Hätte ich gewusst, was „Unwucht“ ist, wären es sogar null Fehlerpunkte gewesen.
Mit glücklichen Grüßen
Die Kitschautorin
Frau Nessy hat mir ein Jahr zugelost, zu dem ich was aus meinem Leben erzählen soll, und das tue ich doch gerne.
2004
Alter
12 bzw. 13 Jahre.
Aufenthaltsort
Ein kleines Dorf nördlich der damals noch drittgrößten Stadt Niedersachsens.
Beruf
Schülerin der achten bzw. neunten Klasse eines Gymnasiums. Erstaunlich, dass ich es noch in die neunte Klasse geschafft habe, ich bekam damals meinen ersten blauen Brief. Mein Dad hat ihn in der Küche aufgehängt, damit ich immer daran erinnert werde, mich ab jetzt mehr anzustrengen (was nicht geklappt hat). Im neuen Schuljahr bekam ich zum ersten Mal Politikunterricht, der aber aufgrund einer verplanten, kettenrauchenden Lehrerin nicht so gut war. Ich habe die Schule damals insgesamt gehasst, weil ich mich ständig gelangweilt und so gut wie keine Freunde hatte. Eher so das Gegenteil davon.
Beziehung
Ich war so einige Male verliebt, von einer Beziehung aber leider weit entfernt. Wer will auch ein Mädel mit hässlicher Frisur und schiefen Zähnen, die noch dazu viel jünger ist als man selbst? Rückblickend kann ich aber froh sein, dass nie was draus geworden ist, die Kerle waren charakterlich alle Ärsche.
Haare
Siehe oben. Ich erinnere mich dunkel, dass ich damals ein Experiment mit kupferroter Tönung gewagt habe. Ansonsten: aschblond und Länge so ungefähr bis zu den Schultern.
Urlaub
Irgendwo in Südschweden (mal wieder).
Bemerknis 1
Eines der wenigen Highlights in diesem Jahr: die Eröffnung eines Internetcafés direkt neben der Schule. Wir hatten ja kein Internet und ich habe fortan mein ganzes Geld dort gelassen, bis ich Leute kannte, bei denen ich das Internet nutzen konnte. Damals wie heute fand ich das Internet total klasse.
Bemerknis 2
Ich war damals die totale Fernseheule. Meine Eltern haben irgendwann versucht, meinen Fernsehkonsum zu unterbinden. Ich habe allerdings schnell herausgefunden, wo der Schlüssel zum Wohnzimmer ist, wie ich die Anlage wieder an den Strom anschließe und wann ich gucken kann, ohne dass meine Eltern was davon merken. Ich habe mir damals Sachen angeguckt, von denen ich heute nicht mehr glauben kann, dass ich sie jemals gut fand, z.B. “Freunde – Das Leben beginnt” und “Die Abschlussklasse”.
Weiterführende Literatur
Ich habe fünf Jahre nach dem hier besprochenen Jahr Abitur gemacht – hier der Artikel über meinen Jahrgang. Was nicht drinsteht: Der Schulleiter wollte uns die Abishirts verbieten, weil er den Spruch “Scheiß auf Abi – ich werd Pirat!” respektlos fand. Er war aber schon vorher nicht als guter Schulleiter bekannt – er hat einem Jungen aus dem Jahrgang unter mir einen mehrtägigen Schulverweis erteilt, nur weil der ein T-Shirt mit “obszönen Worten” trug, und für die Beschwerde eines Abiturienten, er sei in der mündlichen Prüfung ungerecht behandelt worden, hat er sich einfach mal null interessiert. Mittlerweile hat er allerdings die Schule gewechselt. (Die Armen…)
Sollte jemand von den Lesern Lust haben, daran teilzunehmen – nur zu! Einfach einen Kommentar hinterlassen, ich lose dann ein Jahr zu.
Mit freundlichen Grüßen
Die Kitschautorin
Einige Tage später war der Abiball. Auch wenn das stundenlange Herrichten ein einziger Stress gewesen war und mir Omas Kommentare zu meinem Kleid („So tief wie das ausgeschnitten ist, kann man ja von Pontius bis Pilatus gucken!“) irgendwann nur noch auf die Nerven gingen, war ich doch froh, dass der Abiball endlich gekommen war.
Am Anfang war es ziemlich öde, da keine Musik lief und ständig irgendein Lehrer meinte, irgendeine endlose Rede halten zu müssen. Doch als die Band eintraf, wurde es ziemlich gut. Wir Mädels tanzten ausgelassen, zumindest soweit unsere Hochsteckfrisuren es zuließen. Und es zeigte sich, dass die Band eine hervorragende Wahl gewesen war. Alle waren glücklich.
Das heißt, nicht ganz. Zwar versuchten Anna und ich immer wieder, Aurélie zum Tanzen zu bewegen, aber nach einer Minute saß sie bereits wieder auf ihrem Platz und starrte zur Theke, an der sich Freddy mit seinen Kumpels unterhielt.
„Meinst du, jetzt…“, fragte ich.
„Ja, jetzt ist der richtige Zeitpunkt“, meinte Anna.
Die Band hatte gerade mit einem Lied geendet. Ich stieg zu ihnen auf die Bühne und flüsterte Larry, dem Sänger, meinen Musikwunsch ins Ohr. Den erfüllte er mir auch prompt. Leider mit einer kleinen Ansage.
„Und hier kommt für Saras gute Freundin ein Musikwunsch! Aurélie von Wir sind Helden!“
Dann begann er. Ich war noch nie so aufgeregt wie jetzt. Anna schien es auch nicht anders zu gehen.
„Aurélies Akzent ist ohne Frage sehr charmant
Auch wenn sie schweigt, wird sie als wunderbar erkannt
Sie braucht mit Reizen nicht zu geizen, denn ihr Haar ist Meer und Weizen
Noch mit Glatze fräß’ ihr jeder aus der Hand
Doch Aurélie kapiert das nie
Jeden Abend fragt sie sich
Wann nur verliebt sich wer in mich?“
Zweifellos bewirkte dieser Song etwas. Aber nicht das, was er sollte. In dem Augenblick, als der Refrain einsetzte, begann Aurélie zu weinen und verließ fluchtartig den Saal. Sie rannte an Anna und mir vorbei, ich wollte hinterher, aber Anna hielt mich zurück.
Freddy kam aufgeregt auf uns zu. „Na toll, und was soll ich jetzt machen!“
„Na, hinterher!“, rief Anna ihm zu. Dieser Aufforderung kam er sofort nach.
Auch wenn die Musik immer noch laut dröhnte, hörte ich sie in dem Moment nicht.
Ich fühlte mich unheimlich schuldig. Was war nur passiert? Für den ganzen Schlamassel fühlte ich mich allein verantwortlich.
Ich ließ mich auf einen Stuhl vor den Waschräumen sinken und wünschte mir, ich hätte all das nie erleben müssen.
Da kam mir Anna hinterher. Sie setzte sich auf den Stuhl neben mir. Zusammen sahen wir schweigend in den Nachthimmel, der sich durch die Fenster blicken ließ.
Nach einer Weile sagte Anna: „Das war ’ne blöde Idee von mir, was?“
Ich zuckte mit den Schultern.
„Solche Versuche sind im Allgemeinen eine blöde Idee.“
Wieder zuckte ich mit den Schultern.
Es war ziemlich dunkel und es war unendlich lange still.
Plötzlich stürmte von draußen ein Pärchen Richtung Damentoiletten. Zuerst hielten sie an einem Pfeiler. Wer so intensiv knutscht, verbraucht kein Wasser mehr zum Waschen, hatte Anna mal gesagt. Ich glaube, erst jetzt begriff ich das so richtig.
Mir war das Pärchen nicht bekannt und im Dunkeln konnte man kaum etwas erkennen, aber als die beiden in die Damentoiletten huschten, sah ich, dass das Mädchen ein schwarzes Kleid trug. Ein schwarzes Kleid mit einer großen Schleife am Rücken und ziemlich viel Glitzer. Genau wie Aurélie…
Einen Moment später hörten wir lautes Gestöhne. Ich bildete mir sogar ein, zu merken, wie unsere Stühle, die nebenstehende Garderobe und das WC-Schild rhythmisch hin- und herrumsten. Wie in diesem Film. Die fabelhafte Welt der Amélie.
Oh mein Gott. Das.. das konnte doch nicht…
„Du, da auf dem Klo, da sind…“
„Freddy und Aurélie, genau. Wir haben unsere Arbeit getan. Komm, gehen wir wieder tanzen.“
Ich war so befreit wie noch nie. Deswegen tanzte ich auch besonders ausgelassen, war eins mit mir und der Welt und grölte laut mit zu der Musik. Kurz: Ich hatte einen perfekten Abend.
Eine halbe Ewigkeit später tauchten unsere guten Freunde wieder auf. Die Band hatte gerade Pause. Aufgeregt stürmten Freddy und Aurélie auf uns zu.
Mir fiel auf, dass sich einige Strähnen aus Aurélies Frisur gelöst hatten und Freddy verschmierten Lippenstift am Hals hatte.
„Sara, Freddy und ich sind…“
„Ich weiß. Lasst uns feiern!“
Doch jetzt betrat Oma die Szene. Wieso hatten wir sie eigentlich mit angemeldet?
„Meinst du wirklich, dass das für ein Mädchen wie dich der geeignete Ort ist?“ Mit Stirnrunzeln betrachtete sie Freddy und Aurélie, die leicht derangiert aussehen, die Getränke, die wir in den Händen hielten, und die Band, die biertrinkend auf der Bühne saß.
„Lass mich doch. Ich bin alt genug!“
Empört wollte Oma etwas entgegnen, doch in dem Moment wurde ich von meinen Freunden auf die Tanzfläche gezogen, weil die Band wieder einsetzte. Aurélie küsste Freddy auf den Mund, schob ihn hin und her, Anna und ich legten den wildesten Rock’n’Roll aller Zeiten hin, und ich kümmerte mich kein Stück darum, was meine alte, überbesorgte Großmutter zu sagen hatte. Weil ich dazu viel zu glücklich war.
Ich merkte es schon, als ich vor der Haustür stand. Heute hatte Oma gekocht.
Als ich dann in der Küche stand, merkte ich auch, was sie zubereitet hatte. Auf meinem Teller lag auch schon etwas davon. Ich wollte von diesem Hackbraten nichts essen, ich war nämlich schon seit anderthalb Jahren Vegetarierin.
Also sagte ich zu meiner Mutter: „Ich möchte davon nichts essen!“
„Wieso nicht?“, schaltete sich Oma ein.
„Weil ich seit eineinhalb Jahren kein Fleisch mehr esse!“ Bekommt denn hier keiner was mit?, wollte ich am liebsten noch hinterherschieben, aber ich ließ es sein.
„Bitte iss was davon!“, befahl Mama und bemühte sich, ihrer Stimme einen energischen Ton zu geben. Doch dann sah ich den Ausdruck in ihren Augen: er hatte etwas Flehendes. Oh, oh, dachte ich. War die ach so tolle Harmonie etwa am Bröckeln? Das gefiel mir irgendwie nicht wirklich.
Einen Augenblick lang überlegte ich fast, ob ich das nicht doch ausnahmsweise mal essen sollte, um der Familienharmonie willen, doch da sagte Oma bereits: „Lass das Kind doch! Wenn sie nicht will, dann will sie eben nicht!“ Allzu glücklich sah sie aber auch nicht aus.
Mit Unbehagen gab ich meinen Braten an Paul weiter, der aß wie eine siebenköpfige Raupe, und füllte mir noch etwas mehr von den Kartoffeln auf.
Nach dem Essen räumte Mama schnell das Geschirr weg und verschwand wortlos.
Nanu, was war denn jetzt los?
Ich sollte es gleich erfahren: Sie kam mit einem großen hellblauen Plakat und einem Edding zurück.
„Passt mal auf! Ich habe mir da was überlegt!“, teilte uns Mama mit. „So kann es nicht weitergehen und deswegen dachte ich, wir überlegen uns jetzt ganz gründlich, wie wir in dieser Sache vorgehen.“
„Was heißt ‚vorgehen‘?“, fragte Paul, doch niemand beachtete ihn.
Mama rollte das Plakat auf und schrieb auf die eine Seite ein großes Plus, auf die andere Seite ein großes Minus.
Ah, ich verstand. Diese Methode kannte ich aus den Erziehungsberatern, die ich manchmal zu meinem Amusement las. Was dort vorgeschlagen wurde, war teilweise einfach nur lustig. Aber wenn das helfen sollte…
„Auf die Seite mit dem Plus schreiben wir alle Gründe, die dafür sprechen, dass ich wieder arbeite“, erklärte meine Mutter. „Auf die Seite mit dem Minus kommt alles, was dagegen spricht.“
Die Seite mit dem Plus fiel ziemlich dünn aus. ‚Mehr Geld‘ und ‚Selbstverwirklichung‘ stand dort.
„Wieso ’selbst verwirklichen‘, du bist doch schon da“, bemerkte Paul irritiert und oberschlau. Normalerweise hätte Mama über so eine Bemerkung gelacht. Diesmal guckte sie irgendwie traurig.
Als wir uns an die Minus-Seite machen wollten, kam Lea nach Hause.
„Worum geht’s?“, fragte sie interessiert.
„Wir überlegen uns gerade, ob deine Mutter das Angebot annehmen soll oder nicht“, erklärte Papa und fuhr sich durch die Haare.
„Ach so“, machte Lea und setzte sich auf einen Stuhl.
Oma schrieb in ihrer alten Schrift auf: ‚Wer kümmert sich um den Haushalt und die Kinder?‘
Lea hielt ihren Kopf schief, um Omas Punkt zu entziffern und meinte: „Wieso ‚um die Kinder‘? Wir sind alt genug, um auf uns selbst aufzupassen.“
„Das musst du gerade sagen!“, fuhr Oma sie plötzlich an. „Wer hat denn das Essen anbrennen lassen, während er telefoniert hat?“
Oh, das hatte ich ja gar nicht mitbekommen! Da musste ich wohl gerade bei Anna gewesen sein.
„Wieso hast du nicht danach geguckt?“, rief Lea.
„Du weißt doch, dass ich mit meinem Knie nicht gut laufen kann! Und überhaupt, so lange zu telefonieren wegen unwichtiger Sachen!“
„Das waren keine unwichtigen Sachen!“, behauptete Lea. „Das waren vielleicht fünf Minuten! Und ich musste meinen Freund anrufen, sonst hätte es Streit gegeben.“
„Wieso hast du überhaupt schon einen Freund?“, fragte Oma. „Zu meiner Zeit hätte es so etwas nicht gegeben! Außerdem vernachlässigst du seinetwegen die Schule!“ Jetzt wendete sie sich an Mama. „Monika, du erziehst die Kinder viel zu locker!“
„Das stimmt gar nicht!“, keifte Mama. „Ich habe drei wohlgeratene Kinder! Frag doch mal lieber deinen werten Sohn, wie er sich um seinen Nachwuchs kümmert!“
„Was soll das denn heißen?“, fragte der Angesprochene pikiert. „Ihr wisst doch ganz genau, dass ich in meiner Anwaltskanzlei sehr eingespannt bin! Und einer muss ja schließlich das Geld für alle verdienen!“
„Das sehe ich ganz genauso!“, pflichtete Oma ihm bei. „Es ist deine“, hier sah sie wieder meine Mutter an, „Aufgabe gewesen, die Kinder zu erziehen, und du hast auf ganzer Linie versagt! Guck dir die Gören doch mal an!“ Nun zeigte sie anklagend mit dem Finger auf mich. „Sie verweigert das gute Essen, und ich hab mir so viel Mühe gemacht!“
Ich wollte etwas einwerfen, doch ich kam gar nicht mehr zu Wort. „Es ist ihr gutes Recht, das zu tun“, setzte sich Mama schreiend für mich ein.
„So ein Schwachsinn“, rief Oma zurück. „Sie ist siebzehn! In dem Alter hat man sich danach zu richten, was -“
„Aaaaaaaah!“, brüllte auf einmal Paul dazwischen. „Nicht streiten!“ Er fing bitterlich an zu weinen.
Der arme Kleine. Er konnte Streit überhaupt nicht leiden und schon gar nicht, wenn unsere Eltern und unsere Oma böse waren. Das hier musste ihm tierisch an die Nieren gehen.
Ich nahm ihn an der Hand und ging mit ihm zur Tür. „Ihr solltet euch schämen!“, richtete ich mich anklagend an meine Familie, die wegen Paul in ihrem Gestreite inne gehalten hatte und uns nun verdutzt ansah. „Euch vor dem Kleinen zu streiten!“
Lea sagte etwas, doch es war mir egal. Um Paul zu trösten, zog ich mir meine Sachen an und ging mit ihm zum Spielplatz.
Ob es wohl zu spät war, sich für die Parisfahrt anzumelden?
Nein, war es nicht. Frau Lacombe war sehr erfreut, dass ich auch mitfahren wollte, und reichte mir sogleich alles, was ich für die Teilnahme an der dreitägigen Exkursion nach Paris ausfüllen musste.
Da ich erst in ein paar Monaten achtzehn wurde, brauchte ich hierfür noch die Einverständniserklärung meiner Erziehungsberechtigten.
Das konnte tatsächlich ein Problem werden. Bestimmt waren meine Eltern nicht so scharf darauf, ihre jüngere Tochter mal eben in ein anderes Land fahren zu lassen, nach so einem Streit.
Wie immer, wenn ich so einen heiklen Wunsch vorbringen wollte, wartete ich den besten Moment ab. In diesem Fall bot sich der Umstand an, dass Paul ein Diktat mit null Fehlern und Lea eine Klausur mit dreizehn Punkten wiederbekommen hatte.
„Äh, Mama?“, fragte ich.
„Was ist denn?“, fragte sie zurück und sah dabei ziemlich müde aus. Das war nicht so gut. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr.
Ich holte tief Luft und sagte: „Ich habe die Möglichkeit, an einer dreitägigen Exkursion unserer Schule nach Paris teilzunehmen. Es können alle mitfahren, die mindestens sechzehn sind und es gibt ein tolles Programm.“
„Aha“, brummte Mama.
„Also, ich finde das nicht gut“, stellte Oma sich gleich wieder dagegen. „Wer sagt denn, dass sie dort nicht irgendwelchen Blödsinn anstellt?“
„Ich“, entgegnete ich frech. „Wir haben zwei Begleitpersonen, die auf uns aufpassen und darauf achten, dass wir um 24 Uhr wieder in der Jugendherberge sind.“
„Wer sind denn diese Begleitpersonen?“, wollte Papa wissen und beugte sich auf dem Tisch vor.
„Frau Lacombe, meine Französischlehrerin, und Herr Nowitzki, mein Deutschlehrer.“
„Uuuuh“, machte Lea und zog dabei ihre Augenbrauen hoch. Sie kannte die beiden auch schon und wusste daher ebenso gut wie ich, was mich auf dieser Fahrt erwarten würde.
„Und wieviel soll das Ganze kosten?“, stellte Papa die Problemfrage. Ich wusste, die Antwort würde mich höchstwahrscheinlich ihr Einverständnis kosten. Wenn meine Eltern sich bis jetzt noch nicht ablehnend gezeigt hatten, so würden sie es jetzt bestimmt tun.
„Hundert Euro“, antwortete ich und betete, dass dieser Preis niemanden abschrecken würde. Hoffentlich würde es klappen. Papa verdiente doch nicht schlecht als Anwalt, vielleicht würde er zustimmen. Es bestand die Chance, dass –
„Das ist ziemlich viel für drei Tage“, antwortete er da mitten in meine Gedanken hinein.
„Eigentlich ist das ziemlich billig“, versuchte ich sogleich, Papas Aussage zu entkräften. „Das meiste davon geht für den Zug drauf. Und wenn man dann ausrechnet, wie viel für die Übernachtungen übrig bleibt…“
Zu meiner Unterstützung schaltete sich Lea ein. „Du sagst doch selbst immer, dass wir so viel für die Schule tun sollen. Wenn sie da hinfährt, kann sie Französisch mal mit Muttersprachlern sprechen. Das würde sie doch unheimlich weiterbringen.“
So ganz überzeugt schien Papa von dem Hammer-Argument leider nicht. „Na ja, drei Tage…“, setzte er an, doch da kam ihm Mama zuvor.
„Es ist doch unheimlich toll, dass sie die Chance hat, diese Stadt zu besuchen. Ich finde, wenn sie so eine Chance bekommt, sollte sie die auch nutzen.“ Sie fixierte ihn mit einem eindringlichen Blick.
Wieso wurde ich das Gefühl nicht los, dass Mama hier irgendwie eher über sich redete als über mich? Auf jeden Fall hatte ihre Äußerung diesen Unterton. Und Papa hatte offenbar denselben Eindruck. Nur leicht widerstrebend lenkte er ein: „N-n-na gut. Dann gib den Wisch mal her, den ich unterschreiben soll.“
„Super! Danke, Papa!“, freute ich mich und drückte ihm sogar einen Kuss auf die Wange. Das hatte ich bestimmt schon nicht mehr gemacht, seit ich aus dem Kindergarten raus war. Ich holte die beiden Formulare, die ich für die Fahrt ausgefüllt wieder abgeben musste. Formidable!