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Valerie und der Priester

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Neulich bin ich auf ein interessantes Projekt gestoßen. Die atheistische Berliner Journalistin Valerie Schönian begleitet ein Jahr lang den Priester Franziskus von Boeselager. Und lernt enorm viel über ihn und seinen Glauben. Zu einigen Artikeln möchte ich jetzt meine Gedanken niederschreiben.

Zu Hause bei Franziskus im Sauerland

Valerie schreibt darüber, dass in Franziskus‘ Familie der christliche Glaube ganz selbstverständlich präsent war, anders als bei ihr. Das erinnerte mich an etwas, das mein Vater neulich gesagt hat. „Wir sind halt nicht damit aufgewachsen. Sonst wären wir vielleicht auch Christen geworden.“

Ich bin ja nun auch nicht damit aufgewachsen und habe mich trotzdem irgendwann taufen lassen, dachte ich gerade. Aber so ganz stimmt das ja auch nicht. In meiner Welt, anders als bei meinen Eltern, war der christliche Glaube ja durch Schule und Freunde durchaus präsent. Andererseits war die Mehrheit in meiner Heimat ja nicht evangelisch, sondern katholisch. Und ich habe immer gesagt, dass die Schulzeit mich dem Glauben nicht gerade näher gebracht hat. Hm.

Ich glaube, wer hier aufwächst, hat immer einen Bezug zu Gott. Man kann sich vielleicht gegen ihn entscheiden, aber ignorieren kann man die Idee von ihm nicht.

Das schreibt Valerie über Franziskus‘ Heimat, und ich glaube, bei mir in meiner kleinen Heimat nördlich der drittviertgrößten Stadt Niedersachsens war das genauso. Man konnte Gott und das Christentum da gar nicht ignorieren.

Franziskus‘ Eltern sagen, dass sie ihren Kindern den katholischen Glauben schon mitgeben wollten, nur weniger streng. Irgendwann werden mein Mann und ich sicher auch Kinder haben, und wir reden jetzt schon gelegentlich darüber, wie wir das mit dem Glauben genau machen wollen. Werden sie getauft? Beten wir mit ihnen? Gehen wir mit ihnen in die Kirche und wenn ja, in welche? Kommt an Weihnachten das Christkind oder der Weihnachtsmann? Alles noch ungeklärte, aber wichtige Fragen.

Valerie schreibt darüber, dass Franziskus vor dem Essen betet und dass sie vorher niemanden kannte, der das tut. Ich kannte auch nur eine Person und selbst die tut das nicht immer. Dann war ich drei Tage im Kloster. Die Schwester, mit der ich Kontakt hatte, betet grundsätzlich vorm Essen, egal, zu welcher Tageszeit oder wer mit ihr isst. Ich finde das gewöhnungsbedürftig und ich tue es selbst auch nicht. Aber falsch finde ich das nicht unbedingt. Für die Speisen, die man hat, sollte man schon dankbar sein.

In dem Text geht es auch darum, wie ein Unfall von Franziskus‘ Schwester die Eltern wieder näher zum Glauben führte. Ich finde es toll, dass die das geschafft haben. Ich meine, ich zweifle heute noch oft genug an Gott. Gerade, wenn mir irgendwas Schlimmes passiert.

Wandmomente: Unsere Gespräche über Homosexualität stecken fest

Wenn zwei so unterschiedliche Menschen wie Valerie und Franziskus aufeinandertreffen, bleibt es ja nicht aus, dass es manchmal hakt. Ein wichtiger Punkt ist da Homosexualität. Für Valerie wie für mich, sozusagen. Ich habe lange gezögert, mich einer christlichen Kirche anzuschließen, weil ich spürte, dass da für manche Menschen eben nicht alle gleich sind.

Franziskus sagt, dass nach dem Verständnis der katholischen Kirche eine Ehe darauf ausgerichtet ist, Kinder zu bekommen. Aber es gibt ja auch Paare, die keine bekommen können oder wollen. Was ist mit denen? Die dürfen heiraten. Gleichgeschlechtliche Paare können ja auch miteinander Kinder haben, Stiefkinder oder adoptierte Kinder zum Beispiel. Warum sollen die das nicht haben dürfen?

Franziskus sagt, dass er damit niemanden oder diskriminieren will. Ich sehe das ein bisschen anders.

Er ist genauso Christ wie ich. Aber es gibt da trotzdem einen Punkt, bei dem man nicht zusammenkommen kann. Ein Wandmoment halt, wie Valerie sagt.

Vorweihnachtszeit mit einem Priester

Ich muss ja sagen, Weihnachten ähnelt bei mir eher dem Weihnachten von Valerie – mit Weihnachtsmärkten, Plätzen, „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, geliebte Menschen treffen und so. Aber ein bisschen hat mich schon gestört, dass Weihnachten bei mir vergleichsweise wenig mit dem Christentum zu tun hatte die letzten Jahre. Obwohl ich ja Christin bin. Und seit 2013 Weihnachten jedes Jahr in der Kirche war. Letztes Heiligabend waren Monsieur und ich also im 23-Uhr-Gottesdienst. Und ich habe sogar aus meiner brandneuen Lutherbibel die Weihnachtsgeschichte vorgelesen. Monsieur hätte nicht unbedingt auf einem Kirchbesuch bestanden. Naja, er war auch lange Jahre Lektor und in seinem Leben wahrscheinlich öfter in der Kirche, als ich es je sein werde.

Als ich den Abschnitt über die Austeilung des Abendmahls las, wurde ich wieder wütend. Mich macht immer noch total krank, dass offiziell kein gemeinsames Abendmahl möglich ist. Und dass ich das vermutlich nicht mehr erleben werde.

Drei Gottesdienste und eine heilige Nacht

Weiter oben schrieb ich, dass ich es etwas schade finde, wenn Weihnachten wenig mit dem Christentum an sich zu tun hat. Nichtsdestotrotz denke ich, dass auch Nichtchristen das Weihnachtsfest feiern können. Valerie schreibt, dass es ihr um die Familie geht, und das finde ich auch gut.

Sie schreibt außerdem, dass sie beim dritten Gottesdienst verwirrt darüber ist, wann was gesungen und gemacht wird (beim letzten Gottesdienst war das ja noch ganz anders). Das Gefühl kenne ich gut. Selbst wenn ich in einen ganz normalen evangelischen Gottesdienst gehe, kenne ich einige Teile der Liturgie nicht. Und als ich im Kloster mitgebetet habe, meine Güte…

Ihr Glaube ist fast anfassbar.

Das ist, was bei mir mehr ankommt als die Worte, und das so viele Menschen an Weihnachten in die Kirche treibt, auch wenn sie sonst nie kommen.

Ich glaube, das war lange Jahre mein Problem. Glaube war für mich nie anfassbar quasi, und dann habe ich irgendwann Menschen getroffen, bei denen das anders war. Hätte ich diese Menschen nicht getroffen, wäre ich wohl keine Christin geworden.

tl;dr: Das Projekt „Valerie und der Priester“ ist sehr interessant. Es gibt viele wichtige Einsichten und ich denke, dass man viel lernen kann, wenn man Menschen kennen lernt, die ganz anders sind als man selbst. Offenheit natürlich vorausgesetzt.

Mit freundlichen Grüßen

Die Kitschautorin

Nachtrag vom 8. Dezember 2020: Vor einigen Jahren – ich weiß nicht mehr, wann genau – habe ich Franziskus von Boeselager sogar zufällig persönlich getroffen. Er war sehr freundlich.

Stöckchen oder nicht Stöckchen

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Vor einiger Zeit musste ich an das hier denken, und auch wenn mir das Stöckchen keiner zugeworfen hat, würde ich gern damit spielen.

12 Dinge, die dich ärgern

– Fremdenfeindlichkeit

– Homophobie

– Misogynie

– Krieg

– Leute, die, wenn sie einen Zug wegen einer Bombenentschärfung nicht nehmen können, sich lang und breit über die Unzuverlässigkeit der Bahn ärgern oder zig Mal erwähnen, dass sie schneller gewesen wären, wenn sie den Bus XY genommen hätten statt des Schienenersatzverkehrbusses

– wenn Züge zu spät kommen, weil die Bahn am falschen Ende spart und Gegengleise abbaut

– die Unfähigkeit der Betreuer in meinem bevorzugten Uni-Computerraum

– auf Gläubige herabblickende Menschen

– wenn mein Smartphone mitten in einer langweiligen Vorlesung leergeht

– die Engstirnigkeit gewisser alter Menschen

– das für mich zuständige Bafögamt

– Leute, die glauben, Depressionen könne man ganz einfach behandeln

11 Dinge, ohne die du nicht leben könntest

– Wasser

– Essen

– angemessene Temperaturen

– Mediziner

– Liebe

– Internet

– Bücher

– Schlaf

– Gott

– meinen schwarzen Kajal

– mein Smartphone

10 Dinge, auf die du dich freust

– endlich mit meinem Freund zusammenzuwohnen

– meine Bachelorarbeit

– das Abendessen

– die nächste Sitzung vom Gebärdensprachkurs

– den 4. Dezember

– den nächsten Gottesdienst mit meinem Lieblingspastor

– endlich diese Monty-Python-Sendung zu gucken, die ich vor vier Wochen aufnehmen ließ

– die Masterzeugnisverleihung eines gewissen Informatikers

– irgendwann mal Kinder zu haben

– den nächsten Urlaub

9 Dinge, die du täglich trägst

– einen BH

– eine Armbanduhr

– meine Brille

– einen Slip

– einen Titanring mit Diamant (mein Verlobungsring)

– mein Essen ins Zimmer

– Zweifel an der Zukunft

– meine Dreckwäsche irgendwohin

– einen Silberring (Geschenk von meiner Mutter)

8 Serien bzw. Filme, die du immer wieder schauen könntest

– “The King’s speech”

– “Ein Herz und eine Seele”

– “Die fabelhafte Welt der Amélie”

– “Hör mal, wer da hämmert”

– “Spongebob Schwammkopf”

– “Zwei glorreiche Halunken”

– “Der Vorname”

– “LOL – Laughing out loud”

7 Objekte, die du täglich anfasst

– Klopapier

– meinen Laptop

– die Fernbedienung meines DVD-Players

– meinen DVD-Player

– die Steckdosenleiste, an der mein Laptop, das dazugehörige Hub und mein DVD-Player hängen

– Besteck

– Gebäck

6 Dinge, die du jeden Tag tust

– aufs Klo gehen

– sprechen

– im Internet surfen

– lesen

– kochen

– an die Uni denken

5 Lebensmittel, ohne die du nicht leben könntest

– Nudeln

– Schokolade

– Erdbeeren

– Käse

– Tomaten

4 Menschen, mit denen du gerne mehr Zeit verbringen würdest

– die lustigen Leute von Alsterfilm

– meine beste Freundin

– mein bester Freund (der gleichzeitig auch mein zukünftiger Schwager ist, ist das nicht cool?)

– seine Freundin

3 deiner momentanen Lieblingslieder

– Muse – Hysteria

– Postmodern Jukebox feat. Robyn Adele Anderson – Talk dirty

– Pet Shop Boys – Go west

2 Menschen, die dein Leben sehr beeinflusst haben

– mein Vater

– seine Mutter

1 Mensch, mit dem du den Rest deines Lebens verbringen könntest

– mein Freund

So, fühlt euch frei, eure Meinung dazu oder eure eigenen Fragebogen-Füllungen in die Kommentare zu schreiben.

Mit freundlichen Grüßen

Die Kitschautorin

Krümelmonster, Teil 21

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Ich fühlte mich ganz verändert. Ich lief durch die Welt wie auf Zehenspitzen, ein bisschen, als schwebte ich über dem Boden.Vielleicht würde ich bald bereuen, was Kati und ich da gestern gemacht hatten. Vielleicht würde ich mich dann zum Teufel dafür wünschen, was ich da einfach unternommen hatte, es als kindlich und unüberlegt betrachten. Ich hatte ja nicht bedacht, dass Hannes, genauso wie Kati es nun schon mehrmals getan hatte, Rache nehmen und mir damit schaden könnte. War das alles wirklich richtig gewesen? In dem Moment wusste ich nur, dass es für mich richtig gewesen war, da ich mich jetzt viel besser fühlte und mit der Geschichte quasi abgeschlossen hatte. Erstaunlich eigentlich.

Mit Kopfhörern in den Ohren hatte ich meine Beine wie üblich gegen den Tisch vor mir gelehnt und schaute verträumt an die Decke. Verträumt ist vielleicht nicht das richtige Wort, ich ließ einfach meine Gedanken schweifen. Vor fünf Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich so etwas mal erleben würde. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wie mein Leben zum jetzigen Zeitpunkt aussehen würde. Damals bekamen all meine Klassenkameradinnen ihre ersten festen Freunde, während ich mit Anna auf dem Schulhof in der Ecke herumstand und abgeklärt über all die Tussen urteilte. Zu der Zeit konnte ich noch nicht ahnen, wann ich meine erste Erfahrung mit der Liebe haben würde und dass sie so eine Enttäuschung werden würde. Aurélie hatten wir damals erst kennengelernt, kaum zu glauben, dass wir jetzt mit ihr befreundet waren. Wir hatten sie da für genauso ein blödes Huhn gehalten wie die anderen Mädchen aus unserer Klasse. Erst später hatten wir festgestellt, dass sie doch schwer in Ordnung war. Vor fünf Jahren hatte Lea in einer schweren spätpubertären Krise gesteckt und jeden Tag mit Auszug von zu Hause gedroht. Und was war? Ich zog eher aus als sie. Ich hätte vor fünf Jahren auch nie gedacht, dass Lea jetzt schwanger werden würde. So früh? Nie im Leben. Die Leute bekamen doch immer später Kinder.

Mitten in meine Gedanken hinein klingelte mein Handy. Ich zuckte zusammen, hatte nicht mitbekommen, wie spät es war und ob die Vorlesung schon angefangen hatte. Gott sei Dank noch nicht. Mein Handy meldete eine SMS von – Lea. Wieso schrieb sie mir eine SMS? Hätte sie nicht einfach zu meinem Hörsaal rübergehen können? Ach ja, stimmte ja, heute hatte sie ja nur Vorlesungen auf einem anderen Campus. Wäre vermutlich etwas zu viel, mal eben acht Kilometer hin und zurück zu rennen.

Hast du heute Abend Zeit? Ich muss etwas ganz Wichtiges mit dir besprechen!, schrieb sie. Ich wurde schlagartig aufgeregter. Was konnte dieses Wichtige sein, über dass sie mit mir reden wollte? Hatte es etwas mit ihrem Baby zu tun?

Wie wäre es mit heute Abend um acht? Bring Aurélie und Anna mit!

Ich war mir total unklar darüber, was Lea mit uns besprechen wollte. Konnte es mit ihrem Baby zu tun haben, wenn die beiden dabei sein durften? Warum nicht? Aurélie und Anna waren doch schließlich auch ihre Freundinnen. Ich simste hin und her mit Anna, die einen Raum über mir saß, soweit ich wusste, Aurélie, die heute erst um elf Uhr in der Uni sein musste, und meiner Schwester. Schließlich hatten wir uns auf halb neun – Anna konnte nicht früher – in der WG geeinigt, aber abschließen konnte ich mit dem Thema noch lange nicht. Falls ich vorher nur leicht verträumt war, so war ich jetzt stark abgelenkt und spielte in meinem Kopf unendlich viele Szenarien von dem durch, was ich an diesem Abend erleben würde.

Wieso erwartete mich von einem Moment auf den anderen wieder so etwas Schwerwiegendes? Furchtbar war das! Am laufenden Band passierten in meinem Leben auf wenige Tage komprimiert so furchtbar viele Dinge. Inzwischen ging ich fest davon aus, dass Lea uns dreien mitteilen wollte, ob sie das Baby behalten wollte oder nicht. Doch warum sollte sie diese Entscheidung so schnell fällen? Sie hatte doch erst vor kurzem festgestellt, dass sie schwanger war.

In raschen Rückblenden zog dieser Tag an meinem inneren Auge vorbei. Gero und ich im rasenden Krankenwagen, Lea bleich und ohnmächtig vom Schock auf der Liege, an Maschinen angeschlossen, Wiederbelebungsversuche. Gero und ich total aufgeregt vor lauter Panik und schließlich der Arzt, der uns auf seine verschwurbelte Art mitteilte, dass Lea im dritten Monat schwanger sei.

Im dritten Monat…

Wollte sie etwa abtreiben? Wenn ja, dann würde sie es bald tun müssen, rechnete ich aus. Ich konnte es mir irgendwie nicht vorstellen. Vielleicht wollte ich es mir auch einfach nicht vorstellen. Natürlich kam das Baby einfach zum total falschen Zeitpunkt. Die beiden steckten mitten im Lehramtsstudium und wollten nächstes Jahr den ersten Abschluss machen. Geld hatten sie auch kaum, unabhängig waren sie nicht wirklich. Und trotzdem war da in mir irgendwo ein kleiner Kern, der sich wünschte, dass sie ihr Kind trotzdem haben wollten.

„Sag mal, wieso bist du eigentlich so unaufmerksam?“, sprach mich das nervige blonde Mädel aus meiner Arbeitsgruppe an, nachdem ich mich halb nervös, halb wahnsinnig durch den Tag geschleppt hatte. „In den letzten paar Tagen hast du doch so gut mitgearbeitet.“

Sie klang wie Frau Heidemayer, die Lehrerin, die mir die gesamte Kursstufe zur Hölle gemacht hatte. „Wahrscheinlich geht das in deinen Kopf nicht rein, aber es gibt Menschen, die so etwas wie ernsthafte Probleme haben! Dass man da nicht aufpasst, ist vielleicht verständlich!“, fuhr ich sie an. Sie wich zurück. „Tschuldigung, kann ich doch nicht wissen! Wieso sagst du denn nichts?“

„Weil es niemanden etwas angeht!“

Ich versuchte, mich für den Rest der Sitzung zusammenzureißen, was mir nicht richtig gelang.

Dementsprechend nervös kam ich um kurz nach halb neun an der WG meiner guten Freundinnen Anna und Aurélie an. Allein. Lea wollte aus irgendwelchen Gründen getrennt von mir anreisen. War das überhaupt das richtige Wort? Was wusste ich denn?

Bevor ich ins Treppenhaus ging, atmete ich tief durch. Bei meiner Ankunft saßen alle bereits im Wohnzimmer. Die Glieder peinlich ordentlich sortiert. So, wie wir früher immer am Esstisch sitzen sollten, woran wir uns natürlich nie gehalten hatten. Gero war ebenfalls anwesend.

Eine Zeit lang saßen alle nur da und sagten kein Wort. Irgendwann räusperte sich Lea und setzte an: „Na ja, ich hab euch heute alle versammelt, weil Gero und ich mit euch reden müssen…“

„Ja, es geht um etwas sehr Wichtiges…“, fuhr Gero fort.

Nun gut, das wussten wir ja schon. „Worum geht es denn?“, fragte ich ungeduldig.

„Es geht um etwas, das unser ganzes Leben verändern wird. Na ja“ – Gero korrigierte sich – „eigentlich hat es unser Leben schon verändert.“ Lea nickte.

Also ging es um das Baby. Mein Herz klopfte noch schneller, wenn das überhaupt noch möglich war. Jetzt würde sich alles entscheiden.

„Anna, Aurélie, ihr habt es sicher schon mitbekommen – ich bin schwanger“, sprach Lea aus. Die Angesprochenen nickten. „Am Anfang war ich total verzweifelt.“

„Wir beide“, warf Gero ein.

„Ja, klar. Ich meine, wir beide sind erst 22 und jetzt hat es uns so überrascht.“ Lea seufzte. „Was soll man in so einer Situation schon machen? Es kam wirklich aus heiterem Himmel.“

„Also, eins habe ich noch nicht verstanden“, sagte Aurélie, „warum ist euch das eigentlich passiert? Habt ihr nicht verhütet oder wie?“

„Doch, ich habe die Pille genommen“, erklärte Lea, „aber sie hat nicht gewirkt. Wahrscheinlich habe ich sie nicht vertragen. Jedenfalls habe ich das nicht gewusst und deswegen hab ich das ja auch erst so spät gemerkt. Ich bin schon im dritten Monat!“

„Im dritten Monat?“, echote Aurélie erstaunt.

„Ja, und deswegen hab ich mich auch ganz schnell entscheiden müssen.“ Lea räusperte sich. „Willst du es ihnen sagen oder soll ich?“ Sie sah Gero an.

Ich versuchte, in ihren Gesichtern zu lesen. Neutral waren sie, ohne jedes Indiz für das, was gleich kommen würde. So sehr ich mich anstrengte, ich konnte kein Zeichen erkennen.

Im Zimmer war es so leise, dass man einer Feder beim Auf-den-Boden-Fallen hätte zuhören können. Keiner sagte ein Wort.

„Na ja… wie soll ich sagen“, ergriff Gero schließlich das Wort. Schlagartig zogen sich seine Mundwinkel nach oben, und bevor ich das irgendwie deuten konnte, rief er: „Wir wollen das Baby bekommen! Ich werde Vater!“

Wir brachen in Jubel aus. Lea und Gero umarmten sich, ich stürmte vor Freude allen Personen im Raum nacheinander in den Arm und konnte es vor Glück gar nicht fassen: „Du wirst Vater, das heißt, du wirst Mutter, das heißt, ich werde Tante! Super!“

Eilig langte Gero hinter die Sofaecke, um fünf Gläser und eine Flasche Sekt hervorzuholen. Alkoholfrei, damit Lea auch etwas davon trinken konnte. Wir stießen an:

„Auf das Baby!“

„Auf die werdenden Eltern!“

Jahresrückblick 2013

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1.       Ganz grob auf einer Skala von 1 bis 10: Wie war dein Jahr?

8. Es ist kein großer Mist passiert wie die letzten beiden Jahre, aber einige sehr schöne Sachen.

2.       Zugenommen oder abgenommen?

Es wird wohl ungefähr gleich geblieben sein. Zumindest sehe ich nicht wesentlich fetter aus.

3.       Haare länger oder kürzer?

Mehr oder weniger gleich… irgendwie finde ich einfach, dass mir kurz vor schulterlang am besten steht.

4.       Kurzsichtiger oder weitsichtiger?

Weder noch, allerdings ist laut Optikertest eine Hornhautverkrümmung dazugekommen. Ich war deswegen aber noch nicht beim Augenarzt. Müsste ja auch erst mal wieder einen guten finden.

5.       Mehr Kohle oder weniger?

Ein bisschen weniger, weil mir vom Bafög-Höchstsatz jetzt knapp 150 Euro abgezogen werden, aber das ist okay.

6.       Besseren Job oder schlechteren?

Schlechter.

7.       Mehr ausgegeben oder weniger?

Genau kann ich das nicht sagen. Ich habe aber versucht, mich etwas zurückzuhalten.

8.       Dieses Jahr etwas gewonnen und wenn, was?

Mrs Elch hat Mutterpasshüllen verlost, ich habe mitgemacht, eine gewonnen und sie an eine zu dem Zeitpunkt schwangere Freundin weitergegeben.

9.       Mehr bewegt oder weniger?

Mehr, ich gehe jetzt einmal in der Woche schwimmen.

10.   Anzahl der Erkrankungen dieses Jahr?

Ein paar Erkältungen und dieses merkwürdige Brustdrücken. Also, vielleicht drei. Smiley mit geöffnetem Mund

11.   Davon war für dich die Schlimmste?

Natürlich das Brustdrücken. Ich dachte teilweise, ich müsste sterben.

12.   Der hirnrissigste Plan?

Das Praktikum in der zweitgrößten Stadt Deutschlands.

13.   Die gefährlichste Unternehmung?

Den ganzen Tag bei stechender Sonne draußen herumzulaufen. Das hat mich ins Krankenhaus gebracht.

14.   Die teuerste Anschaffung?

Vermutlich irgendwelche Zugtickets.

15.   Das leckerste Essen?

Mein Freund und ich haben vor einigen Wochen zusammen eine göttliche Lasagne gemacht.

16.   Das beeindruckendste Buch?

Philippe Pozzo di Borgo – “Ziemlich beste Freunde. Das zweite Leben des Philippe Pozzo di Borgo”.

17.   Der ergreifendste Film?

“Der Butler”. Ich hätte nicht so leben können wie er. Ich wäre regelmäßig explodiert.

18.   Die beste CD?

Ich habe mir in diesem Jahr keine CD gekauft.

19.   Das schönste Konzert?

Ich war nur auf einem Konzert, aber das war ganz cool – Emil Bulls.

20.   Die meiste Zeit verbracht mit?

Mit meinem Freund.

21.   Die schönste Zeit verbracht mit?

Mit meinem Freund.

22.   Zum ersten Mal getan?

Eine Hochzeitsmesse besucht. In einem evangelischen Gottesdienst gewesen (und zwar an Weihnachten sowie im Ausland, außerdem wurde er von einer Frau geleitet). Einen White Russian getrunken. An einer Internet-Fernsehsendung teilgenommen. Durch eine Uniklausur gefallen. Ein indisches Restaurant besucht. Eine Zeitschrift abbestellt. Mit einer Frau zusammengewohnt, mit der ich nicht verwandt war. Diverse Rezepte ausprobiert, z.B. grünes Pesto und Nougatringe. Meinen Laptop in die Reparatur gegeben. Einen Graphic Novel gekauft. Bei “Gay in May” gewesen. Gegenstand eines Interviews gewesen. Zwecks Recherche die Juristenbibliothek besucht. Die Hamburger Unimensa ausprobiert. Ein Museum in der zweitgrößten Stadt Deutschlands besucht. Ein Telefoninterview geführt, bei dem ich nicht mitschreiben konnte und das dazu noch sehr merkwürdig verlief. In Hessen gewesen. Ein Buch auf Reisen geschickt. Eine Obdachlosenzeitung gekauft. Erdnuss- und Mohn-Mandel-Eis gegessen. Fleisch mit Gesicht zu mir genommen. Eine Petition gestartet. In einem bosnischen Restaurant gewesen. Die Nudelbar meiner Mensa ausprobiert. Sarrazin gelesen. Heißen Met probiert. Die Bundeskanzlerin live gesehen.

(Heilige Scheiße, ist das viel…)

23.   Nach langer Zeit wieder getan?

Mir einen angetrunken.

24.   Dinge, auf die ich gut hätte verzichten können?

Heimweh. Diverse Seminarssitzungen. Frage 11.

25.   Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?

Meine Petition zu unterschreiben.

26.   Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe?

Eine DVD von “Susi und Strolch”.

27.   Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat?

Das zweite Fotobuch von Farin Urlaub.

28.   Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat?

„Ich liebe dich und möchte für immer mit dir zusammen sein.“

29.   Der schönste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe?

So ziemlich dasselbe wie bei Frage 28.

30.   Dein Wort des Jahres?

Christentum.

31.   Dein Unwort des Jahres?

Linksgrün.

32.   Dein(e) Lieblingsblogs des Jahres?

“Topf voll Gold” und Publikative.org.

33.   Verlinke deine Rückblicke der vorigen Jahre.

https://kitschautorin.wordpress.com/2012/01/01/jahresruckblick-2011/

https://kitschautorin.wordpress.com/2012/12/23/soundtrack-of-2012/

https://kitschautorin.wordpress.com/2013/01/01/2013-omfg/

Mit freundlichen Grüßen und Wünschen für das Jahr 2014

Die Kitschautorin

Geschützt: Existierende und ehemalige Staaten

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Krümelmonster, Teil 16

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As they drag me to my feet
I was filled with incoherence
Theories of conspiracy
The whole world wants my disappearance
I’ll go fighting nail and teeth
You’ve never seen such perseverance
Gonna make you scared of me
’cause haemoglobin is the key
Haemoglobin is the key
To a healthy heartbeat

Wo war ich? Ich lag an einem mir unbekannten Ort. Nachdem ich mühsam meine Augen geöffnet hatte, erkannte ich, dass mir eine Lampe ins Auge schien. Es war die Flurlampe vom Wohnheim. Ich lag neben der Zimmertür und über mir befanden sich einige Gesichter. Wer war das? Nach und nach erkannte ich drei Personen. Es waren Lea, Hannes und ein Mensch, den ich einfach nicht wiedererkennen wollte. Wahrscheinlich kannte ich ihn gar nicht. Ich fühlte mich total schwach und der Schweiß stand mir auf der Stirn. Als ich endlich einige Worte sagte, kamen sie wie ein Flüstern heraus:
„Hannes? Wer… wo bin ich? Was ist passiert?“
„Du bist einfach umgekippt“, berichtete Lea.
„Du hast wahrscheinlich seit ein paar Tagen nichts mehr getrunken“, informierte mich der unbekannte Mensch. Worauf Hannes rief: „Ich hab dich wiederbelebt.“ Der andere Typ schaute ihn an. Ziemlich lange, soweit ich das erkennen konnte.
„Was machst du denn für Sachen? Es reicht doch, wenn eine von uns in Ohnmacht fällt“, sagte Lea.
Da fiel es mir auf. Ich hatte tatsächlich vergessen, etwas zu trinken. Seit dem Mittagessen mit Anna in der Unimensa von vor zwei Tagen hatte ich nichts mehr getrunken. Omas Tee, den sie mir hingestellt hatte, hatte ich in der Aufregung nicht angerührt. Oh Mann. Dabei wusste ich doch, dass so etwas zweifellos zur Bewusstlosigkeit führte. Hatte ich das nicht sogar in der Bioprüfung beim Abi gehabt?
„Du brauchst jetzt auf jeden Fall Flüssigkeit, sonst wird es erst richtig gefährlich für dich“, erklärte der unbekannte Typ.
Ich nickte vorsichtig mit dem Kopf. Da stand Hannes auf. „Das übernehme ich. Kannst du aufstehen, Sara?“
„Aber…“, wollte Lea protestieren. „Wir sollten…“
„Ich glaube schon…“
Vorsichtig erhob ich mich und dabei nahm Hannes mich in seine starken Arme. Er nahm mich mit in sein Zimmer, in dem ich erst vor zwei Tagen zu Gast gewesen war. Ich wurde in sein Bett gelegt und Hannes bediente sich an einem kleinen Kühlschrank, der in der Ecke stand.
Nach und nach flößte er mir etwas zu trinken ein. Ich konnte nicht erkennen, was es genau war, aber eine Flasche Cola bekam ich auch.
Dabei hielt Hannes mich immer noch im Arm und ich fühlte mich total komisch. Nicht nur körperlich gesehen.
Was machte ich hier? Hatte ich mir nicht vorgenommen, den Menschen zu ignorieren? Er hatte sich wie ein komplettes Arschloch verhalten und mir damit voll weh getan. Und jetzt lagen wir hier und er sorgte dafür, dass ich wieder auf den Damm kam und ich wusste absolut nicht, was ich davon halten sollte.
„Wie kannst du einfach vergessen, zu trinken? So etwas passiert doch nicht einfach“, wunderte er sich.
„Doch, das passiert. Siehst du ja“, murmelte ich. „Verschiedene Leute haben mein Leben so durcheinandergewirbelt, dass ich einfach nicht mehr wusste, was ich tun sollte.“ Das klang jetzt irgendwie pathetisch, aber es stimmte ja doch.
Schuldbewusst musterte Hannes seine Schuhspitzen. War er wirklich schuldbewusst? Ich wusste es nicht.
„Wenn mich eine Frau so aus der Bahn wirft“, antwortete er schließlich, „kann so etwas vorkommen. Ich wusste einfach nicht, was ich machen sollte, ich bin schließlich noch in einer Beziehung.“
Wie schräg klang das denn? Noch in einer Beziehung. So nüchtern und kalt, Beamtendeutsch irgendwie. Das nahm ich ihm nicht ab. Ich ließ meine Augen durchs Zimmer wandern und entdeckte unter anderem zwei Paar Highheels.
„Wusste gar nicht, dass du Highheels trägst“, bemerkte ich trocken. Ich richtete mich auf. Es schien mir langsam wieder besser zu gehen.
„Ähm… Die gehören Kati…“, stammelte er.
„Wo ist sie?“
„Ähm, die ist noch einkaufen…“
Um elf Uhr abends? Na sicher doch. Welche Läden gab es denn hier in der Nähe, die so spät noch auf hatten? Ich kannte keine.
„Welcher Markt hat denn so spät noch geöffnet?“
„Sie ist zum Hauptbahnhof gefahren, da in der Nähe gibt’s einen, der bis Mitternacht auf hat…“ Hannes guckte überall im Raum herum.
„Ach was. Hannes, sei mir nicht böse, aber ich möchte jetzt gerne zu meiner Schwester gehen.“
„Ach, das war deine Schwester?“ Das hatte er nicht gemerkt? Armleuchter.
Ich richtete mich auf, doch er hielt mich zurück. „Nein, nein, du bleibst schön hier liegen.“
Jetzt nahm er meine Hand und schaute mir tief in die Augen. Mir wurde ja fast erneut schwindelig. Diese grünen Augen…
„Sara, es tut mir wirklich sehr Leid, wie ich mich verhalten habe. Ich weiß, ich war ein kompletter Idiot, und mir ist die ganze Sache nur passiert, weil mich das mit dir unheimlich nervös macht. Ich wusste einfach nicht, wie ich mich entscheiden sollte, aber jetzt weiß ich, dass ich nur mit dir zusammen sein möchte. Ich habe mich in dich verliebt.“
Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte. Ich konnte es einfach nicht glauben. Soeben hatte ich die erste Liebeserklärung meines Lebens bekommen. Noch nie hatte jemand solche Worte zu mir gesagt. Und ich wusste nicht, ob ich das wirklich glauben konnte, denn sie kamen aus dem Mund des Mannes, mit dem ich erst geschlafen hatte und der mich danach komplett ignoriert hatte. Was ging denn hier ab? Hatten sich die himmlischen Drehbuchschreiber mal wieder einen Spaß mit meinem Leben erlaubt?
„Ich würde gerne wissen, wie du darüber denkst“, riss Hannes mich aus meinen Gedanken. „Natürlich musst du dich nicht sofort entscheiden.“
Ruckartig schwang ich mich aus dem Bett. „Ich brauche noch einige Zeit, um mir über meine Gefühle klar zu werden. Ich möchte jetzt zu meiner Schwester gehen. Gute Nacht.“ Und weg war ich.
Vor meiner Tür unterhielten sich Lea und der mir unbekannte Mensch immer noch. Als sie mich bemerkten, drehten sie sich ruckartig um.
„Gute Besserung“, sagte der Typ noch, lächelte mich an und verschwand dann um die Ecke.
„Wer war das denn?“, wunderte sich Lea und zeigte dabei auf die Tür von 215.
Ich gähnte. „Erzähl ich dir morgen früh, okay? Ich bin jetzt echt total müde.“ Ich schloss die Zimmertür auf, ließ mich auf mein Bett fallen und war innerhalb weniger Minuten eingeschlafen.

Krümelmonster, Teil 15

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Drei Stunden später fuhr ich mit dem Zug wieder zurück. Mir ging es noch nicht richtig gut, aber bereits um einiges besser. Ich konnte es kaum glauben, dass ich mit meiner Oma über solche Dinge gesprochen hatte. Keine Ahnung, wie oft ich mich schon verknallt hatte, aber wenn das passiert war, hatte ich höchstens mit Anna und Aurélie darüber geredet. Ich war eigentlich der festen Meinung gewesen, dass mein Liebesleben meine Altvorderen nichts anging. Aber so schlimm hatte ich es jetzt gar nicht gefunden, mit meiner Oma über nichtsnutzige Kerle zu diskutieren. Lag das am Alter? Konnten wir uns langsam auf Augenhöhe begegnen? Ich wusste es nicht.

Jedenfalls kam ich um einiges befreiter und fünfzehn Minuten zu spät am Treffpunkt an. Anna saß bereits am Zaun vorm Haus und schlürfte einen Kaffee zum Mitnehmen. Die wurden auch immer moderner.

„Hi“, begrüßte ich sie. „Sorry, dass ich zu spät komme, aber ich bin noch spontan nach Hause gefahren.“

„Wieso das denn?“

„Mir war so danach. Nachdem Aurélie mich so angemacht hat, konnte ich einfach nicht mehr – da bin ich zum Bahnhof gelaufen.“

„Wie, sie hat dich angemacht?“, wollte Anna wissen. „Was ist denn nun schon wieder los?“

„Komm mit ins Haus“, forderte ich sie auf.

In meiner Bude setzte ich erst einmal Kakao auf, denn von all der Kälte da draußen war ich schon fast zur Eisprinzessin geworden. Mit der dampfenden Kanne und meinem Ich-bin-hier-der-Boss-Becher ließen wir uns am Tisch bei der Kochecke nieder.

„Nun, das war so“, eröffnete ich die Geschichte. „Ich war doch ziemlich durcheinander, weil Lea mit ’nem Baby im Krankenhaus liegt. Im Krankenhaus musste man doch sein Handy ausmachen und weil ich so durcheinander war, hab ich nicht mehr dran gedacht, es anzumachen. Und dann ist auch noch die Sache mit der CD passiert.“

„Welche CD?“

„Du weißt schon, diese CD, die ich in Paris gekauft hab, die mit den französischen Liedern“, erklärte ich ihr. Anna nickte.

„Nun, ich kam gestern Abend nach Hause und da lag diese CD in tausend Einzelteilen auf dem Bett und das Booklet war zerrupft. Und es stank permanent nach Kati.“

„Hä? Wieso das denn?“

„Na, Chanel Nummer fünf! Ihr Lieblingsparfüm. Das kann nur sie gewesen sein!“

„Aber wie kam die denn in dein Zimmer?“ Das verstand Anna nicht und ich genauso wenig. „Keine Ahnung. Aber das schafft die bestimmt irgendwie. Da muss sie nur vom Hausmeister den Pulli hochziehen und schwupps, gibt er ihr den Ersatzschlüssel.“

„Ich hab’s ja geahnt, als du mir erzählt hast, dass du mit Hannes geschlafen hast“, rief Anna. „Hättest du mal…“

„Ich brauch jetzt kein ‚Hättest du’!“, brauste ich auf. „Ich weiß selber, dass ich totalen Scheiß gebaut hab. Nie im Leben hätte ich meine Jungfräulichkeit an so einen Typen verschwenden sollen! Er ignoriert mich einfach.“

Lauernd fragte Anna: „Tut weh, was?“

„Ja, es tut weh. Aber ich hab mich einfach mitreißen lassen! Es tat so weh, als er gestern mit Kati im Café saß und den anderen Mädels hinterhergeguckt hat. Ich werde ihn wohl einfach ignorieren müssen.“

„Das ist wohl das Beste, was du im Augenblick tun kannst“, stimmte Anna zu. „Aber was war denn jetzt mit Aurélie?“

„Naja, ich war da doch gestern am Arbeiten und da brauste Aurélie auf einmal auf mich zu und brüllte mir ins Gesicht, was Freddy doch für ein Idiot wäre und dass ich so egoistisch sei und ihr nicht helfen wollte. Da hab ich zurückgekeift, was sie sich eigentlich einbilden würde und dass sie nicht der Nabel der Welt sei, und bin gegangen.“

„Au Backe.“ Da lehnte sich Anna zurück und rieb sich die Stirn. „Jetzt ist sie total eingeschnappt. Die war ja vorher schon auf hundertachtzig.“

„Ich weiß.“

„Jetzt brauchen wir dringend eine Lösung“, stellte meine beste Freundin fest und sprang auf. Sie setzte sich auf mein Bett.

„Ach was. Da wäre ich von alleine ja nicht drauf gekommen“, versetzte ich. Nachdem ich die Kakaokanne geleert hatte, setzte ich mich Anna gegenüber auf meinen Schreibtischstuhl.

Sie überlegte. „Warum genau läuft denn bei den beiden zur Zeit alles so schief?“

„Aurélie klammert sich voll an Freddy und er versucht, das mit fadenscheinigen Begründungen zu umgehen. Also denkt Aurélie, dass es daran liegt, dass er sie nicht mehr attraktiv findet und ergreift total schwachsinnige Maßnahmen, wie zum Beispiel das Blondieren ihrer Haare.“

„Ein überaus scharfsinniger Kurzabriss“, lobte Anna mich. Ich verbeugte mich.

„Irgendwie müssen wir die beiden zum Reden bringen“, meinte ich.

„Ja, aber wie?“, fragte Anna. „Die beiden schreien sich ja an, wenn sie sich nur sehen.“

Ich antwortete: „Das müssen wir irgendwie verhindern, sonst sprechen die sich ja nie aus. Eigentlich müssten wir unsere Freunde mal zusammen einschließen.“

„Hey, du bringst mich da auf eine Idee“, erwiderte Anna plötzlich mit einem verschlagenen Grinsen.

 

Ein paar Momente später hatten wir den perfekten Plan entwickelt. Wir würden unsere guten Freunde Aurélie und Freddy mal zu einem DVD-Abend einladen. Natürlich ohne das Wissen des jeweils anderen Partners.

Da Anna noch etwas für die Uni lernen musste, verabschiedete sie sich irgendwann gegen halb elf. Danach saß ich auch noch am Schreibtisch und ging die Vorlesungsunterlagen durch. Doch statt mich mit Staatsphilosophie zu befassen, schwirrten mir tausend andere Gedanken durch den Kopf.

War es leicht, einen anderen Menschen zu ignorieren? Ich besaß wahrscheinlich nicht die geistige Reife, das zu tun. Wie war es eigentlich dazu gekommen, dass ich so sehr im Rausch der Gefühle war, dass ich mit einem Mann schlief, mit dem ich kaum drei Sätze gewechselt hatte? So etwas hätte ich doch sonst nie getan. Das war Magie, sagten die Leute häufig. Etwas anderes konnte es auch kaum gewesen sein, denn ich war wie verhext. Meine Empfindungen waren wie durcheinandergewirbelt. Was empfand ich denn? War es Liebe? Verknalltheit? Sexuelle Anziehung? Oder alles zusammen? Ich vermochte es nicht zu sagen.

Von irgendwoher ertönten Geräusche. Hörte sich an wie ein Film. Das kam von nebenan! Aus 215!

Ich presste mein Ohr an die Wand. Ein Gespräch zwischen Mann und Frau. Sie schienen zu streiten und dann fing die Frau an zu weinen, der Mann wollte sie trösten. Leider verstand ich den Wortlaut des Gesprächs nicht.

Und so etwas sah Hannes sich an? Nein, er bestimmt nicht. Bestimmt hing Kati wieder bei ihm rum und sah sich so einen schnulzigen Liebesfilm an, in dem die Frauen immer Schuhe kauften und die Männer immer Fußball sahen, und währenddessen saß Hannes mit dem Laptop auf dem Bett und spielte Computerspiele.

Na super, so toll klappte das mit dem Ignorieren! Wie sollte man auch jemandem aus dem Weg gehen, der neben einem wohnte??? Das hatten all die schlauen Leute, die mir Ratschläge erteilen wollten, gar nicht bedacht!

Ich rief Anna an. Es dauerte eine Weile, bis sie ranging, ich mutmaßte, dass sie bereits im Bett gelegen hatte. Doch als sie sich meldete, klang sie hellwach.

„Hallo, Sara, was gibt’s?“

„Na ja… ähm… ich wollte fragen, ob ich morgen bei euch übernachten kann… aber das muss auch nicht! Ich wollte nur fragen…“

Anna lachte. „Na klar kannst du hier schlafen! Wieso bestehst du denn auf einmal darauf?“

„Na ja… Mir gefällt es hier grad irgendwie nicht mehr…“

„Wieso das denn?“ Doch da verstand Anna von alleine. „Ach so. Na gut, dann meld dich mal bei mir, wenn du vor der Tür stehst. Okay?“

„Ja, mach ich. Bye.“

„Bye.“ Ich legte auf.

Im selben Moment klingelte es an der Tür. Nicht an der Haustür, sondern an meiner Zimmertür. Komisch, das hatte noch nie jemand gemacht. Ich rappelte mich von meinem Liegeplatz neben der Wand auf und mir wurde auf einmal richtig schwindelig. Ich musste mich an der nächsten greifbaren Ecke festhalten. Klar, so etwas geschah schnell, wenn man zu schnell aufstand, das wusste ich. Benommen lief ich zur Tür und machte auf.

Vor der Tür stand Lea. „Hey, Sara, ich wurde aus dem Krankenhaus entlassen. Was ist los? Warum bist du denn so blass? Sara?“

Krümelmonster, Teil 10

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Eine halbe Ewigkeit später trat ein großer, älterer Mann im weißen Kittel aus der Tür. Gero sprang sofort auf und ließ mich damit fast auf den Nebenstuhl fallen. „Ist Lea wieder bei Bewusstsein? Wie geht es ihr? Nun sagen Sie schon!“

Ich spürte, wie mein Herz schlug. Der Arzt schüttelte ihn notdürftig ab und antwortete: „Die Patientin ist jetzt wieder bei Bewusstsein.“

„Geht es ihr gut? Was ist mit dem Baby?“, rief ich, nicht weniger alarmiert.

„Soweit wir das feststellen konnten, ist mit dem Kind alles in Ordnung. Es werden allerdings weitere Untersuchungen nötig sein“, erklärte der Arzt. „Sie dürfen jetzt zu ihr, allerdings bitte einzeln.“ Er ging davon.

Gero und ich sahen uns an.

„Möchtest du zuerst reingehen?“, fragte ich ihn.

„Ja, bitte.“

Ich wusste nicht, was ich denken sollte, als ich nun ohne Gero auf dem Flur saß. Ich winkelte meine Beine an und umschlang sie mit den Armen. Die Gedanken kamen und gingen im Halbsekundentakt, während irgendwelche namenlosen Ärzte und Krankenschwester über den Flur stratzten.

Heute Morgen war ich aufgekratzt gewesen vor Glück und jetzt war ich so niedergeschlagen, wie es nur ging. Die Angst um meine Schwester hatte mich krank gemacht, und der Umstand, dass plötzlich eine kleine Person aufgetaucht war, wirbelte die ganze Situation durcheinander. Und was würde unsere Familie nur sagen?

Mir lief es kalt den Rücken herunter. Die Familie! Sie würden nicht gerade vor Glück schreien, das war klar.

„Du bist doch selbst noch ein Kind!“

„Das war ja klar, dass du wieder nicht aufpassen konntest! Du und dein nichtsnutziger Freund!“

„Und woher wollt ihr das Geld dafür nehmen?“

So oder so ähnlich stellte ich mir die Reaktionen unserer Familie auf Leas Schwangerschaft vor. Wahrscheinlich würden unsere Eltern Lea aus dem Haus schmeißen und Oma würde sie enterben, sie würden ihr jegliche Unterstützung streichen, so malte ich es mir aus. Unsere Eltern wären nicht eben begeistert davon, mit Mitte 40 schon Großeltern zu werden, das wusste ich ganz genau.

Ich hasste dieses Warten, es machte mich krank! Immer wieder stierte ich zur verschlossenen Zimmertür. Was beredeten die da drin wohl gerade? Was dachte Lea gerade? Ich vermochte es nicht, es mir auszumalen.

Irgendwann ging die Tür auf und Gero kam heraus. „Lea möchte dich jetzt sprechen. Sag mir bitte Bescheid, wenn ihr fertig seid. Ich gehe mal in die Cafeteria.“ Und weg war er.

Auf wackligen Beinen ging ich ins Zimmer.

Meine große Schwester lag im Bett, mit ausgestrecktem linkem Arm, wegen der Infusion. Sie wirkte sehr blass und als ich neben dem Bett stand, merkte ich es: Sie weinte.

Wortlos nahm ich sie in den Arm und streichelte ihr den Rücken. Sie weinte wie ein Springbrunnen, bis das Licht orangefarben ins Zimmer scheinte.

Ich wusste gar nicht, was ich zuerst sagen sollte. Die ersten Worte, die mir dann über die Lippen kamen, waren: „Was hat er gesagt?“

„Wer?“, schniefte Lea.

„Dein Verlobter“, antwortete ich.

„Was meinst du?“, entgegnete Lea, zu Recht verwirrt.

„Er hat sich als dein Verlobter ausgegeben, damit er mitfahren durfte. Sonst hätten sie ihn doch nie im Leben mitkommen lassen.“

„Phh“, schnaubte Lea. „So verliebt hat er gerade aber nicht gewirkt. Die ganze Zeit rief er: ‚So ein Mist, was machen wir jetzt?‘ Und wollte nicht eine Sekunde wissen, was ich darüber denke. So ein Arsch!“ Wütend schmiss sie ihr Kissen mit dem unangezapften Arm an die Wand.

Wenn ich es bis jetzt noch nicht gewusst hätte, dann hätte ich spätestens jetzt gewusst, dass die Situation ernst war, denn nicht mal im schlimmsten Streit hatte Lea ihren Freund als Arsch bezeichnet.

„Was denkst du denn darüber?“, wollte ich von ihr wissen.

„Was ich darüber denke? Ich denke darüber, dass ich keine Ahnung habe, was ich machen soll, und ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll, dass ich nicht Diabetes habe, wie ich eigentlich dachte, oder ob ich mich ärgern soll, weil ich jetzt Mutter werde! So ein Mist, was machen wir jetzt? Ach, verdammt!“ Lea fing wieder an zu weinen.

Ich streichelte ihr über den Kopf.

„Und was werden erst Mama und Papa sagen? Die schmeißen mich doch aus dem Haus, wenn sie das erfahren!“, schluchzte sie.

„Das werden sie schon nicht tun. Das dürfen sie gar nicht!“, versuchte ich, sie zu trösten. „Als deine Eltern sind sie gesetzlich verpflichtet, dich zu unterstützen.“

„Selbst wenn…“ Lea wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Gero verlässt mich doch garantiert, solche Geschichten hört man doch immer wieder. Wieso sollte er denn jetzt noch bei mir bleiben? Er wirkte nicht gerade begeistert, als er gerade hier war.“

„Weil er dich liebt, zum Beispiel? So, wie er um dich besorgt war, gerade, wirkte er nicht, als wollte er dich fallen lassen. Also, wenn er dich nicht liebt, dann… weiß ich auch nicht. Denkst du wirklich, dass er dich wegen dieser Sache verlässt? Die fehlende Begeisterung kannst du ja wohl kaum zählen. Du weißt, dass die Situation ernst ist, und daran bist du ja wohl auch ein bisschen schuld.“

„Das weiß ich doch!“, fauchte Lea. „Es ist nur… Es kommt alles so schnell, von einer Sekunde auf die andere werden unsere Leben so schnell verändert und ich kann nichts dagegen tun…“

„Aber du kannst das Beste daraus machen“, fiel mir dazu nur ein. „Du und Gero, ihr werdet schon die richtige Entscheidung treffen.“

„Wenn du meinst… Du, bitte sei mir nicht böse, aber bitte geh jetzt, ich möchte irgendwie versuchen, es unseren Eltern beizubringen.“ Lea griff nach dem Hörer des Telefons, das neben dem Bett stand, ließ mich aber nicht aus den Augen.

„Na gut. Ich besuche dich morgen wieder.“ Ich umarmte meine große Schwester noch einmal kurz und schloss dann die Tür hinter mir.

Würde sie wirklich unsere Eltern anrufen oder nur in der Krankenschwesternstation anrufen und um ein Glas Wasser bitten? Ich wusste es nicht.

Auf dem Flur kam mir jemand entgegen. Es war Gero. Mir kam auf einmal diese Filmmusik in den Sinn, die Mundharmonika aus diesem einen Film, wie hieß der noch gleich? „Spiel mir das Lied vom Tod“, genau. Ich erinnerte mich an einen Augenblick vor ungefähr acht Jahren. Da musste ich elf oder zwölf gewesen sein, Opa hatte noch gelebt. Im Fernsehen hatte er sich diesen Film angesehen, und ich hatte währenddessen bei ihm auf dem Sofa gesessen und Hausaufgaben gemacht oder so. Der Film war erst ab sechzehn und als Mama das gemerkt hatte, wurde sie furchtbar böse. Ich schluckte.

„Du bist immer noch hier?“, sagte ich schließlich, als Gero und ich uns trafen.

„Ja. Wo sollte ich sonst auch hin? Wie geht es ihr jetzt?“

„So mittel“, antwortete ich. „Bitte sag mir Bescheid, ob sie unsere Eltern angerufen hat.“

„Mach ich, ich muss jetzt unbedingt zu ihr!“, rief er und eilte an mir vorbei.

Er hatte tatsächlich gewartet. Die ganzen Stunden, während Lea und ich im Zimmer gewesen waren, hatte er geduldig gewartet. Ich musste zugeben, dass mich das erstaunte. War das nun ein Zeichen seiner tiefen Liebe zu meiner Schwester? War das nun ein Zeichen dafür, dass er bei ihr bleiben und alle Widrigkeiten, die sie noch erwarteten, zusammen mit ihr durchstehen würde?

Ich verließ das riesige Krankenhaus.

Geschützt: Fern sehen

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Geschützt: Die WM-Hasserin

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