, der wartet an der Brücke auf mich.“ Gero, das war ihr Freund, den ich ziemlich selten zu Gesicht bekam; das war auch schon so gewesen, als ich noch bei meinen Eltern gewohnt hatte.

Schweigend gingen wir zur Brücke. Und tatsächlich stand Gero am anderen Ende. Er schaute uns an und trug wie üblich seine schwarze Jacke und das Armycap.

„Hi, Mädels“, sagte er nur und küsste Lea auf den Mund. Das erste Mal, dass ich wieder was von ihm gehört hatte, seit ein paar Wochen. Obwohl ich ihn Samstag und Sonntag gehört hatte.

Zu dritt liefen wir die zwei Kilometer zum Arzt. Ja, zu Fuß, das konnte ich irgendwie selbst nicht glauben. Außerdem sprach keiner von uns ein Wort, bis wir angekommen waren.

In meinem Kopf lief ein sehr komischer Gedankenfilm ab, mit Hannes, Anna und Lea in den Hauptrollen und Gero als Nebendarsteller. Ich ließ den ganzen Tag Revue passieren. Erst die Sache mit Hannes und die Tatsache, dass wir heute Morgen nebeneinander aufgewacht waren. Und jetzt, wo meine Schwester neben mir lief, sorgte ich mich um sie.

Wenn sie wirklich Diabetes hatte, so, wie sie vermutete, dann wäre das doch nicht gefährlich, oder? Wir hatten das in der Schule behandelt und ich wusste, dass man das in den Griff kriegen konnte. Aber würde sich Leas Leben dadurch nicht grundsätzlich verändern? Würde das nicht ihren ganzen Lebensplan umschmeißen, wenn sie immer Broteinheiten zählen musste und sich ständig Insulin spritzen musste?

Ich war ziemlich besorgt, aber als wir vor dem Ärztehaus ankamen, nahm ich sie kurz beiseite.

„Hab keine Angst. Du bist bestimmt nicht krank und wenn doch, dann ist es zwar ernst, aber nicht todernst. Das kannst du… irgendwie in den Griff kriegen. Ich helf dir dabei.“

„Danke, Kleine“, antwortete Lea und umarmte mich. Dann gingen wir gemeinsam ins Ärztehaus.

Lea musste, was ziemlich ungewöhnlich ist, nicht besonders lange warten und kam fast sofort dran. Zusammen mit einigen älteren Damen saßen Gero und ich im Wartezimmer der Hausarztpraxis, die im Ärztehaus untergebracht war, und ich blätterte in irgendwelchen Illustrierten, die schon Wochen alt waren. Nachdem ich den xten Bericht über ein sich trennendes Schauspielerpärchen gelesen hatte, verlor ich die Lust und legte die Zeitungen beiseite.

Die alten Omas waren inzwischen weg. Ich starrte angestrengt auf das mir gegenüber an der Wand hängende impressionistische Gemälde. Mir fiel auf, dass dasselbe Bild früher auch in der Schule gehangen hatte, im Krankenzimmer. Mann, wie ich es dort gehasst hatte…

Plötzlich ertönte neben mir ein lautes Seufzen und ich sah, wie Gero sich das Gericht rieb.

„Oh, ich hoffe wirklich, dass sie nicht krank ist. Ich weiß, dass sie das nicht aushalten würde…“, murmelte Gero.

„Ja, sie war schon immer ziemlich empfindlich…“

Oh, ein Gespräch zwischen uns. Hatten wir uns überhaupt schon mal so richtig unterhalten?

„Das war sie schon früher, ja. Als ich sie angesprochen habe, dachte sie zuerst, ich wäre irgendso ein Irrer, und hat mich total ignoriert.“

„Wie lange ist es schon her, dass du Lea angesprochen hast?“

„Zwei Jahre müssten es jetzt sein.“ Gero nahm seinen Kopf zurück und dachte angestrengt nach. „Ja, letzte Woche waren es genau zwei Jahre.“ Er lachte. „Wir hatten diesen Unikurs zusammen. Es ging irgendwie um Shakespeare oder so was. Ich habe sie gefragt, ob ich ihr nachhelfen soll.“

„Und da hat sie Nein gesagt?“

„Ja, wahrscheinlich waren meine Worte etwas unglücklich gewählt. Obwohl ich gar nicht mehr genau weiß, was ich gesagt habe. Aber irgendwann ließ sie sich dann von mir zu einem gemeinsamen Kaffee im Studentencafé überreden. Und ungefähr einen Monat später waren wir dann zusammen. Ich könnte dir sogar noch den Tisch zeigen, an dem Lea und ich damals gesessen haben. Kennst du den Tisch hinten rechts in der Ecke, wo das Herz eingeritzt ist?“, fragte er.

Ich nickte. „Ich arbeite ja dort.“

„Oh, wirklich? Ich habe dich ja schon lange nicht mehr dort gesehen.“

„Ja, ich habe in der letzten Zeit viel um die Ohren gehabt wegen diesen Politikseminaren. Aber morgen will ich wieder hin. Da fällt diese eine Vorlesung aus, also habe ich den ganzen Tag Zeit.“

„Und du studierst also Politik?“

„Ja“, seufzte ich. „Ich hatte in der Schule Supernoten darin und fand es auch ganz interessant, aber so als Vollzeitstudium… ätzend.“

„Das ist nur am Anfang so. So ab dem zweiten Semester gewöhnt man sich daran.“

„Dann wird’s ja Zeit.“

Wir lachten beide.

Eine ganze Weile unterhielten wir uns noch. Als ich gerade anfangen wollte, die Geschichte mit Freddy in Paris zu erzählen, riss plötzlich jemand die Tür auf und ich sah, wie Lea auf einer Trage herausgebracht wurde.

Krümelmonster, Teil 4

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Unser Opa war vor knapp sieben Jahren gestorben. Damals hatte man uns nicht gesagt, warum. Keine Ahnung, wieso. Er lag, als wir eines Tages nach Hause kamen, einfach tot auf dem Küchenboden. Er war ein bisschen beleibter gewesen, aber das hatte uns nicht besonders interessiert.

Bis Lea neulich mit ihrem Freund darüber gesprochen hatte. Da war zufällig seine Mutter hereingekommen, die ebenfalls Ärztin ist, und hatte sie einige andere Sachen über Opa gefragt. Am Ende meinte sie, dass er wahrscheinlich Diabetes gehabt hätte und daran gestorben wäre. Wieder zu Hause hatte sie Oma danach gefragt und die hatte es ihr bestätigt. Es wurde damals wohl nicht diagnostiziert oder so etwas und dann wäre er an einem Schwächeanfall gestorben.

„Das ist eine ziemlich tragische Geschichte. Ja, das ist wirklich blöd gelaufen, aber warum bist du so traurig?“

„Nein, das ist es nicht.“ Lea schniefte. „Seine Mutter hat gesagt, dass man Diabetes auch erben kann. Und da wurde mir auf einmal alles klar: mein ewiger Durst, mein ungebändigter Appetit und warum ich mich neuerdings so schlapp fühle. Wahrscheinlich habe ich auch Diabetes! Und bestimmt sterbe ich daran, so wie Opa!“ Jetzt bekam sie einen erneuten Weinkrampf.

Ich nahm sie in den Arm. „Hey, das wird schon nicht passieren, keine Angst. Warst du damit überhaupt schon mal beim Arzt?“

„Nein, noch nicht.“

„Wenn du willst, können wir mal zusammen hingehen. Ich geh auch mit dir in den Untersuchungsraum, wenn du willst.“

Lea schnäuzte sich einmal kräftig und fragte mich dann: „Das würdest du machen?“

„Klar.“

Jetzt lächelte sie wieder ein bisschen. Zwar war ihr Gesicht noch wimperntuscheverschmiert, aber sie lächelte wieder.

„Okay, aber lass uns nicht zu Mama gehen, die macht sich nur wieder unnötig Sorgen.“

„Na gut.“

 

Irgendwann an diesem Wochenende war mein Handy leergegangen und leider hatte ich kein passendes Ladegerät dabeigehabt. Als ich also am Sonntagabend nach meiner Rückkehr ins Wohnheim das Handy endlich wieder anschalten konnte, bekam ich gleich zwei SMS und eine Mailboxnachricht. Alle waren von Freddy.

Die erste SMS war von Freitagabend, 20:37 Uhr.

Hey, Sara, sag mal, ist Aurélie bei dir? Wir wollten uns treffen, aber sie ist nicht zu Hause.

Die zweite SMS kam gut zwölf Stunden später.

Aurélie geht nicht mehr ans Telefon! Ich verstehe das Mädel einfach nicht.

Und die Mailboxnachricht gestern Abend lautete folgendermaßen:

Hey, Sara, hier ist Freddy, kannst du mich bitte dringend zurückrufen? Ich muss unbedingt mit dir sprechen. Auf Wiedersehen.

Es schien wirklich dringend zu sein. Also meldete ich mich bei ihm, sagte ihm, dass ich direkt nach der Uni bei ihm vorbeikäme und schaltete das Handy aus.

 

Freddy wohnte mittlerweile in einem winzig kleinen Studentenzimmer am anderen Ende der Stadt. Als ich um halb vier endlich dort war, saß er vorm Haupteingang auf einer Treppenstufe und rauchte.

Er rauchte?

„Wieso rauchst du denn hier?“, fragte ich ihn.

„Weil ich im Gebäude nicht rauchen darf, darum“, antwortete Freddy und atmete tief aus. Dabei stieß er eine Wolke Rauch mit aus.

„Nein, das meine ich nicht. Ich wusste ja gar nicht, dass du überhaupt rauchst!“

„Ich weiß auch nicht, wieso. Eigentlich hatte ich damit schon aufgehört, aber bei dem Stress, den ich zur Zeit habe…“ Er seufzte.

„Was ist denn los?“, wollte ich jetzt wissen.

„Dieses Mädel macht mich einfach fertig!“ Das letzte Wort schrie er schon fast.

Ich verstand nicht, was er damit meinte.

„Ich frage mich mittlerweile echt, was ich eigentlich an Aurélie finde. Die schafft mich noch! Die weiß einfach nicht, was sie will. Nervt mich dauernd, dass ich mehr Zeit mit ihr verbringen soll, aber wenn ich sie dann anrufe, weil ich mit ihr endlich ins Kino gehen will, zu diesem doofen französischen Film, dann heißt es, sie ist nicht zu Hause! Dabei weiß ich es ganz genau, dass sie da ist.“

„Wie meinst du das?“ Jetzt verstand ich gar nichts mehr.

„Im Hintergrund dudelte ganz laut Aurélies Lieblingsserie. Kannst du dir vorstellen, dass Anna Verbotene Liebe guckt?“

„Nein.“

„Siehst du. Und als ich Anna drauf angesprochen habe, stammelte sie nur etwas von ‚Ach, der neue Darsteller sieht so süß aus’. Das glaube ich einfach nicht!“ Freddy nahm eine tiefen, angestrengten Zug aus seiner Zigarette.

„Na ja…“ Ich versuchte erst einmal, mich zu sammeln. „Ich weiß nur, dass sie mir erzählt hat, dass ihr neulich in diesen Film mit Audrey Tautou gehen wolltet und du musstest urplötzlich noch zu deinen Kumpels.“

„Fängst du jetzt auch schon damit an? Wahrscheinlich hat sie dich bequatscht, damit du mir jetzt für sie ins Gewissen redest.“ Nun stieß er den Rauch wieder aus. Es erinnerte mich, besonders durch die kalte Luft, die es besonders sichtbar machte, an einen Stier.

„Nein, sie hat mich nicht bequatscht. Und außerdem habe ich keine Lust, mich schon wieder in alles reinziehen zu lassen. Es war schon schwer genug, euch überhaupt zusammenzubekommen. Den Rest müsst ihr jetzt allein schaffen.“

Freddy sah mich entschuldigend an. „Tut mir echt Leid, du hast ja Recht. Ich weiß einfach nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Aber immer, wenn ich Aurélie darauf anspreche, faucht sie immer irgendwas von wegen, dass ich sie nicht mehr liebe, und rauscht ab.“

„So lange seid ihr ja noch nicht zusammen, da ist es doch ganz normal, wenn sie so viel Zeit mit dir verbringen will. Das ist doch bei den meisten Mädels so.“

„Meinst du?“

„Na ja, persönlich kann ich es nicht sagen, aber das war jedenfalls bei den meisten Mädchen so, die ich kannte. Versuch einfach, so etwas wie die Sache mit dem Kino zu vermeiden und überleg dir vielleicht doch mal was Romantisches. Dann denkt sie sicher nicht mehr, dass du sie nicht mehr liebst.“

„Meinst du, das bringt’s?“

„Na sicher, auf Romantik steht Aurélie doch total. Das schaffst du schon.“

„Ich versuch’s…“

Krümelmonster, Teil 2

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Nach einem äußerst stressigen Tag an der Uni war ich endlich unterwegs nach Hause. Bis jetzt war der Tag wirklich nicht das Gelbe vom Ei gewesen. Mittlerweile hatte ein Seminar zum Thema „Politik nach Aristoteles“ begonnen. Und nein, es reichte nicht aus, dass das Seminar an sich total langweilig war, ich musste auch noch in einer Gruppe mit total langweiligen Menschen landen, die anscheinend annahmen, dass jeder Mensch auf der Welt staubtrockene politische Theorie liebte und total entrüstet taten, wenn einer diese Leidenschaft nicht teilte – in dem Fall ich. Ein blondes langhaariges Mädchen, dessen Namen ich immer vergaß, ging mich irgendwann total an, ihr ginge mein Desinteresse auf die Nerven und warum ich mich überhaupt für diesen Studiengang eingeschrieben hätte.

„Um Bafög zu kassieren“, antwortete ich ganz cool.

Mit dem Blick, den ich daraufhin kassierte, hätte man Elefanten töten können oder so etwas. Nach genau fünfzehn abgezählten Sekunden verzog ich mich kommentarlos in die Bibliothek, weil ich hoffte, dort meine Ruhe zu haben. Vergebens.

Ich hätte schon um ein Uhr zu Hause sein können. Aber nein, ich war erst auf dem Weg nach Hause, als es draußen bereits dunkel war und die Lichterketten an den Geschäften angingen. Es war Ende November. Wieso mussten die die Weihnachtsketten so früh aufhängen?

Unterwegs begegneten mir so einige ebenfalls verfrühte Schnapsnasen, die mich angrölten (wahrscheinlich waren es eher Glühweinnasen). Nervlich war ich so aufgekratzt, dass ich fürchterlich erschrak, als die Kirchenglocken an der Kirche neben der Haltestelle läuteten. Das war mir eigentlich schon seit Wochen nicht mehr passiert.

Ich war also total schlecht gelaunt und wollte eigentlich nur noch in mein Einzelzimmer mit der Miniküche zurückkehren, um mich dort mit einer Tasse heißem Kakao zu wärmen.

Doch völlig unerwartet saß Aurélie auf dem Zaun vorm Haupteingang. War es nicht total unbequem, dort zu sitzen?

„Was ist denn los? Ist es dir nicht zu kalt auf der Mauer da?“, fragte ich Aurélie und hielt ihr meine rechte Hand hin. Sie nahm die Hand und zog sich daran herunter.

„Nicht so kalt, wie mein Leben zu mir ist.“

„Wie meinst du denn das?“ Aurélie hatte manchmal eine Tendenz zu theatralischer Ausdrucksweise, aber diese Wendung war mir neu.

Wir gingen in meine Bude, wo ich uns erst mal eine Kanne Kakao kochte, um uns aufzuwärmen.

Dann setzten wir uns auf mein Bett und ich forderte sie auf: „Los, erzähl mir, was passiert ist.“

Aurélie holte tief Luft, dann polterte sie los: „Ich weiß einfach nicht mehr, was ich mit Freddy machen soll! Er hockt ständig nur vorm Computer und kümmert sich gar nicht mehr um mich. Und am Wochenende machen wir nur das, was er will. Ich komme gar nicht zum Zug! Und seine Freunde – schrecklich sind die! Du kennst sie ja.“

In der Tat hatte ich mit ihnen auch so meine Bekanntschaft gemacht und toll waren die wirklich nicht, das stimmte.

„Die machen die ganze Zeit blöde Witze und sie mögen mich nicht, außerdem besaufen die sich die ganze Zeit! Ich bin nicht der Mensch für so etwas und wenn ich Freddy darauf anspreche, blockt er ab! Ich traue mich schon gar nicht mehr, was zu sagen.“

Hallo, Probleme. So, wie sich das anhörte, musste sich früher oder später jede Frau, die einen Kerl an ihrer Seite hatte, mit solchen Dingen herumschlagen. Dachte ich. Auf eigene Erfahrungen konnte ich leider nicht zurückgreifen. Oder sollte ich „Gott sei Dank!“ sagen?

„Ähm, wie kommst du denn auf die Idee, dass die dich nicht mögen?“, erkundigte ich mich erst einmal, um mich zu sammeln.

„Ach, die wollen mich nie dabeihaben, wenn Freddy sich mit ihnen trifft, und haben gesagt, ich würde mich ja nur um mich selbst kümmern und wäre total egoistisch. Und wenn ich doch mal dabeisein darf, ignorieren sie alles, was ich sage.“

Nun ja, das waren deutliche Anzeichen. Aber wie kamen die denn darauf, dass Aurélie egoistisch war? Das stimmte doch überhaupt nicht.

„Hast du überhaupt schon mal mehr als einen Satz mit ihnen geredet?“

„Nein.“

Oh Mann, das hörte sich in der Tat schlimm an.

„Und Freddy sagt dazu nichts?“

„Nur, dass ich das alles nicht so ernst nehmen soll. Ich finde allerdings auch, dass er sich viel zu häufig mit seinen Freunden trifft.“

„Wieso das?“

„Fast jedes Wochenende sind die auf Tour. Wenn ich da mal was mit ihm alleine machen will – keine Chance. Ich weiß schon gar nicht mehr, wann wir das letzte Mal zusammen aus waren. Neulich wollten wir diesen französischen Film zusammen ansehen, du weißt schon, den mit Audrey Tautou.“

Ja, der war mir bekannt.

„Im letzten Augenblick hieß es, er wäre auf Dennys Geburtstag eingeladen und da müsse er unbedingt hin.“

„Das ist ja echt… blöd. Aber du musst mit Freddy mal ernsthaft darüber reden, wenn du dich vernachlässigt fühlst und so. Sonst bleibt das auf ewig so.“

Aurélie nahm einen Schluck aus ihrer Kakaotasse und rief sogleich: „Au, der ist ja heiß!“ Sie fächelte sich mit der Hand Luft zu, warum auch immer. „Das möchte ich ja. Aber wie? Ich habe Angst, dass wir uns dann streiten oder dass er mir böse ist oder sonst etwas.“

„Das Risiko besteht leider immer. Aber glaub mir, wenn du mit ihm darüber redest, dann wird es schon besser. Irgendwie.“

„Wenn du meinst…“