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Krümelmonster, Teil 5
Ich war komplett durch, als ich zu Hause ankam. Durch wie ein durchgebratenes Steak. Wieso hatten nur so viele Leute Probleme mit der Liebe? Konnte man es nicht einfach so machen wie ich und Single bleiben? Mir hatte nie etwas gefehlt. Zu Hause wartete keiner auf mich, der mit einem Nudelholz auf mich losgehen wollte. Bildlich gesprochen. Ich war, im Großen und Ganzen zumindest, zufrieden mit meinem Leben.
Weil es mir so ätzend ging, drehte ich wieder die Musikanlage auf. Mein MP3-Player spuckte per Zufallsreihenfolge ein uraltes Lied auf, das ich schon lange nicht mehr gehört hatte.
I just don’t want to be with you
There’s simply nothing you could do
To change my mind
To make me wanna sleep with you…
Und den ganzen Refrain noch mal.
Auch wenn es noch nicht Nacht war, so drang doch bald ein erbostes Türklopfen an mein Ohr, das mir signalisierte, dass meine Musik wohl nicht erwünscht war. Ich wusste schon, wer da stand, bevor ich die Tür geöffnet hatte.
„Kati, was willst du hier, verdammt?“
„Sag nicht ‚verdammt’ zu mir. Im Übrigen stört mich deine Musik beim Lernen. Wenn du ständig so weitermachst, sehe ich mich gezwungen, die Haussprecher zu informieren.“
An jedem anderen Tag hätte ich noch halbwegs mit Verständnis reagiert und die Musik leiser gedreht. Ich hätte vielleicht geantwortet: „Tut mir Leid, es ging mir gerade nicht so gut. Kommt nicht wieder vor.“
Doch heute ging das nicht. Ich wurde wieder in irgendwelche Probleme hereingezogen, die nichts mit mir zu tun hatten, in meiner Familie spielten plötzlich alle verrückt, die Uni war die Hölle, und als wäre das nicht schon genug, spürte ich gerade ein riesiges Ziehen, das mir die bevorstehende Periode ankündigte.
Also antwortete ich stattdessen:
„Ich weiß, das geht in dein aufgeblasenes Erbsenhirn nicht rein, aber es gibt hier auch Leute, die sich amüsieren wollen. Und wenn wir dir alle so auf den Sack gehen, warum hast du dann nicht ’ne eigene Wohnung? Du kriegst von deinen Eltern eh das Geld in den Arsch geblasen. Was ist eigentlich mit dir los? Kriegst du nicht genug Sex oder was? Damit du’s weißt: Ich werde meine ‚Scheißmusik’ nicht leiser drehen! Und erzähl mir bloß nicht, du musst lernen. Dein IQ ist doch eh nicht höher als der von Tütensuppe!“
Ich knallte ihr die Tür vor der Nase zu und drehte noch etwas lauter, um die blöde Tussi zu ärgern.
Etwas später bekam ich einen Anruf. Ich konnte in meinem Zimmer nicht so gut telefonieren, da das Netz hier ziemlich schwach war, also rannte ich aus dem Zimmer in den Aufenthaltsraum und nahm an.
„Hallo?“
„Hi, hier ist Anna. Wo bist du gerade?“
„Zu Hause, und du?“
„Ich auch. Bitte komm sofort her, es ist dringend.“
Ich seufzte abgrundtief. Ich hatte echt keine Lust mehr auf noch so ein Mein-Leben-ist-Scheiße-aber-ich-kann-nichts-daran-ändern-Gespräch heute. Überhaupt nicht mehr. Aber was machte ich? Ich sagte zu.
Um meine Jacke und das Portmonee zu holen, ging ich kurz zurück in mein Zimmer. Es roch dort sehr komisch nach Parfüm, aber ich verfolgte das nicht weiter und nahm nur schnell die Sachen vom Haken.
Ich quälte mich durch den Verkehr. Zu der Uhrzeit war natürlich halb Frankfurt unterwegs und deswegen musste ich mich in eine bereits bis zum Anschlag gefüllte S-Bahn quetschen, um bei Anna anzukommen.
Endlich dort, drückte ich aufs Klingelschild. Bevor Anna unten ankam, um mir aufzumachen, wurde ich von einer blonden, jungen Frau angerempelt. Irgendwie kam sie mir bekannt vor, aber ich konnte es nicht genau sagen, da die Tussi einfach wegrannte, ohne sich umzudrehen. Auch nicht, als ich ihr „Ey, pass doch auf, du blöde Kuh!“ hinterherrief.
Anna kam unten an und umarmte mich zur Begrüßung. Ihr „Hi“ klang unheimlich fertig. Als wir in der Altbauwohnung saßen, fragte ich, was los war.
„Ach, ich halt das einfach nicht mehr aus!“
Innerlich stöhnte ich. Das roch ganz nach einem Gespräch, wie ich es früher am Tag bereits mit Freddy gehabt hatte. Und ich wettete, es ging um…
„Manchmal hasse ich Aurélie einfach! Auch wenn ich sie schon so lange kenne.“
Treffer versenkt.
„Was ist denn los, sag mal? Freddy hat mich heute auch schon zu sich bestellt und er wirkte total fertig wegen ihr. Er hat sogar wieder angefangen, zu rauchen.“
Anna riss die Augen auf. „Echt? So weit ist er schon? Na ja, ich fange auch bald an, obwohl ich von dem krebserregenden Zeug absolut nichts halte, wie du weißt.“
„Na klar. Wie hat sie dich denn genervt?“
„Wahrscheinlich hat Freddy dir schon erzählt, dass ich ihm sagen sollte, dass Aurélie nicht zu Hause ist. Er hat’s natürlich gemerkt. Ich konnte ja noch nie so super lügen.“
„Es lag wohl eher daran, dass im Hintergrund ganz laut ihre Lieblingsserie lief.“
„Wie auch immer, lange mach ich das nicht mehr mit. Jetzt hat sich Aurélie sogar schon ihre Haare blond gefärbt, um ihm besser zu gefallen. Und als er sagte, dass es total hässlich aussieht, ist sie beleidigt abgerauscht.“
Mir dämmerte einiges. Dann war die Frau, die mich vorhin angerempelt hatte, also Aurélie gewesen? Und ich hatte ihr ‚blöde Kuh’ hinterhergerufen? Dann würde ich mich spätestens morgen in der Uni dafür rechtfertigen müssen. Na super.
„Also, ich sag dir eins, lange mach ich das echt nicht mehr mit…“
„Das sagtest du bereits.“
„Das kann ich gar nicht oft genug sagen. Jedenfalls habe ich keinen Bock, mich da reinziehen zu lassen.“
„Da hast du verdammt Recht. Beide sind bereits bei mir gewesen und es sieht nicht gerade so aus, als würden sie sich irgendwie einigen können.“
„Aber was machen wir da nur?“
„Ich hab absolut keine Ahnung. Aber irgendwas müssen wir tun, sonst überlegen wir bei unserer nächsten Party bereits, wen von beiden wir nicht einladen, damit es kein Gemetzel gibt.“
Wo ist die Liebe hin?, Teil 5
Zu Hause war ich fix und fertig. Der auf sechs Tage komprimierte Prüfungsstress hatte mich richtig fertig gemacht, dazu kam noch der familiäre Terror, und nun hatte sich auch noch herausgestellt, dass Freddy tatsächlich in Aurélie verliebt war, was ohne Zweifel noch einen Haufen Probleme nach sich zog.
Als ich im Flur stand und die Schuhe abstreifte, hörte ich aus Leas Zimmer laute Musik. Sie hörte gerade die Beatsteaks.
I got a whole bag of trouble to be taken away…
„Die haben ja so Recht“, murmelte ich.
„Mit wem redest du gerade?“, fragte mich Paul, der mit seinem Lieblingsball durch den Flur tollte. „Paul, du sollst nicht mit deinem Ball auf dem Flur spielen, das weißt du ganz genau!“, rief meine Mutter gereizt aus der Küche. Nanu, war sie schon aus der Praxis zurück?
„Ich hab mit niemandem geredet“, behauptete ich und ging Richtung mein Zimmer. Unterwegs ging ich an Leas Zimmer vorbei. Die Musik war unverändert laut, doch jetzt stratzte meine Oma vorbei und versuchte, gegen den Lärm anzukommen: „Mach deine Kapelle leiser, du bist hier nicht alleine!“
Na toll. Die Atmosphäre hatte sich nicht entspannt, seit ich mich mit Anna zur Bushaltestelle aufgemacht hatte. Ich setzte meinen MP3-Player auf und drehte ihn auf volle Lautstärke, um mich abzuschotten.
Es ist ja häufig so, dass die Zufallsreihenfolge des MP3-Players einen zu ärgern scheint. Jedenfalls war das Lied, mit dem der Player startete, ausgerechnet „Wie es geht“ von den Ärzten. Bitte geh noch nicht, bleib noch ein bisschen hier, ich muss dir noch was sagen, nur die Worte fehlen mir… Ich schaltete weiter.
Doch es war wie verhext: Ich bekam nur noch Lieder, die haargenau auf meine Umwelt passten. Als es schließlich hieß: Junge, warum hast du nichts gelernt?, riss mein Geduldsfaden. Natürlich hätte ich auch einfach ein Lied auswählen können, aber dazu hatte ich schon gar keine Lust mehr.
Stattdessen pflanzte ich mich vor den Fernseher. Ich blieb auf Kanal sieben hängen, wo gerade über eine Sechzehnjährige berichtet wurde, dessen kleinkrimineller Freund ihr gerade einen Heiratsantrag gemacht hatte. Im Wechsel mit dieser Tussi wurde über eine Fünfzehnjährige berichtet, die unbedingt Go-go-Girl werden wollte in einem Club, in den sie noch nicht hereindurfte, und die sich deswegen mit ihrer Mutter zoffte.
Plötzlich tauchte meine Mutter in der Sendung auf und fauchte die Oma der Sechzehnjährigen, die meiner Oma verdammt ähnlich sah, an, dass sie an allem schuld sei, weil die Sechzehnjährige dadurch, dass die Oma so ein Ekel war, erst dazu getrieben wurde. Die Oma wehrte sich und hielt dagegen, dass die Mutter ihre Pflichten vernachlässigt hätte.
Ich wachte auf. Was zum…? Was war denn jetzt los?
Ich starrte konsterniert auf den Fernseher. Nichts mehr von außer Kontrolle geratenen Teenagern namens Mandy, Robin und Alina. Dafür verkündete nun eine Blondine die neuesten Nachrichten. Doch die streitenden Stimmen waren immer noch zu hören.
Na super. Meine Mutter und meine Oma zofften sich schon wieder. Kriegten die sich denn nie ein?
Ich versuchte, mich diesmal unbeeindruckt zu geben, und kochte, während der Streit in der Küche weiterging, das Abendessen. Mama hatte es bereits begonnen, aber anstatt es zu Ende zu führen, stritt sie sich lieber mit Oma.
Während des Essens hatten sie sich, Gott sei Dank, beruhigt.
Aber Mama hatte einige Beschwerden loszuwerden.
„Lea, bitte dreh deine Musik nicht immer so laut. Du bist nicht alleine in diesem Haus.“
„Ist ja schon gut. Wieso bist du heute eigentlich früher aus der Praxis zurückgekommen?“
„Darf ich das nicht? Ich dachte, ich mach euch eine Freude damit, wenn ich mal früher komme und mich ein wenig um den Haushalt kümmere.“
„Hat ja super geklappt“, brummte Oma.
„Elisabeth!“, hieß es von Papa und Mama gleichzeitig.
Nun probierte Paul zum ersten Mal von dem Essen, das zu einem großen Teil ich zubereitet hatte. Natürlich schmeckte es ihm nicht.
„Ich hätte mich auch nicht an den Herd wagen müssen, wenn Mama es vorgezogen hätte, das Essen zu machen, anstatt sich mal wieder mit Oma zu streiten“, rief ich.
„Sara! Bitte nicht in diesem Ton!“, wurde ich von meinem Vater zurechtgewiesen. Doch auch ohne seine Äußerung merkte ich schnell, dass ich da etwas gesagt hatte, was ich besser nicht gesagt hätte.
„Man kann es euch einfach nicht recht machen“, regte sich Mama auf und schmiss ihr Besteck auf den Teller. „Da will ich mal extra früher nach Hause kommen, um euch ein schönes Essen zu kochen, und dann ist es euch auch wieder nicht recht. Was wollt ihr eigentlich?“
„Dass du aufhörst, dich mit Oma zu streiten. Das geht uns nämlich mittlerweile allen auf die Nerven“, sprach Lea aus, was auch ich dachte.
„Du sei mal ganz ruhig“, keifte Oma. „Du kümmerst dich doch hier um nichts. Obwohl du nie in der Uni bist, sondern immer zu Hause herumhängst.“
„Das stimmt nicht“, machte Lea ihrem Ärger lautstark Luft. „Ich mache alles, was mir aufgetragen wird. Sogar Paul musste ich heute von der Schule abholen, weil du es mal wieder vergessen hast. Der Kleine sah ja ganz verzweifelt aus.“
„Wie bitte?“, rief Mama schockiert und gleichzeitig hieß es von Oma: „So wird es also respektiert, was ich hier mache. In Wahrheit halte ich doch den ganzen Laden zusammen!“
„So ein Blödsinn!“, fauchte Lea.
„RUHE!“, brüllte Mama plötzlich. In Großbuchstaben. Egal, was wir vorher gemacht hatten, jetzt waren alle still. Und erschrocken bis ins Mark.
„Es funktioniert so nicht. So funktioniert es einfach nicht! Und wisst ihr was? Ich pfeif drauf!“
Mama stürmte in den Flur, zog sich Schuhe und Mantel an. „Ich gehe zu Gitte.“ Das war ihre Praxiskollegin.
„Monika!“ Auf einmal machte Papa den Mund auf. „Monika, bleib doch…“
„Nein. Nein, Martin, das kann ich nicht. Ich habe keine Lust, mich weiter mit deiner Mutter zu streiten, wer hier was falsch macht. Wenn ihr euch beruhigt habt, bin ich wieder zurück. Tschüss.“
Und weg war sie.
Einige Sekunden lang wusste keiner von uns etwas zu sagen. Dann rief Lea: „Ganz toll. Das habt ihr ja mal wieder ganz toll hingekriegt. Ich glaube, ich ziehe lieber aus, bevor ich euch noch weiter ertragen muss.“ Sprach’s und verzog sich in ihr Zimmer.
„Das versuch mal“, antwortete Papa noch, aber das hörte sie schon nicht mehr.
Auch ich hatte von allem genug. Und wie immer, wenn mir zu Hause die Decke auf den Kopf fiel bzw. auf den Kopf geschmissen wurde, machte ich einen Spaziergang. Ich wollte meinen Kopf freimachen, aber es ging nicht gut. Da hatten meine Freunde und meine Familie ganze Arbeit geleistet.
Ich lief ziellos durch die Stadt. Auf meinem Streifzug kam ich an einem Haus mit einem Schild vorbei. Neugierig las ich das Schild.
Wohnung zu vermieten und eine Telefonnummer las ich darauf. Ich begutachtete das Haus. Es sah gar nicht mal schlecht aus.
Hier konnte Lea ja einziehen.
Ich ging schnell weiter.
Irgendwann landete ich am Hauptbahnhof. Wie, so weit war ich gelaufen? Jetzt merkte ich erst, wie weh meine Füße taten.
Da erblickte ich eine Filiale der Kette mit dem geschwungenen M. Warum eigentlich nicht, dachte ich und ging herein. Ich bekam sogar noch einen Sitzplatz.
Missmutig stocherte ich im Gartensalat herum, eine der wenigen vegetarischen Sachen, die man hier kriegen konnte. Wie konnte man die Probleme zu Hause nur lösen? Ständig lagen sie sich in den Haaren. Immer ging es um dasselbe. Kein Ende in Sicht.
Mir fiel ein Aushang ins Auge. Aushilfe auf 400-Euro-Basis gesucht.
Wie oft hatte ich zu hören bekommen, dass ich mir einen Job suchen sollte, um meinen Eltern nicht auf der Tasche zu liegen, wenn ich studierte?
Es war ziemlich laut hier, aber ich bekam trotzdem mit, wie sich drei Typen hinter mir über ihre Band unterhielten.
„Meine Güte, wenn wir nicht bald eine Location finden, sind wir aufgeschmissen“, meinte einer.
„Ja, genau. Blöd, dass um die Zeit immer tote Hose ist.“
„Wenn wir doch nur eine Auftrittsmöglichkeit hätten. Ich muss irgendwann mal meine Miete für diesen Monat bezahlen. Ich würde ja fast überall spielen…“
Und da hatte ich zwei super Ideen. Mit einem Mal ging mir ein Licht auf, das so grell war, dass es schon fast schmerzte.
Ich drehte mich zu den Typen hinter mir um und quatschte ein bisschen mit ihnen. Dann lief ich zurück zur Straße, wo eine Wohnung zu vermieten war, und speicherte die Telefonnummer in mein Handy.