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Ein kleiner Eintrag über einen meiner Lieblingsschauspieler

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Ich gehe nicht so oft ins Kino. Ich bin auch niemand, der sich seine Filme nach einem Schauspieler aussucht. Es gibt da aber jemanden, der es zumindest zirka 2,7 Prozent wahrscheinlicher macht, dass ich mir einen Film ansehe – Christoph Waltz.

Im August 2009 habe ich ihn häufiger mal auf Kinoplakaten gesehen. Es war in Paris und ich nahm mir vor, den auf den Plakaten beworbenen Film anzusehen, sowie ich zurück in Deutschland war. Der Film war „Inglourious Basterds“ und es ist einer meiner Lieblingsfilme. Nicht zuletzt, weil Christoph Waltz den Bösewicht so hervorragend gespielt hatte, dass er dafür einen Oscar bekam.

Zu meinen Lieblingsfilmen gehören viele Western. Als ich hörte, dass es einen im Kino gibt, noch dazu mit dem oben genannten Darsteller, musste ich unbedingt rein. Erneut habe ich es nicht bereut. (Oh, das reimt sich.) Völlig zu Recht bekam Christoph Waltz dafür seinen zweiten Oscar.

Der erste Bond-Film, den ich gesehen habe, war „Casino Royale“, alle folgenden habe ich mir mit großer Freude angesehen. Als ich dann hörte, dass Christoph Waltz in „Spectre“ mitspielt, war ich sehr begeistert. (Und fragte mich hinterher, warum zur Hölle er dafür keinen Oscar bekam.)

Heute ist er nun 60 geworden: Alles Gute zum Geburtstag, Herr Waltz! Mögen Sie noch in vielen Filmen mitspielen!

Mit Fangirlgrüßen

Die Kitschautorin

PS: Er synchronisiert sich in fast allen seinen Filmen selbst, ist das nicht toll? 😀

Fragebogen zu Film und Kino

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Was ist wohl am naheliegendsten für eine Bloggerin, die kaum Filme kennt? Genau: ein Fragebogen zu dem Thema! (Ich habe ihn hier gefunden: http://medienjunkieblog.wordpress.com/2011/07/17/fragebogen-zu-film-und-kino/)

1.) Ein Film, den du schon mehr als 10 Mal gesehen hast:

“Die fabelhafte Welt der Amélie”.

2.) Ein Film, den du mehrfach im Kino gesehen hast:

Keiner.

3.) Ein Schauspieler, wegen dem du eher geneigt wärst, einen Film zu sehen:

Ich glaube, am ehesten würde da Christoph Waltz passen.

4.) Ein Schauspieler, wegen dem du weniger geneigt wärst, einen Film zu sehen:

Til Schweiger.

5.) Filmmusical, dessen Songtexte du komplett auswendig kannst:

Komplett nicht, aber ich kann viele Stücke von “West Side Story” und “Linie 1”.

6.) Ein Film, bei dem du im Kino mitgesungen hast:

Kann mich nicht erinnern, das jemals getan zu haben.

7.) Ein Film, den jeder gesehen haben sollte:

“The King’s speech”.

8.) Ein Film, den du besitzt:

“Zwei glorreiche Halunken”.

9.) Ein Schauspieler, der seine Karriere nicht beim Film startete und der dich mit seinen schauspielerische Leistungen positiv überrascht hat:

Da fällt mir im Augenblick nur Omar Sy ein.

10.) Schon mal einen Film in einem Drive-in gesehen?

Nein.

11.) Schon mal im Kino geknutscht?

Na klar!

12.) Ein Film, den du schon immer mal sehen wolltest, du bist bisher aber nie dazu gekommen:

*denkt lange nach* Ich bin vor lauter Müdigkeit eingeschlafen, als ich “Octopussy” gesehen habe, zählt das auch?

13.) Hast du jemals das Kino verlassen, weil der Film so schlecht war?

Nein, aber z.B. “The American” hätte ich gern vorm Ende abgedreht.

14.) Ein Film, der dich zum Weinen gebracht hat:

Vermutlich “Sicko”.

15.) Popcorn?

Hab ich kurz nach Weihnachten zum ersten Mal als schmackhaft erlebt. Aber bis jetzt nicht im Kino.

16.) Wie oft gehst du ins Kino?

Wenn’s hochkommt, alle paar Monate mal.

17.) Welchen Film hast du zuletzt im Kino gesehen?

*denkt lange nach* “Der Medicus”.

18.) Dein Lieblingsgenre?

Da will ich mich gar nicht festlegen. Ich kann nur sagen, was ich wirklich nicht mag: Fantasy, Horror.

19.) Dein erster Film, den du im Kino gesehen hast?

*denkt lange nach* “Toy Story”.

20.) Welchen Film hättest du lieber niemals gesehen?

“Captain America – The first Avenger”.

21.) Der merkwürdigste Film, den du mochtest?

“Traumschiff Surprise – Periode 1”. Betonung auf ‘mochtest’.

22.) Der beängstigendste Film, den du je gesehen hast?

“Shutter Island”.

23.) Der lustigste Film, den du je gesehen hast?

Da will ich mich auch wieder nicht festlegen, aber der Simpsons-Film hat sicher gute Chancen.

24.) Ein deutscher Film, den jeder gesehen haben sollte?

“Russendisko”.

25.) Ein Kurzfilm, der dich begeistert hat?

“Pärchenabend” (mit Anna Maria Mühe und Hannah Herzsprung).

Mit freundlichen Grüßen

Die Kitschautorin

Krümelmonster, Teil 22

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Noch lange saßen wir da und unterhielten uns über Gott und die Welt. Am nächsten Tag ging ich glücklich, aber müde durchs Leben und erledigte nach und nach alles, um das ich mich zu kümmern hatte. Zwischen Uni, Freundeskreis und schwangerer Schwester war das zum Beispiel die Besorgung der Weihnachtsgeschenke.

Seit zwei Wochen hingen die Lichterketten nun schon an den Kaufhäusern und in den Straßen. Wie viele Leute in der Zeit wohl schon alles für ihre Lieben besorgt hatten? Die Menschenmassen nahmen, während ich Stück für Stück die Geschenkeliste abarbeitete, jedenfalls kein Ende und das, obwohl ich mir eine relativ späte Zeit zum Weihnachtsshoppen ausgesucht hatte. Na ja, ich war nicht eher dazu gekommen.

Und so zog sich alles ziemlich lange hin, obwohl ich ganz genau wusste, was ich meinen Lieben kaufen wollte. Paul sollte ein Hot-Wheels-Auto bekommen, meine Mutter ein Buch von Dora Heldt. Papa wollte ich ein gerahmtes Bild schenken und Oma ein paar Malfarben. Anna würde sich hoffentlich über den Comicband freuen, den ich für sie ausgesucht hatte, und Aurélie würde an Weihnachten eine Schneekugel mit dem Eiffelturm unter der Tanne finden. Die werdenden Eltern bekamen von mir ein paar Babysachen, Strampler und so etwas, natürlich in neutralen Farben. Ich wusste ja das Geschlecht noch nicht.

Für all das brauchte ich eine halbe Ewigkeit. Als ich mich zum letzten Mal an der Kasse anstellte, rief plötzlich jemand von irgendwoher ganz laut: „Sara!!!“

Genervt drehte ich mich um. „Was ist denn?“

Es war Kati. Wieso traf ich Leute eigentlich immer zum falschen Zeitpunkt? Irgendwie wollte ich sie gerade nicht sehen. Nervös betrachtete ich die Schlange vor mir.

„Hi, Kati“, begrüßte ich sie wenig begeistert. „Auch Weihnachtsgeschenke kaufen?“

„Ja“, erwiderte sie. „Ich hab eigentlich schon alle… nur das für meinen Vater, das ist jedes Jahr eine neue Herausforderung.“ Sie hatte mit mir über ihren Vater gesprochen. Ich wusste noch ziemlich genau, was sie gesagt hatte, und nickte verständnisvoll.

„Also, was ich dir noch sagen wollte…“, setzte sie an, nachdem wir uns eine Weile angeschwiegen hatten, während wir so halb in der Kassenschlange standen. Nanu? Was wollte sie mir sagen?

„Also, ich kann… konnte dich ja überhaupt nicht leiden. Aber es war schon ziemlich witzig, wie wir uns an Hannes gerächt haben. Das hat mir unheimlich gut getan.“

„Ja, das war ziemlich gut“, musste ich zugeben, obwohl ich auch nicht so viel von ihr hielt.

„Und ich wollte dir sagen, dass es mir Leid tut, dass ich einfach in dein Zimmer gegangen bin und deine CD kaputt gemacht hab. Du hast ja eigentlich überhaupt nichts gemacht. Der wahre Übeltäter ist Hannes und an dem haben wir uns jetzt gerächt. Also… tut mir Leid.“

„Ach was“, winkte ich ab. „Ist doch Ehrensache.“

„Und ich hab noch was für dich“, rief sie und kramte in ihrer Handtasche herum.

„Wie… du für mich?“

Nach einer Weile hatte sie ein kleines, in Silberpapier eingewickeltes Teil hervorgekramt und drückte es mir in die Hand.

„Na, mach es schon auf! Ist für dich“, ermutigte Kati mich. Ungläubig riss ich das Silberpapier und die rote Schleife, die noch drumherum gewesen war, ab und zum Vorschein kam… die CD mit den französischen Liedern. Mit zwei Songs, die ich noch überhaupt nicht kannte. Und was am Wichtigsten war: Auf dem Cover hatten die drei Bandmitglieder unterschrieben! Ich konnte es nicht fassen. „Wie… die ist für mich? Aber wie konntest du sie so schnell… und warum ist die signiert?“

„Tja, manchmal hat Reich-Sein eben auch so seine Vorteile. Viel Spaß damit!“ Sie lächelte mich an und ging.

„Aber das wäre doch nicht nötig gewesen!“, rief ich ihr hinterher. Sie drehte sich noch um und rief: „Die hast du verdient!“ Und weg war sie.

Ich konnte es nicht glauben. Ich registrierte gar nicht, dass ich von einigen Leuten in der Schlange überholt wurde, und statt den verlangten sechzig Euro drückte ich der Kassiererin sechzehn Euro in die Hand, so durcheinander war ich.

Diese ganze vorweihnachtliche Episode brachte mich noch mehr zum Nachdenken. Wahrscheinlich war Kati doch nicht so ein schlechter Mensch, wie ich nach über vierzehn Jahren schlechten Erfahrungen mit ihr gedacht hatte. Trotz all dem Haare-Ziehen und Angeben. Und genau dies bewog mich, mich mit ihr nach der Uni mit ihr auf einen Kaffee zu treffen.

Als ich kam, saß sie bereits an einem Tisch am Fenster. Ihr Haar trug sie wie gewöhnlich mit einer Haarspange nach hinten geklemmt, in ihren Ohren steckten Perlenstecker und ihren Körper bedeckte ein dunkelblauer (marineblauer?) Pullover. Wenn man sie so sah, konnte man eigentlich denken, sie studiere BWL und nicht Pädagogik.

„Na, wie geht’s dir?“, begrüßte sie mich.

„Körperlich oder seelisch?“, fragte ich zurück. Doch wir wurden unterbrochen vom Kellner, der unsere Bestellungen aufnehmen wollte. Kati nahm Latte Macchiato, ich einen Orangensaft. „Ich will ja nicht so enden wie letzte Woche“, erklärte ich es Kati.

„Wie, was ist dir denn da passiert?“, fragte sie.

„Ach, bei dem ganzen Stress hab ich vergessen, was zu trinken. Das war letzten Samstag“, erzählte ich. „Da hat mich dann meine Schwester besucht, und schwupps! bin ich ihr vor die Füße gekippt –“

„Ach ja, richtig, das hab ich mitgekriegt“, rief Kati sogleich.

„Echt? Wie jetzt? Auf jeden Fall hat Hannes mich dann wiederbelebt –“

„So weit ist es also schon gekommen? Dieser gottverdammte Lügner!“

„Wieso bin ich ein Lügner? Dieser Latte macchiato ist wirklich der beste in der ganzen Stadt!“, schaltete sich der Kellner ein, der uns gerade die Getränke brachte. „Nein, ich hab nicht Sie gemeint, keine Sorge!“, beruhigte Kati ihn und machte sich sofort ans Schlürfen. „Na, dann bin ich ja beruhigt“, erwiderte der Kellner und ging davon.

Verwirrt fragte ich: „Wer ist ein Lügner?“

Schlürf.

„Kati, wer ist ein Lügner?“, wiederholte ich meine Frage.

Schlürf. Keine Reaktion.

„Kati, verdammt noch mal, was ist hier los?“

Die Angesprochene zuckte zusammen und hätte hierbei fast ihr Glas umgestoßen. „Ich wollte es dir eigentlich nicht sagen, aber…“ So, als hätte sie mir ein äußerst vertrauliches Geheimnis zu erzählen, sah sie sich erst nach beiden Seiten um und rückte dann bis auf fünf Zentimeter an mein linkes Ohr heran, um zu sagen: „Ich habe alles gesehen.“

„Wie, du hast alles gesehen?“

„Ich hab gesehen, wie du umgekippt bist, ich hab gesehen, wie Hannes behauptete, dich wiederbelebt zu haben und auch, wie er dich in sein Zimmer geschleppt hat, um dir all das romantische Zeug zu erzählen. Der wollte dich nur bei der Stange halten!“

„Moment mal, was meinst du damit?“

„Dass Hannes dir nur was vorgespielt hat, damit du dich nicht völlig von ihm abwendest. Erinnerst du dich daran, wie nach dem Aufwachen der andere Typ, der dabei war, zu dir gesagt hast, dass du Flüssigkeit brauchst?“

„Dunkel…“

„Der hat dich in Wahrheit wiederbelebt. Das war gar nicht Hannes. Der würde so was auch nie im Leben hinkriegen.“

Ich fühlte mich voll verarscht. Ich konnte gar nicht glauben, dass er es nicht gewesen sein sollte. Konnte ich Katis Version wirklich Glauben schenken?

„Das… ist doch alles gar nicht wahr“, stammelte ich. „Das erzählst du doch alles nur…“ Ich zeigte mit dem Finger auf sie. „Und am Ende krallst du dir Hannes!“

„Was soll das eigentlich?“, erregte sich Kati. „Da erzähle ich dir einmal im Leben die Wahrheit und dann kriege ich so was zu hören. Glaub doch, was du willst! Ich hab’s nicht nötig!“

„Nein, so hab ich das gar nicht gemeint. Aber… wieso hast du alles beobachtet?“

„Ich hatte ihn an dem Abend noch mal besucht. Ich bin dann kurz Richtung Toilette gegangen… und dann hörte ich nur einmal kurz deine Stimme und dann hab ich halt alles gesehen. Und ich wollte unbedingt wissen, was Hannes mit dir macht… da hast du schon Recht. Er ist so ein Arschloch!“ Traurig guckte Kati auf den Boden.

„Natürlich ist er das!“ Wütend guckten wir an die Decke. „Boah, ich bekomme glatt Lust, mich noch mal an ihm zu rächen!“, schnaubte sie. „Nein, das haben wir doch schon!“, antwortete ich. „Das brauchen wir nicht, denke ich.“

Eine Weile schwiegen wir beide. Nachdenklich starrte ich in meinen Orangensaft, den ich immer noch nicht angerührt hatte. Du brauchst Flüssigkeit.

„Der andere Typ hat mich also wiederbelebt?“, fragte ich schließlich. Kati nickte und guckte dabei genauso drein wie ich.

„Wer war das eigentlich?“

„Ach, das war Lukas. Ein alter Freund von Hannes. Hat nach dem Abi ‘ne Ausbildung zum Krankenpfleger gemacht und studiert jetzt Medizin.“

„Lukas…“

„Ja, so heißt er.“

„Krankenpfleger? Und Medizinstudent? Deswegen konnte er mich wiederbeleben… Und er hat sofort gewusst, was mir fehlt.“ Ich trank mein Glas in einem Zug aus.

„Also, danke, dass du mir das gesagt hast“, sagte ich zerstreut. „Ich gehe mal kurz auf die Toilette.“

Dort saß ich dann und seufzte so laut, dass ich damit die Pieselgeräusche überdeckte. Ständig änderte sich mein Leben und ich kam kaum hinterher. Es war so, als hätte sich jemand oben im Himmel den magischen Stift zum Drehbuch meines Lebens geschnappt und würde die abenteuerlichsten Wendungen und Schnitte einbauen. Wahrscheinlich sollte ich mir den Stift zurückholen. Wieso dachte ich über so etwas eigentlich auf der Toilette nach?

Beim Händewaschen fiel mir etwas auf, das sich im Spiegel spiegelte. Ich drehte mich mal kurz um. So erfuhr ich, dass meine Uni in knapp zwei Wochen einen Weihnachts- beziehungsweise Adventsball anbot. Das an der Wand hängende Plakat versprach für einen Eintrittspreis von fünfzehn Euro pro Studinase „vorweihnachtlichen Glamour und die besten Cocktails der ganzen Stadt“ (was für eine inflationär gebrauchte Floskel). Stattfinden sollte das Ganze in der Uni und es wurde eine Band angekündigt.

Wer von den Verantwortlichen hatte eigentlich die bescheuerte Idee, so etwas im Winter zu veranstalten, wo doch klar war, dass bei dem Wetter Abendkleider zu tragen lauter Erkältungen auslösen würde?

Dies sagte ich auch Kati, als ich wieder da war. „Tja, dann sind die Hörsäle wenigstens nicht mehr so voll, weil alle Mädchen zu Haus bleiben“, lachte sie. „Aber wo hast du denn das mit dem Ball gesehen?“

„Auf dem Klo. Es gibt Cocktails und es spielt ‘ne Band.“

„Echt? Welche denn?“

„Keine Ahnung. Irgendwas mit Students, ich hab mir den Namen nicht gemerkt.“

„Ah, Lukas spielt in einer Band, die so heißt. Die sind ziemlich gut.“ Kati wischte sich über die Nase. „Na ja, ich muss gleich nach Hause, ich will noch für die Pädagogik-Prüfung lernen.“

„Ja, ich sollte wahrscheinlich auch mal wieder lernen“, gab ich zu. „Hab in letzter Zeit ziemlich wenig gemacht.“

Wir bezahlten und fuhren nach Hause. An der Tür zu Flur 2 trennten sich unsere Wege.

„Hättest du denn Lust, zum Weihnachtsball zu gehen?“, fragte Kati.

„Keine Ahnung, muss mal schauen. Ich meld mich bei dir, okay?“
Wir verabschiedeten uns und ich ging in mein Zimmer, um mich mit den Vorlesungsmitschriften und einer heißen Tasse Kakao ins Bett zu legen.

Krümelmonster, Teil 15

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Drei Stunden später fuhr ich mit dem Zug wieder zurück. Mir ging es noch nicht richtig gut, aber bereits um einiges besser. Ich konnte es kaum glauben, dass ich mit meiner Oma über solche Dinge gesprochen hatte. Keine Ahnung, wie oft ich mich schon verknallt hatte, aber wenn das passiert war, hatte ich höchstens mit Anna und Aurélie darüber geredet. Ich war eigentlich der festen Meinung gewesen, dass mein Liebesleben meine Altvorderen nichts anging. Aber so schlimm hatte ich es jetzt gar nicht gefunden, mit meiner Oma über nichtsnutzige Kerle zu diskutieren. Lag das am Alter? Konnten wir uns langsam auf Augenhöhe begegnen? Ich wusste es nicht.

Jedenfalls kam ich um einiges befreiter und fünfzehn Minuten zu spät am Treffpunkt an. Anna saß bereits am Zaun vorm Haus und schlürfte einen Kaffee zum Mitnehmen. Die wurden auch immer moderner.

„Hi“, begrüßte ich sie. „Sorry, dass ich zu spät komme, aber ich bin noch spontan nach Hause gefahren.“

„Wieso das denn?“

„Mir war so danach. Nachdem Aurélie mich so angemacht hat, konnte ich einfach nicht mehr – da bin ich zum Bahnhof gelaufen.“

„Wie, sie hat dich angemacht?“, wollte Anna wissen. „Was ist denn nun schon wieder los?“

„Komm mit ins Haus“, forderte ich sie auf.

In meiner Bude setzte ich erst einmal Kakao auf, denn von all der Kälte da draußen war ich schon fast zur Eisprinzessin geworden. Mit der dampfenden Kanne und meinem Ich-bin-hier-der-Boss-Becher ließen wir uns am Tisch bei der Kochecke nieder.

„Nun, das war so“, eröffnete ich die Geschichte. „Ich war doch ziemlich durcheinander, weil Lea mit ’nem Baby im Krankenhaus liegt. Im Krankenhaus musste man doch sein Handy ausmachen und weil ich so durcheinander war, hab ich nicht mehr dran gedacht, es anzumachen. Und dann ist auch noch die Sache mit der CD passiert.“

„Welche CD?“

„Du weißt schon, diese CD, die ich in Paris gekauft hab, die mit den französischen Liedern“, erklärte ich ihr. Anna nickte.

„Nun, ich kam gestern Abend nach Hause und da lag diese CD in tausend Einzelteilen auf dem Bett und das Booklet war zerrupft. Und es stank permanent nach Kati.“

„Hä? Wieso das denn?“

„Na, Chanel Nummer fünf! Ihr Lieblingsparfüm. Das kann nur sie gewesen sein!“

„Aber wie kam die denn in dein Zimmer?“ Das verstand Anna nicht und ich genauso wenig. „Keine Ahnung. Aber das schafft die bestimmt irgendwie. Da muss sie nur vom Hausmeister den Pulli hochziehen und schwupps, gibt er ihr den Ersatzschlüssel.“

„Ich hab’s ja geahnt, als du mir erzählt hast, dass du mit Hannes geschlafen hast“, rief Anna. „Hättest du mal…“

„Ich brauch jetzt kein ‚Hättest du’!“, brauste ich auf. „Ich weiß selber, dass ich totalen Scheiß gebaut hab. Nie im Leben hätte ich meine Jungfräulichkeit an so einen Typen verschwenden sollen! Er ignoriert mich einfach.“

Lauernd fragte Anna: „Tut weh, was?“

„Ja, es tut weh. Aber ich hab mich einfach mitreißen lassen! Es tat so weh, als er gestern mit Kati im Café saß und den anderen Mädels hinterhergeguckt hat. Ich werde ihn wohl einfach ignorieren müssen.“

„Das ist wohl das Beste, was du im Augenblick tun kannst“, stimmte Anna zu. „Aber was war denn jetzt mit Aurélie?“

„Naja, ich war da doch gestern am Arbeiten und da brauste Aurélie auf einmal auf mich zu und brüllte mir ins Gesicht, was Freddy doch für ein Idiot wäre und dass ich so egoistisch sei und ihr nicht helfen wollte. Da hab ich zurückgekeift, was sie sich eigentlich einbilden würde und dass sie nicht der Nabel der Welt sei, und bin gegangen.“

„Au Backe.“ Da lehnte sich Anna zurück und rieb sich die Stirn. „Jetzt ist sie total eingeschnappt. Die war ja vorher schon auf hundertachtzig.“

„Ich weiß.“

„Jetzt brauchen wir dringend eine Lösung“, stellte meine beste Freundin fest und sprang auf. Sie setzte sich auf mein Bett.

„Ach was. Da wäre ich von alleine ja nicht drauf gekommen“, versetzte ich. Nachdem ich die Kakaokanne geleert hatte, setzte ich mich Anna gegenüber auf meinen Schreibtischstuhl.

Sie überlegte. „Warum genau läuft denn bei den beiden zur Zeit alles so schief?“

„Aurélie klammert sich voll an Freddy und er versucht, das mit fadenscheinigen Begründungen zu umgehen. Also denkt Aurélie, dass es daran liegt, dass er sie nicht mehr attraktiv findet und ergreift total schwachsinnige Maßnahmen, wie zum Beispiel das Blondieren ihrer Haare.“

„Ein überaus scharfsinniger Kurzabriss“, lobte Anna mich. Ich verbeugte mich.

„Irgendwie müssen wir die beiden zum Reden bringen“, meinte ich.

„Ja, aber wie?“, fragte Anna. „Die beiden schreien sich ja an, wenn sie sich nur sehen.“

Ich antwortete: „Das müssen wir irgendwie verhindern, sonst sprechen die sich ja nie aus. Eigentlich müssten wir unsere Freunde mal zusammen einschließen.“

„Hey, du bringst mich da auf eine Idee“, erwiderte Anna plötzlich mit einem verschlagenen Grinsen.

 

Ein paar Momente später hatten wir den perfekten Plan entwickelt. Wir würden unsere guten Freunde Aurélie und Freddy mal zu einem DVD-Abend einladen. Natürlich ohne das Wissen des jeweils anderen Partners.

Da Anna noch etwas für die Uni lernen musste, verabschiedete sie sich irgendwann gegen halb elf. Danach saß ich auch noch am Schreibtisch und ging die Vorlesungsunterlagen durch. Doch statt mich mit Staatsphilosophie zu befassen, schwirrten mir tausend andere Gedanken durch den Kopf.

War es leicht, einen anderen Menschen zu ignorieren? Ich besaß wahrscheinlich nicht die geistige Reife, das zu tun. Wie war es eigentlich dazu gekommen, dass ich so sehr im Rausch der Gefühle war, dass ich mit einem Mann schlief, mit dem ich kaum drei Sätze gewechselt hatte? So etwas hätte ich doch sonst nie getan. Das war Magie, sagten die Leute häufig. Etwas anderes konnte es auch kaum gewesen sein, denn ich war wie verhext. Meine Empfindungen waren wie durcheinandergewirbelt. Was empfand ich denn? War es Liebe? Verknalltheit? Sexuelle Anziehung? Oder alles zusammen? Ich vermochte es nicht zu sagen.

Von irgendwoher ertönten Geräusche. Hörte sich an wie ein Film. Das kam von nebenan! Aus 215!

Ich presste mein Ohr an die Wand. Ein Gespräch zwischen Mann und Frau. Sie schienen zu streiten und dann fing die Frau an zu weinen, der Mann wollte sie trösten. Leider verstand ich den Wortlaut des Gesprächs nicht.

Und so etwas sah Hannes sich an? Nein, er bestimmt nicht. Bestimmt hing Kati wieder bei ihm rum und sah sich so einen schnulzigen Liebesfilm an, in dem die Frauen immer Schuhe kauften und die Männer immer Fußball sahen, und währenddessen saß Hannes mit dem Laptop auf dem Bett und spielte Computerspiele.

Na super, so toll klappte das mit dem Ignorieren! Wie sollte man auch jemandem aus dem Weg gehen, der neben einem wohnte??? Das hatten all die schlauen Leute, die mir Ratschläge erteilen wollten, gar nicht bedacht!

Ich rief Anna an. Es dauerte eine Weile, bis sie ranging, ich mutmaßte, dass sie bereits im Bett gelegen hatte. Doch als sie sich meldete, klang sie hellwach.

„Hallo, Sara, was gibt’s?“

„Na ja… ähm… ich wollte fragen, ob ich morgen bei euch übernachten kann… aber das muss auch nicht! Ich wollte nur fragen…“

Anna lachte. „Na klar kannst du hier schlafen! Wieso bestehst du denn auf einmal darauf?“

„Na ja… Mir gefällt es hier grad irgendwie nicht mehr…“

„Wieso das denn?“ Doch da verstand Anna von alleine. „Ach so. Na gut, dann meld dich mal bei mir, wenn du vor der Tür stehst. Okay?“

„Ja, mach ich. Bye.“

„Bye.“ Ich legte auf.

Im selben Moment klingelte es an der Tür. Nicht an der Haustür, sondern an meiner Zimmertür. Komisch, das hatte noch nie jemand gemacht. Ich rappelte mich von meinem Liegeplatz neben der Wand auf und mir wurde auf einmal richtig schwindelig. Ich musste mich an der nächsten greifbaren Ecke festhalten. Klar, so etwas geschah schnell, wenn man zu schnell aufstand, das wusste ich. Benommen lief ich zur Tür und machte auf.

Vor der Tür stand Lea. „Hey, Sara, ich wurde aus dem Krankenhaus entlassen. Was ist los? Warum bist du denn so blass? Sara?“

Krümelmonster, Teil 8

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Irgendwie bekam ich Hannes an dem Tag gar nicht zu Gesicht. Na gut, das konnte vielleicht daran liegen, dass wir nicht die gleichen Studienfächer hatten oder dass er einfach keine Lust auf die Vorlesungen hatte. Verständlich. Hatte ich auch selten.

Ich hatte auch eigentlich keine Zeit, mich darüber zu wundern, denn als ich just aus dem riesigen Unigebäude gehen wollte, stand plötzlich Lea vor mir.

„Hey, was machst du denn hier?“, fragte ich erstaunt und umarmte meine Schwester.

„Ach, ich wollte dich einfach abholen“, antwortete sie.

„Dann bis später“, verabschiedete sich Anna, die bis dahin mit mir gegangen war.

„Bis später“, winkten wir ihr und liefen dann gemeinsam die Robert-Mayer-Straße entlang.

„Du hast mir ja gar nicht Bescheid gesagt, was ist denn los?“, erkundigte ich mich bei ihr.

„Na jaaa…“ Sie seufzte. „Ich wollte nur mal wissen, wie es dir geht.“

„Wie es mir geht? Und da kommst du extra vorbei, anstatt mir ‘ne SMS zu schreiben oder anzurufen?“

„Na ja, ich hab mich doch schon ziemlich lange nicht mehr bei dir gemeldet, oder?“

Wenn sie zwei Tage als lang bezeichnen wollte, dann hatte sie vermutlich Recht. Was war mit Lea?

„Komm, du bist doch nicht hergekommen, um zu fragen, wie’s mir geht. Das könntest du doch auch telefonisch machen. Also, was stimmt nicht mit dir?“

Jetzt blieb Lea stehen und ließ sich damit fast von einem Fußgänger anrempeln, der sie mürrisch anguckte. „Ich bin zu dir gekommen“, antwortete sie nun mit bewegter Stimme, „da ich heute zum Arzt wollte.“

Da war auch ich plötzlich aufgeregt. „Hast du dich jetzt endlich durchgerungen?“

„Ja, habe ich.“ Lea atmete tief durch. „Ich hab mir ein Ärztehaus in der Dominikanerstraße ausgesucht. Ich wollte nicht zu Hause zum Arzt gehen.“

„Das kann ich verstehen.“

Wir kamen an der U-Bahn-Station an.

„Wo willst du jetzt hin? Zu mir nach Hause oder irgendwen besuchen?“

„Na ja“, antwortete Lea, „ich wollte eigentlich direkt zum Arzt gehen. Gero kommt auch, der wartet an der Brücke auf mich.“ Gero, das war ihr Freund, den ich ziemlich selten zu Gesicht bekam; das war auch schon so gewesen, als ich noch bei meinen Eltern gewohnt hatte.

Schweigend gingen wir zur Brücke. Und tatsächlich stand Gero am anderen Ende. Er schaute uns an und trug wie üblich seine schwarze Jacke und das Armycap.

„Hi, Mädels“, sagte er nur und küsste Lea auf den Mund. Das erste Mal, dass ich wieder was von ihm gehört hatte, seit ein paar Wochen. Obwohl ich ihn Samstag und Sonntag gehört hatte.

Zu dritt liefen wir die zwei Kilometer zum Arzt. Ja, zu Fuß, das konnte ich irgendwie selbst nicht glauben. Außerdem sprach keiner von uns ein Wort, bis wir angekommen waren.

In meinem Kopf lief ein sehr komischer Gedankenfilm ab, mit Hannes, Anna und Lea in den Hauptrollen und Gero als Nebendarsteller. Ich ließ den ganzen Tag Revue passieren. Erst die Sache mit Hannes und die Tatsache, dass wir heute Morgen nebeneinander aufgewacht waren. Und jetzt, wo meine Schwester neben mir lief, sorgte ich mich um sie.

Wenn sie wirklich Diabetes hatte, so, wie sie vermutete, dann wäre das doch nicht gefährlich, oder? Wir hatten das in der Schule behandelt und ich wusste, dass man das in den Griff kriegen konnte. Aber würde sich Leas Leben dadurch nicht grundsätzlich verändern? Würde das nicht ihren ganzen Lebensplan umschmeißen, wenn sie immer Broteinheiten zählen musste und sich ständig Insulin spritzen musste?

Ich war ziemlich besorgt, aber als wir vor dem Ärztehaus ankamen, nahm ich sie kurz beiseite.

„Hab keine Angst. Du bist bestimmt nicht krank und wenn doch, dann ist es zwar ernst, aber nicht todernst. Das kannst du… irgendwie in den Griff kriegen. Ich helf dir dabei.“

„Danke, Kleine“, antwortete Lea und umarmte mich. Dann gingen wir gemeinsam ins Ärztehaus.

Lea musste, was ziemlich ungewöhnlich ist, nicht besonders lange warten und kam fast sofort dran. Zusammen mit einigen älteren Damen saßen Gero und ich im Wartezimmer der Hausarztpraxis, die im Ärztehaus untergebracht war, und ich blätterte in irgendwelchen Illustrierten, die schon Wochen alt waren. Nachdem ich den xten Bericht über ein sich trennendes Schauspielerpärchen gelesen hatte, verlor ich die Lust und legte die Zeitungen beiseite.

Die alten Omas waren inzwischen weg. Ich starrte angestrengt auf das mir gegenüber an der Wand hängende impressionistische Gemälde. Mir fiel auf, dass dasselbe Bild früher auch in der Schule gehangen hatte, im Krankenzimmer. Mann, wie ich es dort gehasst hatte…

Plötzlich ertönte neben mir ein lautes Seufzen und ich sah, wie Gero sich das Gericht rieb.

„Oh, ich hoffe wirklich, dass sie nicht krank ist. Ich weiß, dass sie das nicht aushalten würde…“, murmelte Gero.

„Ja, sie war schon immer ziemlich empfindlich…“

Oh, ein Gespräch zwischen uns. Hatten wir uns überhaupt schon mal so richtig unterhalten?

„Das war sie schon früher, ja. Als ich sie angesprochen habe, dachte sie zuerst, ich wäre irgendso ein Irrer, und hat mich total ignoriert.“

„Wie lange ist es schon her, dass du Lea angesprochen hast?“

„Zwei Jahre müssten es jetzt sein.“ Gero nahm seinen Kopf zurück und dachte angestrengt nach. „Ja, letzte Woche waren es genau zwei Jahre.“ Er lachte. „Wir hatten diesen Unikurs zusammen. Es ging irgendwie um Shakespeare oder so was. Ich habe sie gefragt, ob ich ihr nachhelfen soll.“

„Und da hat sie Nein gesagt?“

„Ja, wahrscheinlich waren meine Worte etwas unglücklich gewählt. Obwohl ich gar nicht mehr genau weiß, was ich gesagt habe. Aber irgendwann ließ sie sich dann von mir zu einem gemeinsamen Kaffee im Studentencafé überreden. Und ungefähr einen Monat später waren wir dann zusammen. Ich könnte dir sogar noch den Tisch zeigen, an dem Lea und ich damals gesessen haben. Kennst du den Tisch hinten rechts in der Ecke, wo das Herz eingeritzt ist?“, fragte er.

Ich nickte. „Ich arbeite ja dort.“

„Oh, wirklich? Ich habe dich ja schon lange nicht mehr dort gesehen.“

„Ja, ich habe in der letzten Zeit viel um die Ohren gehabt wegen diesen Politikseminaren. Aber morgen will ich wieder hin. Da fällt diese eine Vorlesung aus, also habe ich den ganzen Tag Zeit.“

„Und du studierst also Politik?“

„Ja“, seufzte ich. „Ich hatte in der Schule Supernoten darin und fand es auch ganz interessant, aber so als Vollzeitstudium… ätzend.“

„Das ist nur am Anfang so. So ab dem zweiten Semester gewöhnt man sich daran.“

„Dann wird’s ja Zeit.“

Wir lachten beide.

Eine ganze Weile unterhielten wir uns noch. Als ich gerade anfangen wollte, die Geschichte mit Freddy in Paris zu erzählen, riss plötzlich jemand die Tür auf und ich sah, wie Lea auf einer Trage herausgebracht wurde.

Krümelmonster, Teil 7

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Es war Hannes.

Er war ein Bild von einem Mann.

Er hatte einen Traumkörper. Hatte nicht mal irgendjemand erwähnt, dass er Sport studierte?

Da er mir den Rücken zugewandt hatte, bemerkte er mich nicht. Er seifte sich gerade mit diesem unheimlich gut riechenden Männerduschgel ein.

Das Seifenwasser rannte ihm Blasen werfend den Rücken herunter. Wie gebannt starrte ich auf diese Rinnsale.

Mein Gehirn sagte mir, dass ich den Vorhang jetzt besser schließen sollte. Aber ich konnte nicht.

Und da drehte er sich um.

Er sah mich an.

Ich sah ihn an.

Das Wasser rannte seinen Körper runter.

Absurderweise bemerkte ich gerade, dass er grüne Augen hatte. Ich erinnerte mich plötzlich an einen Augenblick vor sechs Jahren, in dem Anna und ich im Klassenraum der damaligen 9c über unsere Traummänner diskutiert hatten. „Und er muss auf jeden Fall grüne Augen haben!“, hatte ich damals zu ihr gesagt, das wusste ich ganz genau.

Er sah mich immer noch an.

„Oh, äh, hi, ich wollte nur, äh, duschen…“, stammelte ich.

Er sah mir intensiv in die Augen. So intensiv hatte mich noch nie in meinem Leben jemand angesehen. „Weißt du, dass du unheimlich attraktiv aussiehst?“

„Das Gleiche kann ich von dir behaupten…“

Ich ließ mein super duftendes Orangenblütengel und den dämlichen Waschlappen fallen. Mit einem leisen Geräusch kamen sie unten an. In dem Augenblick war kein Laut mehr zu hören, nirgendwo.

Dann ging alles ganz schnell. Er fasste mich am Hals und zog mich in die Duschkabine, an sich und küsste mich intensiv. Mit Zunge. Das hatte ich überhaupt noch nie getan. Die Dusche verteilte ihr Wasser über uns und machte mich samt Handtuch total nass. Aber das war mir egal. In meinem Kopf explodierten Funken. Er wanderte mit seinen Lippen vom Mund zur Wange, den Hals herunter, und wieder zurück. Mit der einen Hand hielt er mich im Arm, mit der anderen drehte er das Wasser ab.

Wir stolperten über den Zimmerflur und pressten dabei die Körper eng aneinander, sodass mein Handtuch weiterhielt, obwohl es sich eigentlich schon gelöst hatte. Mehrmals liefen wir dabei gegen die Wand, denn die Augen hielt ich beim intensiven Küssen geschlossen. Irgendwie schaffte er es, die Zimmertür zu öffnen und uns beide auf sein riesiges Bett fallen zu lassen. Er zog mir das Handtuch, das schwer wie Blei auf mir lag, vom Körper. Dabei kam er nicht nur zufällig an meine Brüste, die er streichelte und mit der Zunge liebkoste. Es fühlte sich so gut an. Seine Hände berührten mich am ganzen Körper und ließen mich glauben, ich wäre im Paradies. Es fühlte sich an, als bestünde ich aus einem Eisberg, in dem ein Feuer war, der den Berg zum Schmelzen brachte. Meine Hände gingen auf Erkundungsreise und wanderten auf seiner Haut herum. Sie war gleichzeitig heiß und kalt, genauso wie ich. Ich bewegte meine Hände vom Rücken, auf dem ich einige erregte Kratzer hinterließ, zu seiner unteren vorderen Mitte und tastete mich dort entlang. Auch das hatte ich noch nie gemacht und es war ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Eigentlich hatte ich es mir nie richtig vorgestellt. Trotzdem schien es ihm zu gefallen, denn er stöhnte auf und wurde auf einmal noch wilder. Er küsste mich von meinen Brüsten abwärts, über die Hüften bis auf die Beine und die Innenseiten meiner Schenkel hoch. Mir liefen Schauer über den Rücken. Jetzt streichelte er mich in der unteren Mitte meines Körpers und brachte dort Gefühle zum Vorschein, die ich noch nie gehabt hatte und so unendlich gut taten. Ich massierte seinen ganzen Körper, besonders die eben erwähnte Stelle, und er bäumte sich auf und ließ mich seine gesamte Männlichkeit spüren. Wir wurden beide immer lauter und immer erregter. Jetzt langte er mit der rechten Hand unter sein riesiges Bett, dessen Breite wir voll auskosteten, und streifte sich das, was er dort fand, über. In einen Pariser verpackt, fühlte er mit seinen wundervollen Händen kurz vor und war in mir. Es war in jeder Hinsicht, so sagten die Franzosen, wie ein kleiner Tod. Es tat weh, aber das merkte ich kaum, weil ich so unter Strom stand und sich in meinem Kopf ein ganzes Feld von Blumen auftat, ich schloss die Augen und mir entfuhr ein lauter, lustvoller Schrei. Irgendwann sank ich ermattet zusammen und er ließ sich neben mich fallen. Er küsste mich auf beide Seiten meines Halses und dann auf den Mund.

„Na, hat es dir gefallen?“, fragte er mich und streichelte dabei über meine Haare.

„Es war das Schönste, was ich je erlebt habe“, seufzte ich glücklich.

„Hast du denn überhaupt schon mal…?“, fragte er mich und betonte dabei das hast auf eine besondere Weise.

„Nein. Aber ich könnte mir nicht vorstellen, dass es jemals schöner werden könnte…“, antwortete ich und schloss die Augen. Es war bereits ziemlich spät, das Erste, was ich wieder bewusst mitbekam.

„Du bist ja ziemlich müde, meine Hübsche“, flüsterte er mir ins Ohr.

„Du hast mich auch ins Schwitzen gebracht“, murmelte ich und zwinkerte ihm zu. „Machst du das eigentlich immer?“

„Was meinst du?“

„Mit einer anderen schlafen, obwohl du vergeben bist?“

Jetzt setzte er sich auf und vergrub sein Gesicht in beiden Händen. „Die Beziehung mit Kati ist immer schwieriger geworden. Ich habe mit ihr Schluss gemacht und sie ist heute Morgen gefahren. Sie wird nie wiederkommen. Und wenn ja, dann ist es mir egal, denn sie bedeutet mir überhaupt nichts mehr.“

In dem Augenblick knallte eine Tür. Wir beide zuckten zusammen, besannen uns aber wieder auf uns beide.

„Dass sie einen Mann wie dich nicht zu schätzen weiß, war ja klar“, brummte ich und lächelte ihn an.

Dann gähnte ich. „Du solltest wirklich schlafen. Sonst kommst du morgen nicht rechtzeitig in die Uni, meine Hübsche“, wisperte er mir zu.

„Die Uni ist mir so was von egal“, rief ich und zog ihn zu mir runter, da ich ihm noch einen Gute-Nacht-Kuss geben wollte, und was für einen…

 

Am nächsten Morgen war mein ganzes Leben irgendwie anders. Habt ihr, verehrte Leser, mal den Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“ gesehen? Dort fand die Protagonistin Selbsterfüllung, indem sie einem Menschen, der früher in ihrer Wohnung gelebt hatte, Schätze aus seiner Kindheit zukommen ließ. Sie ging durch Paris, die Sonne schien, und sie war vollkommen im Einklang mit sich selbst. Genauso ging es mir jetzt. Ich lief durch Frankfurt, die Sonne schien für mich, obwohl es in Wahrheit bestimmt regnete, und ich fühlte mich unheimlich toll. Die Uni überstand ich wie nichts, stellte in der Vorlesung Dutzende Fragen, war also unheimlich präsent, arbeitete sogar gerne in meiner eigentlich aufgezwungenen Arbeitsgruppe mit. Sonst fand ich meine Kommilitonen immer voll nervig, aber jetzt fand ich sie so interessant wie sonst was. „Was ist denn mit dir los?“, fragte dieses blonde Mädchen, dessen Namen ich nie wusste, und ich antwortete: „Ich bin heute einfach supergut drauf.“

In der Mittagspause traf ich in der Mensaschlange, dessen Länge mir natürlich überhaupt nichts ausmachte, auf Anna.

„Sag mal, was ist denn mit dir los?“, wollte sie neugierig wissen.

„Das bleibt mein kleines Geheimnis“, antwortete ich und zwinkerte ihr, immer noch dauergrinsend zu.

Irgendwann verriet ich es ihr schließlich. „Hannes und ich haben, du weißt schon…“ Kicher!

„Nein, nicht wirklich, oder?“ Anna riss die Augen vor Erstaunen weit auf.

„Doch!“ Ich nickte grinsend mit dem Kopf.

„Wie, ernsthaft?“

„Ja, natürlich ernsthaft!“

Anna machte immer noch große Augen. Doch dann erfolgte nicht die Reaktion, die ich erwartet hätte. Ich dachte eigentlich, sie würde jetzt so etwas sagen wie: „Wow, du hast zum ersten Mal mit einem Mann geschlafen? Toll!“ Oder so etwas in der Art. Stattdessen kam von ihr nur der Kommentar: „Au Backe!“ und sie nahm ihr Gesicht in ihre Hände.

„Was ist denn los?“, fragte ich, nun nicht länger lächelnd.

„Du fragst mich, was los ist?“ Anna schaute mich an. „Du verschwendest deine Jungfräulichkeit an so einen Typen? Stadtbekannter Casanova? Der hatte schon mit so ziemlich jeder Frau an der Uni was, einige Dozentinnen mit eingeschlossen. Und jetzt kommst du an und lässt dich auch noch in seinem Portfolio auflisten? Oh Mann, ich hätte dich eigentlich für intelligenter gehalten.“

„Ich weiß doch auch nicht, was da passiert ist“, verteidigte ich mich. „Es war höhere Gewalt. Der kam einfach so in mein Zimmer und hat mich vollgequatscht und ich hab ihn rausgejagt… Aber als wir uns dann in der Dusche getroffen haben, da…“

„Wie, ihr habt euch in der Dusche getroffen?“, wollte Anna wissen.

„Na ja, ich wollte halt duschen gehen und da hab ich den Vorhang aufgerissen, und er stand da nackt und dann kam eins zum anderen…“, erzählte ich.

„Eins kam zum anderen, soso. Na ja, ich hoffe nur, dass es dir nicht am Ende so geht wie all den anderen armen Tussis.“

„Wie meinst du das?“

„Nun ja“, sagte Anna und nahm sich einen Teller Gemüsemaultaschen von der Anrichte, „der reißt halt ständig eine auf und lässt sie dann wieder fallen.“

Während ich mir ebenfalls Gemüsemaultaschen auftat, fragte ich: „Glaubst du, das hat mich in dem Moment interessiert? Ich hab ja auch nicht darüber nachgedacht, ob Hannes und Kati jetzt noch zusammen sind oder nicht.“

Wir bezahlten unser Essen und nahmen unser Besteck.

„Das weiß man bei den beiden nie so genau. Die haben so eine On-Off-Beziehung…“ Anna setzte sich an einen Tisch und ich tat es ihr gleich. „Alles, was ich dir sagen wollte, ist doch: Pass auf, dass du dich nicht in den Typen verliebst, der ist gefährlich. Und nimm dich in Acht vor Kati. Mit der ist überhaupt nicht gut Kirschen essen.“

„Ich wollte doch nicht gleich eine Beziehung mit ihm anfangen“, lachte ich. „Und vor der dummen Pute hüte ich mich doch. Die kann mir gar nichts.“

Krümelmonster, Teil 1

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Vor einigen Jahren begann ich eine Reihe über eine junge Frau namens Sara und stellte die entstandenen Teile auf neon.de hoch. Da ich den Account vor einiger Zeit gelöscht habe, wird die Geschichte nach und nach hier zu lesen sein. “Krümelmonster” ist der dritte Teil der Reihe. Viel Spaß beim Lesen.

Es hatte lange gedauert, bis wir uns zu diesem Schritt durchgerungen hatten, aber schließlich hatten wir uns dafür entschieden.

Vielleicht sollte ich erst einmal erklären, worum es überhaupt geht. Falls irgendeiner diesen Quatsch, den ich hier zusammenschreibe, mal liest.

Na ja. Ich studiere mittlerweile Politik an der Frankfurter Universität, und da ich keine Lust habe, ständig zu pendeln, und außerdem durch meinen Nebenjob im Studentencafé ziemlich gut verdiene, kam die Idee auf, dass ich von zu Hause ausziehe.

Meine beste Freundin Anna hat es schon im Sommer dort hin verschlagen. Sie ist auch, das glaube ich zumindest, die Selbstständige von uns dreien. Zusammen mit Aurélie bewohnt sie eine Wohnung in der Innenstadt. Ich wäre gerne zu ihnen gezogen, aber das ging nicht. Die Miete war mir etwas zu teuer.

Dafür wanderten meine Kisten in ein Studentenwohnheim, das ganz in ihrer Nähe lag. Benannt nach irgendeinem ehemaligen Bundestagspräsidenten. Oder so ähnlich. Es war mir wichtig, dass es sich nicht um ein religiöses Wohnheim handelte, denn die hatten traditionell immer sehr strenge Besuchsregeln. Darauf hatte ich keine Lust. Ich wollte noch spät in der Nacht mit Aurélie, Anna und Freddy in der Küche sitzen, was trinken und diskutieren, ohne auf die Uhr schauen zu müssen.

Zu Hause wäre das auch nicht gegangen. Oma machte mich in so einem Fall immer lautstark darauf aufmerksam, dass ich doch bitte leise sein solle, schließlich wolle sie schlafen. Trotzdem hatte ich sie dann einmal beim Fernsehen beobachtet. Spätnachrichten.

Fast alle meine Sachen sowie die gesamten Möbel waren schon in meinem Zimmer verstaut und aufgebaut, nur eine Kiste mit Büchern fehlte noch.

Lea und ich holten sie gemeinsam ab. Während der Fahrt unterhielten wir uns miteinander.

„Wieso ziehst du nicht auch aus?“

„Ach, weißt du, es klingt zwar komisch, aber irgendwie würde mir unsere verrückte Familie doch fehlen“, sagte Lea und bog links ab. „Außerdem würden die doch im Dreieck springen. Wenn ich auch noch weg bin, kümmert sich ja keiner mehr um den Haushalt. Paul ist ja auch noch zu jung dafür mit seinen neun Jahren.“

Da konnte ich ja nur lachen.

Wir waren schon fast da, als uns ein dämlicher Mercedesfahrer die Vorfahrt nahm. Ich konnte nicht genau erkennen, welcher Idiot da am Steuer saß, aber das Auto kam mir verflucht bekannt vor. Woher nur?

Lea und ich hielten vor dem Gebäude, in dem bestimmt die Hälfte aller Studenten untergebracht war, und packten die Kiste mit den Büchern aus. Neben uns stand ein silberner Mercedes, so einer wie der, der uns vorhin fast über den Haufen gefahren hätte. So was aber auch.

Ich hatte ein Zimmer im ersten Stock bezogen. Da die Kiste ziemlich schwer war, mussten Lea und ich sie zu zweit tragen, was ziemlich viel Platz in Anspruch nahm. So kam es, dass wir im Flur mit einer Person aneinander stießen.

„Hoppla, wer hat es denn da so eilig?“, wollte der Typ wissen.

Lea und ich stellten die Kiste kurz auf dem Flurboden ab. „Hallo“, sagte ich, „ich bin Sara und bin heute hier eingezogen.“

„Hallo.“ Der Mensch reichte mir die Hand. „Ich bin Hannes. In welchem Zimmer wohnst du?“

„Ich wohne im Zimmer 214.“

„Na so was, ich bin im Zimmer 215! Dann sieht man sich ja bestimmt noch später, was?“

„Ja, bis später!“

Lea und ich trugen die Bücherkiste ins Zimmer und packten die Bücher ins Regal. Es dauerte ganz schön lange, da ich viele Bücher besitze.

Irgendwann waren wir fertig – fix und fertig. In den letzten Tagen hatten wir, zusammen mit verschiedenen Helfern, unzählige Kartons geschleppt und Möbel aufgebaut. Das Ergebnis war ein wohnlicher Raum – und unsere Erschöpfung.

Zur Entspannung wollten wir ein bisschen Musik anmachen. Gott sei Dank hing die Stereoanlage bereits am Stromnetz. Nach einigem Hin und Her hatten Lea und ich uns auf die neue Scheibe von Placebo geeinigt.

Vermutlich hatten wir etwas zu laut aufgedreht, oder die Wände waren zu hellhörig. Das Erste, was passierte, war jedenfalls, dass zwei Menschen in unser Zimmer stürmten. Noch auf dem Flur vernahm ich ihre Stimmen. Die eine gehörte Hannes und rief: „Komm, Kati, das bringt doch nichts!“ Die andere war eindeutig weiblich und schrie: „Wer auch immer das ist, der kriegt was zu hören!“

Und da hatte ich sie. Die Begegnung der dritten Art. Die schienen ja neuerdings echt beliebt zu sein bei den Drehbuchautoren meines Lebens. In meinem Zimmer stand Hannes. Und er hatte Kati bei der Hand.

Plötzlich passte alles zusammen. Der silberne Protzmercedes, den sie von ihrem Vater zum Abitur bekommen hatte. Die Rufe vom Flur. Und ihre dämliche Bemerkung vom Abiball, dass sie nach Frankfurt ziehen würde und mich dann garantiert los sei. Da wusste sie noch nicht, dass wir uns wieder begegnen würden.

In der Grundschulzeit hatten wir uns öfter mal gesehen – zwangsweise, weil unsere Mütter immer wollten, dass wir miteinander spielten. Dabei rissen wir uns eher die Haare heraus, als ihrer Aufforderung nachzukommen. Und in der neunten Klasse wurde richtig deutlich, wie unterschiedlich wir waren. Während ich anfing, Kufiyas zu tragen und mir außerdem die Haare knallrot färbte, schnappte sie sich einen Freund, der in der Jungen Union war, und trug nur noch Designerklamotten. Sogar ihre Sportsachen waren von Dolce & Gabbana.

Sofort schnappte Katharina nach Luft, als sie mich sah. Hatte ich schon erwähnt, dass sie früher immer Asthma vorgeschoben hatte, um nicht zum Sportunterricht zu müssen?

„Das kann doch nicht sein, das… das ist unmöglich…“

Sekundenlang standen wir da und schauten uns schockiert an, bis Hannes endlich den Mund aufmachte. „Ihr kennt euch?“

„Ich wünschte, ich würde sie nicht kennen“, schnaubte Katharina.

Lea klärte ihn auf. „Die beiden waren in einer Stufe.“

„Das halte ich nicht aus!“, kreischte Katharina und tat so, als bekäme sie keine Luft mehr. „Wo ist mein Asthmaspray?“, rief sie und verschwand in dem Zimmer, das meinem gegenüber lag, gefolgt von Hannes, der nur noch antworten konnte: „Aber Kati…“

„Auf den Schock muss ich jetzt erst mal einen trinken. Los, komm mit“, forderte ich Lea auf und zog sie, ohne ihre Antwort abzuwarten, nach unten.

Es kam wirklich nicht oft vor, dass ich bei meinen guten Freundinnen vorbeischneite, ohne mich vorher anzukündigen. Aber im Augenblick fühlte ich mich einfach saudumm. Dass Lea und ich zwei Mal in die falsche S-Bahn stiegen und außerdem einmal in die falsche Richtung fuhren, machte es nicht gerade besser.

Ich brauchte unbedingt einen Netzplan.

Irgendwann kamen wir an. Als man uns mit der Sprechanlage nach oben durchließ, überflog ich die dreißig Treppenstufen bis zur Wohnung.

„Hallo, ihr beiden, das ist aber –“

„Oh, ich glaube, ich dreh gleich durch!“ Fix und fertig ließ ich mich auf den erstbesten Hocker fallen, den ich fand. „Manchmal denke ich, mein Leben ist eine Komödie!“

„Was meinst du denn damit schon wieder?“ Anna, die uns aufgemacht und außerdem gar nicht mit uns gerechnet hatte, schüttelte den Kopf. „Komm, ich mach euch erstmal Kaffee. Ist ’ne ganz tolle Sorte: Cappucino mit Schokolade.“

Typisch Anna. Die Ruhe in Person.

Das Zeug, das sie uns zusammengebraut hatte, schmeckte aber gar nicht mal so übel.

„So, und jetzt erzählst du mal ganz in Ruhe, was bis jetzt passiert ist.“

Lea begann. „Also, wir wollten ja heute den Umzug abschließen und dann…“

Da kam Aurélie ins Zimmer. Als sie uns sah, war sie ganz aus dem Häuschen und gab uns Küsschen links und rechts.

„Und, wie war euer Umzug? Wie ist es gelaufen? Ist dein Zimmer schon fertig?“

„Ja, alles ganz gut. Mal gucken, wann ihr vorbeikommen könnt“, antwortete ich auf Aurélies viele Fragen.

Nun erzählte Lea weiter: „Also, wir waren heute fertig und dann haben wir eine CD gehört.“

„Und auf einmal stand sie in meinem Zimmer“, ergänzte ich schockiert.

„Wer denn?“, erkundigte sich Aurélie.

„Und warum überhaupt?“, schob Anna ein.

Ich legte eine Kunstpause ein, bevor ich weitersprach. „Es war unsere liebe Katharina. Sie ist mit meinem Zimmernachbarn zusammen und hat sich über den ‚Krach’ bei uns beschwert.“

„Katharina?“

„Oh mein Gott“, raunte Aurélie und schnappte sich einen Apfel aus der Obstschale.

„Das kannst du laut sagen.“ Ich beugte mich nach vorne. „Könnt ihr euch noch an die Parisgeschichte erinnern? Das war echt voll link, wie sie Alex alles zugeschoben hat.“

„Da hast du Recht“, sagte Lea. Alex war ein Kumpel von ihr. „Katharina hat sich schön fein rausgewieselt und Alex hat den ganzen Ärger mit den Lehrern gekriegt.“

„Also, ich lege keinen gesteigerten Wert darauf, ihr noch einmal zu begegnen.“

„Ich auch nicht“, kam es von den anderen dreien.

Wo ist die Liebe hin?, Teil 6

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Die besten Ideen bekommt man immer dann, wenn man es am wenigsten erwartet. Wer hatte das noch mal gesagt? Es wollte mir nicht mehr einfallen. Aber das war ja eigentlich auch egal. Voller Tatendrang fuhr ich, so schnell ich konnte, nach Hause und stürmte in Leas Zimmer.

„Hey, was soll das, ich lackiere mir grade die Fußnägel!“, beschwerte sich Lea. Aber das kümmerte mich nicht im Geringsten.

„Ich habe den perfekten Plan, wie wir unsere Familie wieder zur Vernunft bringen.“

„Familie! Hör mir damit auf! Du kannst froh sein, dass du für eine Weile abgehauen bist. Gemütlicher ist es hier nicht gerade geworden“, berichtete sie.

Ich rief: „Hör doch mal. Ich habe eine Idee. Wie würde es Oma und unseren Eltern denn gehen, wenn wir auf einmal weg wären?“

„Hä, wie meinst du das denn?“

„Du weißt doch, dass ich mir bald einen Job suchen sollte, wenn ich mit der Schule fertig bin. Und du hast selbst gesagt, dass du lieber ausziehst, als den Krach hier noch weiter mitzumachen.“

„Du meinst, wir sollen hier ausziehen? Und was soll das bringen?“

„Nein, nicht nur einfach ausziehen. Ich hab da nämlich so eine Idee…“

Der Plan, den ich gefasst hatte, musste schnell realisiert werden. Nachdem Lea anfangs skeptisch gewesen war, hatte ich sie schnell für mich gewinnen können und sie hatte mir bei der Endausarbeitung des Plans geholfen.

In meinem Auftrag hatte sie bei der Nummer angerufen, die ich mir aufgeschrieben hatte, und uns die Wohnung für einen Monat besorgt. In der Zwischenzeit hatte ich mir den Job beim Fastfoodrestaurant geholt. Lea konnte coolerweise auch mit anfangen.

Der günstigste Zeitpunkt zur Vollendung des Plans war einige Tage später, am frühen Nachmittag, wenn Paul bei seinem Kumpel war, Mamas Mittagspause bereits geendet hatte, Papa noch in seiner Kanzlei arbeitete und Oma gerade zum Reha-Sport unterwegs war. Und es musste wirklich verdammt schnell gehen. In der Eile, in der Lea und ich unsere Sachen packten, fielen wir ein Dutzend Mal übereinander, rempelten uns an oder fauchten uns an.

„Wo ist mein grünes T-Shirt?“, rief ich beispielsweise.

„Woher soll ich das wissen?“

„Hast du es dir nicht mal ausgeliehen? Und nicht zurückgegeben? Hab ich mir ja gleich gedacht.“

„Ich hab dein blödes T-Shirt nicht. Aber was ist mit meinem pinken Lippenstift?“

„Lenk nicht ab! Außerdem würde ich so eine Farbe nie im Leben benutzen.“

„Ach was, ich glaube du hast aaaaaaaaaah…“ Lea fiel über einen der Kartons, die uns ihr Freund besorgt hatte, mit dem Gesicht steil in einen anderen Karton herein. Mühsam rappelte sie sich auf und zog das gesuchte Teil aus dem Karton. „Hier ist dein blödes T-Shirt. Und jetzt beeil dich, sonst sind wir nie fertig, bevor Oma kommt.“

Wir rannten hin und her.

Schlussendlich standen wir vor dem Transporter, der uns ebenfalls von Leas Freund zur Verfügung gestellt worden war, und sahen uns an.

„Bist du sicher, dass das eine gute Idee war?“

„Aber klar. Jedenfalls ist doch sicher, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Extreme Situationen erfordern extreme Maßnahmen.“

Lea setzte sich ans Steuer, ich auf den Beifahrersitz und weg waren wir.

Natürlich nicht, ohne einen Brief da zu lassen. Er ging folgendermaßen:

Hallo Mama, hallo Papa, hallo Oma.

Wenn ihr diesen Brief lest, sind wir schon weg. Wir haben beschlossen, auszuziehen, weil wir es hier einfach nicht mehr aushalten. Wir werden ab und zu vorbeikommen, um im Haushalt zu helfen. Aber zu euch zurückkommen werden wir erst, wenn ihr aufhört, euch ständig zu streiten.

Lea und Sara.

„Meine Güte, ich bin so kribbelig, ich weiß gar nicht, was ich machen soll!“, rief Lea, als wir uns in der karg wirkenden Wohnung auf den Badezimmerboden setzten.

„Blas die Luftmatratzen auf“, befahl ich ihr. Die hatten wir als Notbetten mitgenommen. In der Zeit, in der Lea sich die Seele aus dem Leib prustete, telefonierte ich mit der Band.

„Hallo, Larry am Rohr?“, meldete sich der Sänger, der, wie ich neulich gehört hatte, dringend seine Miete bezahlen musste.

„Hey, hier ist Sara. Die von neulich Abend. Ihr sucht doch dringend eine Auftrittsmöglichkeit, oder?“

„Korrekt. Und du hast eine, oder was?“

„Genau. Ich habe mit einem Mädel aus meinem Jahrgang gesprochen, das für die Abiballband zuständig ist. Zufällig habe ich ihre Telefonnummer. Soll ich sie dir geben?“

„Sieht das Mädel gut aus?“ Lachen am anderen Ende der Leitung. „Nein, war nur Ulk. Gib sie mir mal. Ich hab was zu schreiben.“

„3-4-4-6-7. Das ist sie. Dann melde dich mal bei ihr, wir suchen wirklich dringend eine Abiballband.“

„Supi. Dann bis die Tage.“

„Auf Wiedersehen.“

Es war das Letzte, was ich sagen konnte, bevor irgendjemand an der Tür Sturm klingelte, mehrmals laut anklopfte und schrie: „Macht sofort die Tür auf! Ich weiß, dass ihr da drin seid!“

Oh oh. Das war nicht nur irgendjemand, das war unser Vater. Jetzt endlich hatte er seinen Hintern aus dem Sessel gekriegt, auf dem er immer Zeitung las und sich aus allem heraushielt. Aber ich wusste, dass das jetzt nicht unbedingt gut war.

Lea und ich sahen uns an. Ein bisschen war es wie damals, als wir uns in Paris im Klo eingeschlossen hatten und Frau Lacombe nach mir gerufen hatte.

Einen Augenblick lang war es ganz still.

Dann wieder Türenklopfen und laute Rufe: „Lea, Sara, macht sofort die Tür auf!“ Diesmal von unserer Mutter.

„Sollen wir jetzt aufmachen oder nicht?“, flüsterte ich.

„Natürlich, genau darauf haben wir doch gewartet“, erwiderte meine Schwester und zog mich entschlossen zur Wohnungstür.

Wo ist die Liebe hin?, Teil 3

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Ich war unheimlich erleichtert, als ich am Nachmittag endlich die Bücher zuklappen und zum Treffen mit meinen besten Freundinnen fahren konnte.

Treffpunkt war der Platz des 20. Juli. Hier wollten wir uns treffen und zusammen in der nächsten Eisdiele einen Becher essen. Doch als ich an der großen Stauffenberg-Statue in der Mitte des Platzes ankam, saß unter ihr nur Anna.

„Wo ist Aurélie?“

„Hat mir vor fünf Minuten per SMS abgesagt. Angeblich ein Zahnarzttermin. Aber daran glaube ich irgendwie nicht.“

„Du meinst, sie könnte…?“

„Ja, genau.“

Wir gingen in die Eisdiele. Während wir auf unsere Eisbecher warteten, besprachen wir die Lage.

„Findest du es nicht auch merkwürdig, dass Aurélie sich gestern mit Freddy getroffen hat, ohne uns was zu sagen?“

„Eigentlich schon. Aber vielleicht hatte sie auch einfach denselben Gedanken wie wir. Und immerhin findest du ja Freddy ziemlich seltsam, da brauchst du mir gar nichts zu erzählen. Kein Wunder, dass sie uns da nichts erzählt hat.“

„Schon gut. Ich sag ja auch gar nichts dagegen, aber…“ Hilflos zuckte Anna mit den Schultern. „Wieso erzählt sie uns nichts davon? Hat sie irgendwelche Geheimnisse vor uns oder was?“

Die Eisbecher kamen. Während ich den ersten Löffel meines Erdbeer-Spezials nahm, gab ich zu bedenken: „Muss sie uns denn alles erzählen? Ich kläre dich doch auch nicht im Detail darüber auf, was ich tue, wenn du nicht da bist!“

„Na ja, eigentlich –“, wollte Anna einwerfen, doch ich hörte nicht zu, weil ich in diesem Augenblick zwei Menschen in die Pommesbude gegenüber gehen sah. Es waren ein Mädchen und ein Junge. Das Mädchen hatte braune Haare und trug eine rote Baskenmütze und der Junge hatte orangefarbene Stoppelhaare sowie ein schwarzes Metallica-T-Shirt.

Aurélie und Freddy! Ich glaubte es nicht.

Schnell zerrte ich Anna herunter, denn die beiden schauten gerade Richtung Eisdiele.

„Ich glaube es nicht!“

„Wieso, was ist denn los?“ Anna wollte sich wieder normal hinsetzen, doch ich zerrte sie wieder herunter.

„Da drüben! In der Pommesbude!“

„Hm?“ Vorsichtig richteten wir uns auf und lugten über den Rand unserer Sitzbank auf die andere Straßenseite.

Dort sahen wir, wie Freddy und Aurélie sich angeregt unterhielten. Sie gestikulierten beim Reden wild mit ihren Händen und ab und zu lachte Aurélie.

„Ich fass es nicht!“ Wütend drehte Anna sich um, was bei ihr eher selten vorkam, und rammte ihren Löffel in den Eisbecher. „Uns sagt sie, sie ist beim Zahnarzt, und dann trifft sie sich mit diesem Typen!“ Sie schlang einige Löffel hastig herunter.

„Hey, du redest von meinem besten Kumpel!“, rief ich. „Aber eigentlich hast du Recht. Langsam kommt mir die Sache auch spanisch vor. Und dass sie sich heimlich treffen, anstatt uns davon zu erzählen, kommt mir sogar portugiesisch vor.“

„Mir geht es genauso.“ Anna sah sorgenvoll zu den beiden hinüber. „Du, Sara?“

„Was?“

„Denkst du, was ich denke?“

„Was denkst du denn?“

„Glaubst du, die beiden haben etwas miteinander?“

Das Ganze erschien mir so abwegig, dass ich nicht anders konnte, als lauthals loszulachen. Als die anderen Gäste mich anstarrten, versuchte ich mich wieder einzukriegen. Das allerdings mit wenig Erfolg.

„Das wäre immerhin ein Grund, warum die beiden so heimlich tun“, gab Anna zu bedenken.

„Aber die beiden passen doch überhaupt nicht zusammen. Oder weißt du irgendwas von französischen Wurzeln bei Freddy?“, versetzte ich. Leider war Aurélie ihre Frankreich-Manie nach der Parisfahrt trotz Wein-Vollrausch nicht los geworden.

„Keine Ahnung. Ich wüsste allerdings einen anderen Grund…“

„Und der wäre?“

„Na ja… du weißt doch, ich kann nicht so viel mit ihm anfangen… Ich finde ihn aber nicht dumm, wirklich!“, beteuerte Anna.

„Schon gut.“ Ich schaute auf die Uhr, die mit italienischen Zahlwörtern beschrieben war, und nahm einen Löffel meines Erdbeer-Spezials. „Wir fragen sie morgen nach der Prüfung einfach mal. Und vielleicht liegen wir mit unserer Vermutung ja auch total falsch. Bestimmt gibt er ihr auch einfach nur Nachhilfe.“

„Ja, in Französisch.“ Sie zog eins ihrer unteren Augenlider nach unten.

„Sehr witzig.“

Zu Hause war es nicht gerade gemütlicher geworden. Oma saß mit Paul am großen Esszimmertisch und erledigte dort mit ihm die Mathe-Hausaufgaben. Unsere Oma ist eine Frau, die sehr schnell – warum auch immer – ihre Geduld verliert. Als ich wieder nach Hause kam, versuchte sie gerade, Paul Subtraktionsübungen zu erklären.

Nun ist es ja verständlich, dass ein Siebenjähriger keine Lust darauf hat, stupide Rechnungen zu machen, vor allem, wenn der Lieblingskumpel gleich vorbeikommt. Oma brachte das allerdings sofort auf hundertachtzig.

„Paul, wie viel sind sieben minus zwei?“

„Weiß nicht“, sagte Paul ungnädig und schaute aus dem Fenster auf die Straße, in die Richtung, aus der gleich sein Kumpel kommen musste.

„Paul! Pass auf, hier spielt die Musik! Du sollst dich jetzt nicht um Chris kümmern, sondern um deine Hausaufgaben! Es gibt kein Spielen, bis du hiermit fertig bist!“

„Ach, menno“, brummte Paul und aus dem Wohnzimmer kam ein müdes „Elisabeth!“. Von meinem Vater.

Ich fand, wenn er nicht damit zufrieden war, wie seine Mutter mit seinem Sohn umging, sollte Papa mehr tun, als einmal hinter seiner dämlichen Tageszeitung hervorzugucken und „Elisabeth!“ zu rufen. Doch ich sagte es ihm nicht.

Mama traute sich auch nicht, etwas einzuwenden. Vielleicht klammerte sie sich auch einfach nur an ihren letzten Rest Selbstbeherrschung. Jedenfalls zog sie nur die Augenbrauen hoch, während sie sich weiter um ihre Praxisunterlagen kümmerte. Das fand ich irgendwie auch nicht gut.

Ich wollte ins Zimmer gehen, aber dann bekam ich noch mit, wie Oma Paul danach fragte, wie viel denn nun sieben minus zwei seien, Paul wieder entgegnete, er wisse es nicht, und Oma daraufhin endgültig die Nerven verlor. Und wie immer, wenn das passierte, gab sie ihrer Schwiegertochter die Schuld.

„Das kann doch nicht wahr sein, Paul! Weil wir dir erlaubt haben, nachher noch mit Chris zu spielen, hast du keine Lust, die Hausaufgaben zu machen! Wenn es nach mir ginge, dürftest du ihn heute gar nicht mehr sehen. Aber deine Mutter hat es dir ja erlaubt.“

An dieser Stelle sah Mama kurz auf, versuchte aber, sich unbeeindruckt zu geben.

„Ja, genau, Monika! Kümmer du dich doch um deinen Sohn, anstatt dich hinter deinen Unterlagen zu verstecken! Ich habe keinen Nerv mehr dafür! Dein Sohn respektiert einfach nicht, was ich für ihn tue. Das hat er von dir!“

„Was soll das denn bedeuten?“, fragte Mama pikiert.

Na toll. Der nächste Familienstreit rollte über uns. Bevor Paul das noch mal mitmachen musste, schnappte ich mir ihn und seine Schulsachen und wir verzogen uns in sein Zimmer.

Jetzt teilte sich mein Inneres in zwei Teile. Der eine Teil saß mit Paul am Schreibtisch und erklärte ihm mit Hilfe von seinen Murmeln, wie er rechnen musste. Der andere Teil dachte über die familiäre Situation nach und lauschte dem Gebrummel der Altvorderen aus dem Esszimmer.

Im Grunde war jetzt wieder alles wie vor einem Jahr. Oma brachte Mama gegen sich auf und hielt sie für eine durchgeknallte, selbstsüchtige Kuh, brachte dabei immer wieder dieselben Argumente ein. Papa war zu schüchtern und zu desinteressiert, um sich gegen Oma aufzulehnen und nahm deswegen ihre Position ein. Mama fühlte sich von allen allein gelassen und wurde trotzig wie ein kleines Kind. Und wir Kinder mussten es ausbaden. Lea vernachlässigte die Uni und den Haushalt, Paul die Schule, und ich traf mich lieber mit hinterhältigen Burschen, anstatt eine ordentliche Abiturvorbereitung hinzulegen. Alles genau wie vor einem Jahr. Wieso nur? Hatte es sich für Mama überhaupt gelohnt, wieder mit der Arbeit anzufangen, wenn doch eh alles beim Alten geblieben war? Und gab es tieferliegende Gründe für den Streit?

Oma war in einer Zeit groß geworden, in der Frauen noch längst nicht so viele Rechte hatten wie heute. So viel ich wusste, hatte Oma nur einen Realschulabschluss machen dürfen. Hatte sie nicht auch mal erzählt, dass Opa ihr damals verboten hatte, einen Job anzunehmen? War das am Ende der Grund, warum sie so verbittert war?

„Fertig!“, rief Paul mitten in meine Überlegungen hinein und er sprang auf, rannte zur Tür, die gerade geklingelt hatte.

Super. Ich war im Augenblick sowieso zu nachdenklich, um ihm noch weiter zu helfen.

Wo ist die Liebe hin?, Teil 2

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Kurze Zeit später standen wir vor einem Haus in der Berliner Straße. Ich drückte auf die Klingel mit dem Namen Steiner.

„Wieso willst du ausgerechnet zu dem?“, fragte Anna und schaute sich nach allen Seiten um, als würde sie befürchten, jemand könnte sie hier sehen. Mit dem war Freddy gemeint. Seit der Parisfahrt war er mein Kumpel geworden und auch wenn Anna und Aurélie, meine zweitbeste Freundin, sich an ihn gewöhnt hatten, fanden sie ihn immer noch ein bisschen, na ja, seltsam.

„Willst du ’ne gute Abinote oder nicht?“, fragte ich sie.

„Ja schon, aber…“

„Nichts da! Du kommst jetzt mit!“ Jetzt ging jemand an die Gegensprechanlage. „Hallo?“, hörte ich von Frau Steiner. Das war Freddys Oma, bei der er lebte, seit seine Eltern gestorben waren.

„Hallo, Frau Steiner! Wir sind es, Sara und Anna! Wir möchten gerne zu Frederik.“

„Kommt herauf!“ Sie öffnete die Haustür und wir traten ein.

Wenig später standen wir in der Wohnung.

„Das ist aber eine Freude! Ich habe ein paar Kekse gemacht, wollt ihr welche probieren?“

Frau Steiner war eine liebe Oma, ganz anders als meine. „Vielen Dank, wir nehmen gern welche!“, sagten wir und gingen in die Küche, um uns ein paar der leckeren Schokoladenkekse zu holen.

Noch mit vollen Backen verließen wir die Küche wieder, um Freddy in seinem Zimmer aufzusuchen, als wir plötzlich eine Begegnung der dritten Art hatten. Anna stand ein paar zögerliche Schritte hinter mir, doch auch ihr entging nicht, was da vor uns war. Oder besser gesagt, wer.

Es war unsere gute Freundin Aurélie.

Ein Drehbuchautor oder Filmemacher hätte diese Szene vermutlich nicht besser gestalten können. Anna, Aurélie und ich standen im Flur herum und starrten uns gegenseitig mauloffen an. Das wäre vermutlich ewig so weitergegangen, wenn nicht irgendwann Aurélie gesagt hätte: „Ich konnte nicht in… Ruhe lernen…“

Dann verschwand sie hinter der Klotür.

Anna und ich sahen uns an.

„Nicht nachfragen. Einfach nicht nachfragen“, sagte ich zu ihr und dann gingen wir in Freddys Zimmer, um ihn zu begrüßen.

Einige Stunden später und um einige naturwissenschaftliche Fakten schlauer fuhr ich mit der Straßenbahn nach Hause. Ich war im Lernen fürs Abitur ein großes Stück weitergekommen. Jetzt musste ich eigentlich nur noch wiederholen, nichts Neues mehr lernen. So gut hatte es geklappt. Es hatte sich nämlich herausgestellt, dass Freddy ein großes Biotalent besaß.

Bestens gelaunt schloss ich die Wohnungstür auf. Ich war mir sicher, dass meine Eltern und meine Oma es verstehen würden, dass ich heute so plötzlich abgehauen war. Sie sagten doch selbst ständig, dass ein gutes Abitur wichtig für meine Zukunft sei. Wenn ich ihnen erklärte, dass ich mit Freddy und meinen Freundinnen gelernt hatte, würden sie es schon verstehen.

Vielleicht hatte ich das ein wenig zu rosig gesehen. Als ich den Flur betrat, standen meine Mutter und meine Oma jedenfalls schon da und schauten mich finster an.

„Wo warst du?“, fragte Oma und hörte sich dabei an wie eine dieser strengen Lehrerinnen aus Hanni und Nanni. Ich hatte das früher immer verschlungen, bis –

„Antworte mir bitte!“

Ich musste mich beherrschen, um meine Jacke ruhig und gelassen an den Haken zu hängen. „Ich war bei Freddy.“

„Du warst bei Freddy? Ich glaube es nicht!“ Jetzt wandte meine Oma sich wütend an meine Mutter und fixierte sie mit ihren Augen, die hinter ihrer dicken Brille versteckt waren. „Ich habe es ja gesagt! Seit sie in Paris war, trifft sie sich nur noch mit diesem Typen! Ich habe ja gesagt, dass das keine gute Entscheidung war, sie dort mitfahren zu lassen!“

„Was willst du denn damit sagen?“, riefen meine Mutter und ich gleichzeitig. Verblüfft starrten wir uns an.

„Nichts“, gab Oma zurück. „Ich will damit nur sagen, dass Sara sich nicht verzetteln soll. Man hat ja bei Lea gesehen, wohin das führt.“

„Das ist nicht wahr!“, wollte ich meine Schwester verteidigen. „Es liegt nicht an ihrem Freund, dass sie letztes Jahr fast durch die Pädagogikprüfung gefallen wäre. Sie hat gelernt wie ’ne Blöde.“

„Nicht in diesem Ton, Sara!“

„Ist doch wahr! Jedenfalls war sie bei der Prüfung echt tierisch nervös. Ihren Freund hat sie in der Zeit kaum gesehen. Es liegt nicht an ihm.“

Meine Mutter wollte schon zustimmen, doch da fuhr Oma mich an: „Ach, hör mir doch auf! Dich nach Paris fahren zu lassen, war auf jeden Fall eine absolute Fehlentscheidung! Wozu hat das denn geführt bei dir? Anstatt fürs Abitur zu lernen, hängst du nur noch mit diesem Burschen herum. Und du sagst mir, du lernst immer fleißig? Dass ich nicht lache!“

„Ich habe –“, setzte ich an, doch Mama kam mir zuvor.

„Elisabeth“ – gemeint war meine Oma – „bitte werde jetzt nicht ungerecht. Es stimmt, Sara hat einige ihrer Pflichten vernachlässigt, aber –“

„Nichts aber! Du wusstest ganz genau, dass Sara auf der Parisreise Blödsinn machen wird, und hast es ihr trotzdem erlaubt! Und die Geschichte gibt ihr Recht! Sie hat sich mit diesem Burschen eingelassen!“

„Das stimmt überhaupt nicht!“ Ich wollte auch endlich mal etwas sagen dürfen. „Freddy ist mein guter Freund, aber nicht mein Freund! Bitte versteht das endlich. Außerdem haben wir zusammen gelernt, was ich hier ja nicht konnte.“

„Lernen! Dass ich nicht lache!“ Oma schnaubte und sah zur Decke.

„Elisabeth, jetzt wirst du aber wirklich ungerecht!“

„Ich? Ungerecht? Ich weise nur deine Tochter darauf hin, dass sie gewisse Pflichten hat. Darin hast du jawohl versagt. Oder warum lernt Sara nicht mehr für ihr Abitur und vergisst, den Haushalt zu machen? Warum hat Lea schon wieder die Uni geschwänzt? Warum hat Paul schon wieder seine Hausaufgaben nicht gemacht? Warum?“

Aufgebracht rief meine Mutter: „Ich lasse nicht auf mir sitzen, dass ich alles vergesse, seit ich wieder arbeite! Das stimmt nicht! Abgesehen von den paar Kleinigkeiten funktioniert doch alles wirklich prima!“

Da konnte ich ihr im Grunde nur zustimmen, auch wenn Mama manchmal etwas gestresster wirkte.

„In Wahrheit suchst du doch nur einen Grund, dass ich wieder aufhöre, zu arbeiten, und die brave Hausfrau gebe, die du so gerne hättest! Aber du hast Pech gehabt, so eine Frau bin ich nicht!“

In diesem Moment kam mein Vater aus seiner Anwaltskanzlei nach Hause. Er hängte seinen Mantel und seinen Schal an den Haken, streifte seine Schuhe ab und fragte: „Hallo Mutter, hallo Liebes! Wann gibt’s Essen?“

Manche Leute scheinen einfach ein Gefühl für perfektes Timing zu haben. Ich rannte schnell in mein Zimmer und drehte die Anlage auf, bevor ich mitkriegte, wie er von seiner Ehefrau einen auf den Deckel bekam.

Am nächsten Morgen suchte ich verzweifelt nach meinem Pullover. Es war mein Lieblingspullover, der schwarze Kapuzenpulli in Größe L, denn er war so schön kuschlig. Leider war er unaufffindbar. Wo konnte er nur sein?

Da fiel mir etwas ein. Die Wäscheständer standen bei Regen doch immer im Wohnzimmer. Also ging ich dorthin. Mir fiel auf, dass die Jalousien heruntergelassen waren, deswegen stellte ich die Lampe an.

Und erntete damit lautes Geschimpfe. „Verdammt, kann man denn nirgendwo in Ruhe schlafen?“ Die Stimme gehörte einem männlichen Wesen. Meinem Vater.

„Wieso schläfst du denn auf der Couch?“, wollte ich von ihm wissen. Er rieb sich die Augen und meinte: „Ist gut für den Rücken.“

Skeptisch dachte ich: Wahrscheinlich hat er einfach gestern von Mama mehr als nur einen auf den Deckel gekriegt. Ich ließ ihn in Ruhe und holte nur schnell meinen Pullover, denn auf weitere Familienstreits war ich nicht gerade scharf.

Beim Frühstück kam es nicht zu einem neuen Streit. Wirklich gemütlich war die Atmosphäre aber auch nicht gerade. Und da Paul, der uns sonst bei Laune hielt, schon in der Schule war, war es noch schlimmer.

Nur, um etwas zu sagen, bemerkte Papa, dass ihm der Reis, den Mama ihm gestern Abend noch zubereitet hatte, ausgezeichnet geschmeckt hatte. Worauf Mama ihn böse anfunkelte. Ich konnte mir gut vorstellen, warum.

Bevor die Situation zu eskalieren drohte, erzählte Lea von einer Vorlesung an der Uni. Sie studierte Anglistik und ihr Professor hatte neulich einen super Witz über Shakespeare gerissen, den sie uns unbedingt mitteilen musste.

„Also warst du mal wieder in der Uni, ja?“, murmelte Oma.

„Elisabeth!“, entfuhr es Mama schockiert.

„Ist schon gut, ich hab halt ’nen lockeren Stundenplan.“

„Und was hast du heute noch so vor?“, wendete sich Mama nun an mich.

„Ich lerne noch mal abschließend für die Prüfung morgen und dann treffe ich mich mit Anna und Aurélie.“

„Wenn du meinst, dass das ausreicht…“ Schon wieder musste Oma einen ihrer Kommentare abgeben. Mama schaute sie nicht gerade freundlich an. Na herrlich.

„Ja, es reicht aus. Und jetzt entschuldigt mich bitte, ich muss ins Bad.“