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Schlagwort-Archive: schaden

Meine Meinung zu Homöopathie

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Um es kurz und schmerzlos zu machen: Ich bin dagegen. Es wirkt nicht über den Placeboeffekt hinaus und man sollte es nicht verwenden.

Wenn man Kinder hat und denen einfach nur irgendein beruhigendes Mittel gibt, reichen Smarties – sind günstiger und wenn man sie mit genug heiligem Ernst verabreicht, wirken sie genauso. Ja, unser Gesundheitssystem ist krank, aber Homöopathie ist wirklich nicht hilfreich. So geschehen bei Tina Turner. Die gute Dame brauchte eine Organspende, nachdem eine homöopathische Behandlung ihres Nierenschadens zu einer massiven Verschlechterung geführt hatte.

Und wenn jetzt jemand kommt und sagt „der Heilpraktiker hat aber bei mir was heilen können, was der Arzt nicht gefunden hat“, dann spricht das nicht unbedingt für den Heilpraktiker, wohl aber gegen den Arzt. Um Heilpraktiker zu werden, reicht übrigens ein Hauptschulabschluss und man muss nur die schriftliche Prüfung bestehen; es gibt keine staatlich überprüfte einheitliche Ausbildung. Beim Medizinstudium ist das anders.

Ach ja, nur um das klarzustellen: Dass ich gegen Homöopathie bin, widerspricht nicht meinem Weltbild als Gläubige. Es gibt Dinge, die der Mensch sich nicht erklären kann, ich und viele andere schreiben diese Gott zu. Humanheilkunde gehört nicht dazu, denn mit naturwissenschaftlichen Methoden können wir genau herausfinden, was dem Menschen hilft und was nicht. Homöopathie gehört eindeutig zu Letzterem.

Mit freundlichen Grüßen

Die Kitschautorin

Freie Zeit, Ferien und foll wichtige Entscheidungen

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Tagesordnungspunkt 1: Freie Zeit

Als ich in der zehnten Klasse war, bekam ich mit, dass meine Mitschüler unheimlich gerne Neon lasen. Allein das hat damals schon dafür ausgereicht, dass ich es unbedingt auch wollte. Aber die Zeitschrift war auch einfach gut. Themen für junge Leute, aber nicht so hirnlos wie Bravo und Konsorten. Jahrelang war ich Abonnentin.

Bis ich irgendwann mitbekam, dass die Zeitschrift nicht für Leute für mich gemacht war. Nicht mehr. Man könnte auch sagen, ich war herausgewachsen. Ich lebe auf dem Land, in einer stabilen Beziehung, mit meinem ersten Freund, wir haben nicht mal zwischendrin Schluss gemacht. Und das schienen Sachen zu sein, die in der Neon-Welt nicht vorkamen. Ich habe die Zeitschrift irgendwann kaum noch gekauft, und anscheinend war ich da nicht die Einzige, denn die Zeitschrift wurde eingestellt.

Ich bedauere das schon ein wenig, wenn das auch mehr die Art von Bedauern ist, die man (das vermute ich jedenfalls) nach dem Beenden einer früher so schönen Beziehung hat. Die Neon hat mich über zehn Jahre begleitet, ich habe über neon.de einen sehr lieben Freund kennen gelernt (falls du das liest: Ja, ich meine dich. :P), und jetzt ist es vorbei. Mal sehen, ob es in Zukunft eine neue Zeitschrift geben wird, mit der ich liebäugeln kann. (Nein, ich meine weder den Playboy noch die Tattoo Erotica.)

Tagesordnungspunkt 2: Ferien

Die Ferien sind nun schon zur Hälfte rum, und ich finde es toll, dass ich sie habe. Meine Hoffnungen darauf, die Tabletten nie wieder nehmen zu müssen, haben sich leider zerschlagen, aber man kann nicht alles haben. Ich nutze auf jeden Fall die Zeit, die ich habe, für familiäre und freundschaftliche Treffen.

Tagesordnungspunkt 3: Foll wichtige Entscheidungen

In meinem Beruf habe ich sehr viel Menschenkontakt. Außerdem kenne ich Leute, deren Immunsystem fast nicht vorhanden ist. Grund genug, mich impfen zu lassen. Meinen Impfausweis hatte ich leider verloren, jetzt habe ich einen neuen. Am Montag ließ ich mich gegen FSME impfen. Der Hausarzt sagte zwar, dass Norddeutschland kein Risikogebiet ist, allerdings zählen andere Teile von Deutschland dazu, in denen ich Freunde habe… und die skandinavischen Länder.

Bis ich bei meinen Eltern auszog, bin ich immer gegen alles geimpft worden, und 2012 gab es noch mal den Vierfachshot. Bei einer Sache konnte ich allerdings nicht zuverlässig sagen, ob ich dagegen geimpft wurde, und das ist Hepatitis B. Ich möchte an dieser Stelle einmal sagen, was das Prozedere in solchen Fällen ist: Der Arzt nimmt dem Patienten Blut ab und bestimmt den Titer, ergo den Antikörperstatus im Blut. Das Labor braucht einige Tage und kann dann sagen, ob der Impfstatus ausreicht oder nicht. Bei mir waren zwar noch Antikörper vorhanden, aber nur wenige. Also musste ich heute noch mal ran.

Zufällig habe ich erfahren, dass meine kleine Kusine heute auch geimpft wurde, und es war für uns beide aufgrund der großen Nadeln (uah) sehr unangenehm. Viel schlimmer fand ich aber die so genannten „Impfkritiker“, die mir dann weismachen wollten, dass Impfungen nur schaden und so weiter. Ich könnte jetzt aufzählen, aus wie vielen Gründen solche Menschen nur Affenscheiße reden, aber ich verweise da einfach mal auf den von mir sehr geschätzten Kinderdok. Und auf John Oliver.

Impfmäßig bin ich jetzt wieder voll dabei. In zwei bis drei Monaten werde ich allerdings die Grippeimpfung hinterherschieben. Weil, wie bereits erwähnt: Viel Menschenkontakt. Und außerdem will ich niemanden anstecken, dessen Immunsystem das nicht verkraften kann.

Mit freundlichen Grüßen

Die Kitschautorin

Verkehrssituationen

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Gestern hatte ich meine erste praktische Fahrstunde. Und ich fühlte mich dabei ungefähr so:

Naja, Übung, Meister, blablabla.

Heute dann wieder Theorie und man hört Sachen, die glaubt man nicht. Es ging zum Beispiel um Halteverbotsschilder. An dem See, in dessen Nähe mein Freund aufgewachsen ist, findet man laut Fahrlehrer ein Schild, das so aussieht:

Schild

Wie soll man denn da reagieren? Mein Fahrlehrer hat gleich darauf hingewiesen, dass das kein offizielles Schild ist.

(Das hier habe ich übrigens gefunden, als ich nach Bildern von dem Schild suchte. Okay…)

Später hat er dann davon erzählt, wie ihm auf der Autobahn ein Reifen platzte, was dafür sorgte, dass sein Hintermann – der einen teuren BMW fuhr – u.a. eine Kiste Cola vorne drauf bekam. Erstaunlicherweise hielt der BMW-Mann nicht an. Mein Fahrlehrer vermutete, dass das Auto geklaut war.

Mit freundlichen Grüßen

Die Kitschautorin

Geschützt: Es wird Zeit für einen neuen Rechner, wenn

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Geschützt: Libanesen, die Sowjetunion und Schwule

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Krümelmonster, Teil 18

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Die Uni ging rasend schnell vorbei. Gerade hatte ich mich noch im Hörsaal mit Anna zum gemeinsamen Mittagessen in der Mensa verabredet und schon stand ich in der Riesenschlange, die sich vor der Essensausgabe auftürmte. Lautstark unterhielten sich alle Studenten darüber, woraus das Mensaessen heute wohl bestand, und wie sie sich heute wieder durch alle Übungen geschludert hatten. So richtig nahm wohl niemand das Studium ernst, dachte ich.
Im Augenblick musste ich aber etwas anderes ernst nehmen… ich verspürte ein dringendes natürliches Bedürfnis. Also bat ich Anna: „Kannst du mir etwas mitbringen? Ich gebe dir das Geld dann gleich wieder.“
„Kein Problem“, erwiderte sie.
Ich rannte raus und erleichterte mich auf der Toilette. Ah, tat das gut. Wie neugeboren wusch ich mir die Hände. Als ich mir das Gesicht mit kaltem Wasser abpatschte, hörte ich plötzlich etwas. Neben der surrenden Lampe über den Spiegeln ertönte noch ein Geräusch. Ich dachte eigentlich, ich wäre alleine in den Mädchenwaschräumen gewesen. Komisch, was war denn da los?
Neugierig spitzte ich meine Ohren. Erschrocken stellte ich fest, was ich da hörte: Es klang wie weibliches Schluchzen. Untermalt von leisem Schniefen drang es verzweifelt in meine Ohren. Was sollte ich denn jetzt machen? So etwas war mir noch nie passiert, zumal mir die erstickte Stimme irgendwie bekannt vorkam.
Zögerlich ging ich zur verschlossenen Kabine und klopfte an die Tür. „Hallo? Ist da jemand?“
„Was willst du?“, heulte die Person, die auf der anderen Seite der Tür war. Ich erschrak abermals, denn es handelte sich um niemand anderen als Kati. Jetzt war ich noch ratloser.
Wie ein Dummkopf fragte ich: „Weinst du etwa?“
Die Antwort war: „Na und? Was geht dich das an? Hau ab!“
Plötzlich stieg Wut in mir auf. „Ja, genau! Warum interessiere ich mich eigentlich für jemanden, der meine CD, die so schwer zu finden war, einfach kaputt macht? Ganz zu schweigen davon, dass ich vielleicht so was wie Angst hatte, als einfach jemand in mein Zimmer eingebrochen ist. Dann heul doch weiter!“ Ich steuerte den Ausgang an.
„Nein, bitte bleib da!“, ertönte Katis schwache Stimme. Sie schnäuzte sich irgendwo rein, wahrscheinlich ins Klopapier. War das nicht viel zu rau für ihre zarte Nase?
Trotzdem drehte ich mich wieder um und kehrte zurück zur Tür, die mittlerweile offen war.
Kati war ein jämmerlicher Anblick. Sonst stolzierte sie immer wie die Königin von Saba durch die Welt, nahm sich alles, was sie wollte, kümmerte sich nicht darum, ob sie jemandem schadete oder nicht und sah dabei auch noch immer gut aus. Jetzt saß sie da wie ein Häufchen Elend , ihre Klamotten saßen grundfalsch und ihre Wimperntusche war verschmiert; um sie herum lagen dutzendweise vollgeweinte Taschentücher und Klopapierhaufen. Eigentlich hätte ich in diesem Moment Schadenfreude empfinden sollen, das hätte jeder Mensch in meiner Lage getan, denke ich. Aber ich konnte es irgendwie nicht.
Um mich zu sortieren, fragte ich erst einmal: „Was ist denn los, dass du dir fast das Hirn rausweinst?“
Sie schniefte. „Hannes hat mich verlassen.“
„Wirklich?“
„Ja.“ Schnief. „Ich habe mit ihm darüber geredet, wie sehr mir das wehtut, dass er ständig mit anderen Mädels herummacht. Ich habe immer so getan, als würde mir das nichts ausmachen, weil ich mich so gefreut habe, dass jemand mit mir zusammen sein wollte.“
„Wie? Ich dachte, die Jungs fliegen auf dich.“
„Ja, das stimmt auch“, schnaubte Kati bitter und schnäuzte sich erneut. „Sie fliegen auf mich, weil mein Vater eine Firma hat und mir pausenlos das Geld in den Arsch schiebt. Ich will das alles gar nicht! Diesen tollen Wagen, den ich zum Abitur gekriegt habe, wollte ich ablehnen. Aber da hat mein Vater mir ins Gewissen geredet. Dass ich ihn nicht mehr lieben würde und dass ich doch dankbar für solch ein Geschenk sein sollte. Der kapiert auch echt gar nichts mehr!“ Sie schaute mir in die Augen. „Als ich Hannes getroffen habe, dachte ich, er wäre der Erste, der kein schnelles Abenteuer mit mir wollte, der nicht so oberflächlich ist wie alle anderen. Aber da hab ich mich wohl getäuscht. Ich bin bei ihm geblieben… wieso eigentlich? Weil ich ihn liebe, verdammt noch mal!“ Jetzt fing sie richtig an zu weinen. Oh mein Gott, was machte ich nur mit einem Mädchen, das ich eigentlich von Grund auf gehasst hatte? Verlegen klopfte ich ihr auf dem Rücken herum. „Du… darfst dir nicht alles gefallen lassen!“, sagte ich zu ihr.
„Hab ich doch auch nicht“, murmelte Kati.
„Ja, du hast meine CD, die ich jetzt mühsam wieder irgendwo suchen darf, kaputt gemacht, und mir mit dem Einbruch einen Riesenschrecken eingejagt. Super, wirklich!“
„Ich war total sauer auf dich. Nachdem ich rausgefunden habe, dass er mit dir geschlafen hat, wollte ich einfach nicht mehr. Ich hab rot gesehen.“
„Aber wieso verschwendest du deine sinnlose Wut an mich? Sieh es doch ein“, versuchte ich ihr klarzumachen, „der Typ ist ein totales Arschloch. Er verführt alle Weiber und kümmert sich nicht darum, ob er mit irgendjemandes Gefühlen spielt. Das hat er mit mir doch auch gemacht! Wir dürfen das nicht länger tolerieren.“
„Und was schlägst du vor?“, fragte Kati schwach.
„Wir müssen uns an ihm rächen. Hast du Zugang zu seinem Zimmer?“
„Klar, wieso?“
„Wir werden ihm zeigen, dass wir beide nicht alles mit uns machen lassen. Also, hast du morgen Abend Zeit?“

Fünf Minuten später kam ich an Annas Tisch an. Sie sah erst nach einigen Sekunden von ihrem Handy auf. „Tut mir Leid, ich hab gerade eine SMS von Aurélie gekriegt. Sie kommt gleich in die Mensa. Aber wo warst du denn so lange? Wollten alle Studentinnen gleichzeitig aufs Klo oder was?“
„Nein, ich hab noch was wegen der Uni besprochen.“ Das war nicht mal gelogen, Kati und Hannes studierten ja auch hier.
„Na gut, hier ist jedenfalls dein Essen. Hat ein Euro achtzig gekostet, gibste mir die wieder?“, fragte sie und deutete dabei auf einen Teller mit Curry-Tofu-Risotto.
Ich gab ihr das Geld zurück. „Also“, rief Anna, während sie ihr Portmonee wieder einsteckte, „hast du mal wieder was von unserem Traumpaar gehört?“
„Du meinst Aurélie und Freddy? Nein, nicht das Geringste. Das letzte Mal, als ich die beiden zusammen gesehen habe, ist schon Ewigkeiten her. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass Aurélie wohl ganz schön wütend auf ihn sein muss. Ich hab dir doch erzählt, wie sie mich im Café angemeckert hat. Und das war noch stark untertrieben.“
„Ja, das hast du mir erzählt. Neuerdings kommt Aurélie immer sauspät nach Hause und von Freddy redet sie gar nicht mehr“, berichtete Anna. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, die sind gar nicht mehr zusammen. Aber das hätte sie mir wohl gesagt.“
„Ja, das seh ich auch so“, pflichtete ich ihr bei. „Das kann so nicht weitergehen. Die lieben sich doch.“
„Deswegen haben wir doch gesagt, dass wir etwas unternehmen. Oh, da kommt sie ja! Hey, Aurélie! Hier sind wir!“ Anna winkte unserer gemeinsamen Freundin zu, die sich gerade etwas zu essen geholt hatte. Als sie näher kam, sah ich, dass sie sich zu ihrem Hauptgericht noch Baguette und Crème brûlée genommen hatte – typisch französisch.
„Hey, Mädels, wie geht es euch?“, begrüßte Aurélie uns und stellte das Tablett auf dem Tisch ab. Sie wirkte recht gut gelaunt.
„Gut, und dir?“, entgegnete ich.
„Mir geht’s perfekt. Ich denke schon gar nicht mehr an diesen Idioten von Freddy. Den hab ich völlig ausgeblendet“, erzählte sie und begann, zufrieden an ihrem Baguette zu mampfen.
Sie sprach uns darauf an, ohne dass wir sie dazu aufgefordert hatten? Verdächtig.
Ich tauschte einen Blick mit Anna aus. Sie schien dasselbe zu denken wie ich. Wie oft hatten wir solche Momente schon gehabt?
„Schau, Aurélie“, begann Anna das Gespräch, „wir wollten heute Abend zusammen ein paar Filme gucken. Willst du mitmachen?“
„Gerne, was guckt ihr denn so?“
Scheiße, so weit hatten wir noch nicht geplant. „Ähm“, stammelte ich, „wie wäre es denn mit ‚Die fabelhafte Welt der Amélie’? Du magst doch die Musik so gerne“, sagte ich und hätte mir am liebsten auf die Zunge gebissen. Als es Aurélie so dreckig gegangen war, hatte sie doch die ganze Nacht diese Musik gehört – bestimmt wollte sie nicht, dass Anna es mir erzählte, wie es Aurélie gegangen war.
Aber sie schien nichts bemerkt zu haben (oder es machte ihr nichts aus). „Oh, klar, für den Film bin ich immer zu haben. Ich hab heute ziemlich lange Uni, wann wolltet ihr denn anfangen?“
Anna sah mich an. „So um sieben vielleicht?“
„Ja, das passt gut, da bin ich schon wieder zurück.“
Da schien Anna was einzufallen. Sie stand auf einmal auf und sagte: „Einen Moment, wir sind gleich wieder da, okay?“ Sprach’s und zog mich vom Stuhl. Verwundert ließ ich mich von ihr aus der Mensa schleppen und sah noch, wie Aurélie uns verwundert hinterher sah.
„Was sollte das denn?“, wollte ich sofort von Anna wissen, sobald wir draußen standen.
„Es gibt einen wichtigen Punkt, den wir nicht bedacht haben, und das wollte ich dir vor Aurélie nicht sagen!“
„Ach, du meinst…“
„Ja, genau. Irgendjemand muss Freddy doch auch noch Bescheid sagen. Nur wie machen wir das? Das Ganze findet ja bei uns in der WG statt, da wird er wohl kaum hinkommen wollen“, gab Anna zu bedenken.
„Wir könnten ihn ja etwas früher kommen lassen…“, schlug ich vor.
„Hm, na ja, vielleicht kann er da nicht… Wir müssen irgendwie verbergen, dass Aurélie da sein wird…“
„Ja, aber wie?“
„Vielleicht könnten wir… Ach, du Scheiße!“, fluchte Anna plötzlich los.
„Was ist denn nun schon wieder?“

Krümelmonster, Teil 11

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Wie lange war es jetzt her, dass ich die Uni verlassen hatte? Wie lange war es her, dass Lea plötzlich vor mir gestanden hatte und mich abholen wollte? Ich sah auf die Uhr meines Handys. Es waren fünf Stunden. Eigentlich kein so großer Zeitraum, und doch fühlte ich mich, als wäre ich von einem Güterzug überrollt worden. Von einem Güterzug, der aus dem Nichts aufgetaucht war.

Nie im Leben hätte ich heute Morgen, als ich in Hannes’ Bett aufgewacht war, gesagt, dass es an dem Tag so weit käme, dass meine Schwester im Krankenhaus lag und dass ich mich so schrecklich fühlte. Wie gesagt, als wäre ein Güterzug über mich drübergefahren. Mit längerem Aufenthalt auf meinem Kopf. Erst jetzt merkte ich, wie sehr er mir schmerzte. Während ich zur S-Bahn-Station ging, kamen noch Brustschmerzen dazu. Ich hatte mal gehört, wenn es einem sehr schlecht geht, kriegt man Brustschmerzen. Das schien sich jetzt zu bewahrheiten.

Ich hatte es gewusst! Ich hätte mein Glück nicht uneingeschränkt lassen dürfen. Ich hätte nicht uneingeschränkt glücklich sein dürfen. Denn immer, wenn ich das bis jetzt getan hatte, war mir danach etwas ganz Furchtbares passiert. Jedenfalls etwas, das mir auf die eine oder andere Art sehr schwer zusetzte. Und das tat die augenblickliche Situation zweifelsohne.

Ich kam an der S-Bahn-Station an und setzte mich dort in ein Abteil, das erstaunlicherweise fast leer war. Das passierte hier so gut wie nie. Normalerweise höre ich unterwegs immer Musik oder lese Texte für die Uni. An diesem Tag ließ ich mich einfach saft- und kraftlos auf den erstbesten freien Sitz fallen. Ich achtete nicht mal darauf, wer neben mir saß.

Irgendwann piepte mein Handy und kündigte damit das Eintreffen einer SMS ein. Es piepte zwei Mal, drei Mal. Es war mir egal.

Die Uni-Tasche, die ich immer noch trug, wog doppelt so schwer wie sonst. Als ich aus der S-Bahn stieg, brachte ich gerade so viel Kraft auf, dass ich vorwärts ging, nicht mehr. Der Riesenklotz, der das Studentenwohnheim war, befand sich vor mir und ich sah, dass mein Fenster erleuchtet war. Dann ging es aus. Was war denn da wieder los?

Auf einmal ganz wach, rannte ich die Treppen hoch und eilte zu meinem Zimmer. Und da sah ich es.

Meine CD mit den französischen Liedern war wieder da. Aber nicht so, wie ich sie gerne gehabt hätte. Sie war in viele kleine Teile zerbrochen. Das Textbooklet war in viele kleine Schnipsel zerrupft und die Hülle war kaputt. Über allem schwebte noch dieser extreme Parfümgeruch, der mir neulich schon aufgefallen war.

Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Dieses Parfüm, das war Chanel No. 5. Ein sauteures Parfüm und das Lieblingsparfüm einer Person, die ich kannte und die mich kannte. Es war Kati.

Ich wollte nicht mehr, ich konnte nicht mehr. Ich ließ mich mit dem Malheur, das ich in den Händen hielt, in Embryostellung auf den Boden fallen und weinte mein Innerstes aus mir heraus. So doll, dass ich keine Luft mehr kriegte.

 

Ich weiß nicht mehr, wie ich aufgestanden bin, nachdem mich die blendende Sonne, die mir in die Augen schien, geweckt hatte. Ich weiß nicht mehr, wie ich Zähne geputzt, mich mit Deo eingenebelt und die Tasche für die Arbeit gepackt habe. Und ich weiß nicht mehr, wie ich den Briefkasten geleert und die S-Bahn zur Uni genommen habe.

Ich fühlte mich wie eine leere Hülle. Meine Emotionen waren weg, ich empfand nur noch große Leere. Irgendwie kam ich schon am im Hauptgebäude gelegenen Studentencafé an, legte die Schürze um und tat das Wechselgeld in mein Portemonnaie. Aber ich weiß nicht mehr, wie.

Wie üblich nahm ich Bestellungen auf, kassierte ab und wechselte ein, zwei Worte mit den Gästen. Aber es fühlte sich überhaupt nicht echt an und es war große Kraft nötig, um das alles zu tun.

Meine Chefin, die im dreizehnten Semester an der Uni Soziologie studierte, merkte natürlich trotzdem, wie es mir ging. Den ganzen Vormittag, den wir zusammen hinter dem Tresen waren, schaute sie mich immer wieder von der Seite an. Als ich mich schließlich an einer Schranktür stieß und lauthals fluchte, sprach sie mich darauf an.

„Sag mal, hast du irgendwelche Probleme? Musste mir natürlich nicht erzählen.“

„Ach, Lea liegt im Krankenhaus“, antwortete ich knapp.

„Deine Schwester, richtig? Oh, äh, das tut mir sehr Leid. Dann mal gute Genesungswünsche an deine Schwester.“

„Danke“, murmelte ich und nahm flugs die nächste Bestellung auf.

Mein Handy piepste schon wieder. Verdammt, wieso piepste das nur ständig? Ich nahm es mal kurz aus der Tasche und sah, dass ich bereits 10 ungelesene SMS hatte. 7 kamen gestern von Aurélie und heute 3 von Anna. Konnte man denn nirgendwo alleine gelassen werden?

Ich wusste gar nicht, was ich denken sollte. Was war denn jetzt schon wieder los mit denen? Sieben Nachrichten von Aurélie innerhalb kurzer Zeit, das war schon ungewöhnlich. Und Anna hatte mir auch ziemlich häufig geschrieben.

Ich las die ganzen Nachrichten erst mal durch. Die erste kam gestern Nachmittag, so gegen ein Uhr.

Na, biste noch in der Uni?

Die zweite stammte von fünfzehn Uhr siebenundzwanzig.

Ich will mich mit Freddy treffen, hoffentlich klappt das!

Was sollte klappen? Ich würde es sicherlich bald erfahren.

Das Treffen war ein Desaster! Er will mich nie wieder sehen. Bitte komm gleich vorbei!

Ach herrje, und das hatte ich nicht gelesen? Na super, da blühte mir ja wieder was. Die nächsten drei SMS zeigten zwei entgangene Anrufe und eine Mailboxnachricht an und die letzte SMS, die gegen dreiundzwanzig Uhr fünf abgeschickt wurde, lautete folgendermaßen: Mach endlich mal dein Handy an, verdammt!

Schon wieder taten sich in meinem Kopf lauter Rätsel auf. Ich hatte nichts von eventuellen Plänen mitgekriegt, was ging denn da wieder ab? Bevor ich irgendetwas anderes tat, lieferte ich dem Mädel, das in den Vorlesungen von Professor Neumann immer neben mir saß, seinen Kaffee mit zwei Stück Zucker und las dann Annas SMS.

Die Frau macht mich wahnsinnig!, schrieb sie um fünf Uhr siebenunddreißig heute früh. Schon die ganze Nacht hört sie diese Scheiß-Filmmusik aus Amélie und nervt mich damit. Nichts hilft!

Amélie, damit war Aurélies Lieblingsfilm gemeint, dessen Protagonistin eine gewisse Amélie war. Ich kannte die Musik auch und konnte mir vorstellen, dass Anna eine höllische Nacht mit ihrer Mitbewohnerin durchgemacht haben musste. Oh herrlich.

Kommst du morgen zur Uni? Am besten treffen wir uns da, lautete die zweite SMS von sieben Uhr vier. Die letzte SMS von vor drei Stunden rief mich – freundlich – dazu auf, zurückzurufen.

„Darf ich mal kurz telefonieren?“, fragte ich meine Chefin. Sie gestattete es mir. Also verschwand ich mal eben in den Pausenraum und rief meine beste Freundin an.

Zum letzten Mal minderjährig, Teil 9

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Nach dem Abendessen winkten Herr Nowitzki und Frau Lacombe Freddy und mich zu sich an den Tisch. Sie bemühten sich, dies unauffällig zu tun, doch natürlich bekamen es am Ende wieder alle mit. Der Großteil unserer Reisegruppe verließ tratschend und schwatzend den Essenssaal. Oh wunderbar.

„Sie wollten uns sprechen?“, begann ich, aber unsere Begleitpersonen sprachen nicht, bis alle Schüler außer Freddy und mir weg waren.

„Ja. Wir haben uns entschieden, wie wir in dieser Sache weiter vorgehen“, informierte uns Herr Nowitzki.

„Und was wollen Sie jetzt tun?“, fragte Freddy, mit so einem eigentümlichen Ton in der Stimme. Außerdem streckte er sein Kinn leicht vor. Irgendwie hatte dies etwas Triumphierendes. Wieso nur? Was hatte er gemacht?

Frau Lacombe reagierte auf Freddys Gesten, indem sie ihn böse anguckte. Sehr böse. Es erinnerte mich an eine Frau aus meiner Lieblingsfernsehserie, die mit ihrem bösen Blick Bauchschmerzen verursachen konnte.

„Wir… haben beschlossen, eure Eltern nicht zu informieren“, sagte Frau Lacombe und rang dabei sichtlich um Fassung.

Wie bitte? Das konnte doch nicht wahr sein! Ich wollte vor Freude aufspringen. Jedoch schob Herr Nowitzki hinterher: „Allerdings verlangen Frau Lacombe und ich, dass ihr einen Aufsatz über die gefährlichen Folgen von Alkohol schreibt.“

Ich war damit voll zufrieden. Lediglich Freddy hatte noch etwas zu sagen:

„Und was ist mit den anderen?“

Zuerst kapierte ich nicht. Welche anderen? Doch dann verstand ich, dass sich das auf einen seiner Einwürfe von heute Morgen bezog.

„Sie werden ebenfalls ihre gerechte Strafe erhalten“, gab Frau Lacombe, immer noch um Fassung ringend, zurück.

Jetzt waren Freddy und ich entlassen.

Im Flur vorm Speisesaal sprang ich – endlich – in die Luft und fiel Freddy vor lauter Freude sogar um den Hals. „Danke! Du bist echt super!“

„Schon gut“, wehrte Freddy lachend ab.

„Aber – wie hast du das jetzt eigentlich gemacht?“, fragte ich neugierig.

„Das ist eine lange Geschichte.“

„Ich mag lange Geschichten.“

Er überlegte eine Weile. „Gut. Wenn du so neugierig bist, kann ich dich natürlich nicht enttäuschen. Kommst du mit? Dann erzähle ich dir alles.“

„Aber wohin soll ich mitkommen?“

„Hmm… Wie wäre es mit einem Trip zur Place de la Concorde?“

Ich willigte ein.

Zwanzig Minuten später fuhr unsere Métro in die Station Concorde ein. Wir stiegen ganz normal aus und standen nebeneinander auf dem Gleis. Auf einmal rannte Freddy Richtung Ausgang und rief: „Du kriegst mich nie!“

„Natürlich kriege ich dich!“, rief ich und rannte hinterher. Wir rempelten einige Passanten an und die Musiker, die in der Station auf einige Centimes hofften, schauten uns amüsiert hinterher, doch das war mir egal. Ich mühte mich tierisch ab, um Freddy noch zu erwischen, und rannte dabei so schnell, dass Herr Nowitzki, der auch Sportlehrer war, neidisch geguckt hätte.

Oben am Ausgang, neben einem Werbeplakat, kriegte ich ihn dann endlich.

Keuchend rief ich: „Hab dich!“

Nicht weniger kaputt entgegnete er: „Ja, hat aber ganz schön lange gedauert!“

Wir gingen zur Place de la Concorde. Als wir dort waren, war ich überrascht von der Platz und seine Umgebung um diese Zeit ausstrahlten. In der Nähe stand ein imposantes Gebäude.

„Weißt du, was das ist?“, fragte ich und zeigte darauf.

„Das ist das Hôtel de Crillon“, erzählte Freddy.

„Woher weißt du das?“ Ich war beeindruckt davon, dass er das wusste. Vom Hôtel de Crillon hatte ich noch nie etwas gehört.

„Ach, meine Oma hat mir einen Reiseführer mitgegeben“, erwiderte er. „Sie kümmert sich wirklich um mich.“

„Das ist schön“, sagte ich unbehaglich und wusste danach gar nicht mehr, was ich sagen sollte.

Glücklicherweise hatte es Freddy nicht die Sprache verschlagen. Er pflanzte sich auf ein niedriges Mäuerchen und fragte: „Willst du nun wissen, wie ich die Lacombe und den Nowitzki zum Einknicken gebracht habe?“

„Ja, klar!“

„Komm, setz dich.“ Er klopfte mit der rechten Hand neben sich aufs Mäuerchen. Ich ließ mich neben ihm nieder und er erzählte mir die ganze Geschichte. Sie war ungeheuerlich und, durch Freddys Erzählweise, stellenweise einfach nur komisch.

Gestern, als wir wieder in der Jugendherberge waren, verschwand Frau Lacombe mit Herrn Nowitzki auf ihr Zimmer. Fünf Minuten später ist Freddy eingefallen, dass er noch eine dringende Frage zum heutigen Programm hatte, also hat er das Zimmer der beiden aufgesucht.

Als er angekommen ist, hat er gesehen, dass die Tür einen kleinen Spalt aufstand. Weil er komische Geräusche von drinnen gehört hat, hat er hereingeguckt und sah dort etwas, „was ich nie wieder sehen will! Es war verdammt widerlich!“

Was hatte er gesehen? Frau Lacombe und Herrn Nowitzki, wie sie l’amour machten! Das war natürlich ein gefundenes Fressen für ihn, denn Frau Lacombe ist bereits verheiratet. Als Freddy Frau Lacombe heute damit konfrontiert hatte, hatte unsere Französischlehrerin ganz schön blöd aus der Wäsche geguckt, zunächst aber nur gefaucht: „Petit démon! Du willst mich erpressen? Das schaffst du nicht!“

Worauf Freddy lässig gekontert hatte, dass er auch gerne meinen Anwaltsvater informieren könne, von wegen Verletzung der Aufsichtspflicht und so. Das Gerücht, dass unsere Lehrer gestern eine Fahrt auf der Seine gemacht hatten, anstatt in der Jugendherberge auf uns aufzupassen, hatte nämlich gestimmt.

Da wurde Frau Lacombe so langsam klar, was sie sich und ihrem Kollegen mit einer Information unserer Eltern über unseren Ausrutscher alles einhandeln würde. Sie schluckte mehrmals heftig, guckte schwitzend überall im Raum herum und hat dann eine Krisensitzung mit Herrn Nowitzki abgehalten.

„Tja, und am Ende hat sie dann gesagt, dass sie unseren Erziehungsberechtigten nichts über letzte Nacht erzählt“, schloss Freddy seinen Bericht.

Ich lag lachend auf dem Mäuerchen. „Boah, cool!“

Als ich mich wieder beruhigt hatte, richtete ich mich auf. „Ich muss gestehen, das hätte ich dir nicht zugetraut“, überwand ich mich.

„Wieso?“

„Na ja“, druckste ich herum, „ich fand dich irgendwie… komisch.“

„Ja, das sagen viele“, antwortete Freddy gar nicht beleidigt. „Deswegen habe ich auch nicht so viele Freunde.“

„Ah ja. Aber… sag mal…“

„Ja, was denn?“

„Wieso hast du mich immer so angestarrt?“

„Hmm… schwer zu sagen. Ich fand dich irgendwie interessant.“

Also doch. Es war also war. Freddy war in mich verknallt. Oh mein Gott. Was –

„Aber nicht, dass du denkst. dass ich was von dir will“, fügte Freddy hastig hinzu. „Ich fand dich nur… als Freundin interessant.“

„Fängst du alle deine Freundschaften so an? Dann wundert es mich nicht, dass du nicht so viele Freunde hast“, versetzte ich.

Nun guckte er unsicher.

„Schon gut. Freunde?“ Ich hielt ihm die Hand hin.

„Freunde!“ Erleichtert schlug er ein.

„Fand ich wirklich cool von dir, dass du dich so eingesetzt hast“, teilte ich ihm mit, während wir auf dem Rückweg zur Station Concorde waren. „Wenn du nichts getan hättest, wäre bei mir zu Hause jetzt der Teufel los.“

„Denk ja nicht, dass ich das gemacht habe, um dir zu helfen. Ich wollte nur meinen Hintern retten“, entgegnete Freddy grinsend und streckte mir die Zunge heraus.

„Blödmann!“ Lachend zog ich ihm seine Strickmütze über die Augen.

Als eine metallisch klingende Stimme die Fahrgäste der Métro darüber informierte, dass wir uns der Station Louvre-Rivoli näherten, klingelte auf einmal mein Handy. Ich schaute aufs Display. Zu Hause, stand da. Nanu, was war denn jetzt los? Ich drückte auf den grünen Hörer.

„Hallo?“

„Hallo, Sara, hier ist deine Mutter!“

„Hallo, was ist denn?“

„Ich habe erst Lea erreichen wollen, aber die hat ihr Handy mal wieder nicht an.“

„Ja, aber warum denn?“ Langsam wurde ich ungeduldig. Freddy guckte ich neugierig.

„Ich habe mich dazu entschieden, das Angebot meiner Freundin anzunehmen. Ich werde wieder arbeiten“, erklärte Mama überglücklich.

„Das ist schön!“, freute ich mich. „Aber deswegen rufst du uns an?“

„Ja, natürlich! Das ist doch eine äußerst wichtige Entscheidung!“

„Stimmt.“ Da fiel mir noch etwas ein. „Was haben Papa und Oma dazu gesagt?“

„Die sind einverstanden. Wir haben einen Plan ausgearbeitet, den zeigen wir Lea und dir, wenn ihr wieder da seid.“

„Okay, aber ich muss jetzt Schluss machen, ich bin grad unterwegs!“

„Mit wem denn?“

„Mit einem Freund aus meiner Stufe!“ Ich zwinkerte Freddy zu, er zwinkerte zurück.

„Dann noch viel Spaß! Bis bald!“

„Tschüss!“ Ich legte auf.

„Deine Mutter?“, vermutete Freddy ganz richtig. Ich nickte.

„Du scheinst ja zu Hause gerade eine wichtige Zeit durchzumachen.“

Überrascht fragte ich: „Wie kommst du darauf?“

„Ach, das hab ich dir angehört. Möchtest du mir erzählen, worum es geht?“

Ich erzählte in Kurzform, was passiert war.

„Puuh“, stöhnte Freddy. „Das war bestimmt ätzend.“

„Hm, es ging. Ist vermutlich auch immer noch besser, als… niemanden zu haben.“

Freddy sah aus dem Fenster, während er nickte. „Manchmal habe ich meine Familie sehr vermisst.“

„Tut mir wirklich Leid, dass das passiert ist.“

„Schon gut. Im Grunde kenne ich es ja nicht anders.“

Wir kamen an der Station an, an der wir aussteigen mussten. Es war Saint-Paul. Schweigend wanderten wir die paar hundert Meter von der Métrostation zur Jugendherberge.

Als wir schließlich vor dem fünfstöckigen Klotz standen, stellte ich ihm noch eine letzte Frage.

„Wieso hast du mich gestern geküsst?“

Freddy drehte sich herum. „Bitte versteh das jetzt nicht falsch, aber das lag ganz einfach daran, dass ich noch mehr Merlot getrunken hatte als du. Unter normalen Umständen hätte ich dich niemals geküsst.“

Wir lachten beide.

Anderthalb Tage später saß die Familie Lehmann wieder gemeinsam am Frühstückstisch und unterhielt sich miteinander.

Wir unterhielten uns über die nun hinter mir und Lea liegende Parisfahrt. Ich zeigte Paul die Fotos auf meiner Digitalkamera und er zeigte sich vor allem von dem Bild eines Vogels beeindruckt, das ich in einem Pariser Museum gemacht hatte.

Irgendwann wollte Mama wissen, wer denn der Mensch war, mit dem ich vorletzten Abend in Paris unterwegs gewesen war.

„Ach, das war Frederik aus meiner Stufe“, erzählte ich möglichst beiläufig, konnte aber nicht vermeiden, dass Lea mich verschwörerisch ansah.

Egal, ich brauchte keine Angst zu haben. Lea hielt zu mir, wir waren schließlich Schwestern. Und zwar welche mit einem Spitzenverhältnis, so was fand man nicht so oft auf der Welt.

Nach dem Frühstück erklärte uns Mama, wie sie die Haushaltsführung und überhaupt die ganze Organisation in Zukunft weiterführen wollte.

Sie erklärte Lea und mir die Pläne, die sie, Oma und Papa ausgearbeitet hatten, und wirkte dabei richtig glücklich.

Da Paul nach der Schule nicht mehr abgeholt werden konnte, sollte er demnächst in eine Betreuungsgruppe kommen. Oma sollte ihn dann abholen, wenn sie von dem Sport wiederkam, den sie wegen ihres schwachen Knies machen musste. Papa würde beruflich etwas kürzer treten und sich gemeinsam mit Lea und mir um den Haushalt kümmern.

„Und was ist dann mit dem Mittagessen?“

„Das ist zukünftig leider kalt“, erklärte Mama. „Aber abends, wenn ich wieder da bin, kann ich dann für euch kochen.“

Die Pläne klangen wirklich gut.

Abends dachte ich noch mal über die jetzige Situation nach. Beim Frühstück hatte eine große Harmonie geherrscht. Und diesmal war es eine echte Harmonie, nicht so eine bröckelige, die jeden Augenblick zu zerbrechen droht. Zum ersten Mal seit langem war ich zuversichtlich, dass wir uns lange miteinander vertragen konnten. Ich durfte nicht vergessen, mich noch mal bei Freddy zu bedanken. Wenn er sich nicht für uns beide eingesetzt hätte, wäre dieser Familienfrieden nie möglich gewesen.

Zum letzten Mal minderjährig, Teil 8

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„Wieso habt ihr das getan?“

Darauf fiel Freddy und mir, die wir mittlerweile zur Moralpredigt in den Tagungsraum der Unterkunft zitiert worden waren, keine Antwort ein. Wieso hatten wir das getan? Wieso hatten wir miteinander geknutscht und wieso hatte er anschließend in meinem Bett geschlafen? Freddy und ich konnten das nicht beantworten. Wahrscheinlich war diese Frage sowieso rhetorisch gewesen.

„Vor der Parisfahrt hat man euch doch gründlich über die Regeln bei dieser Fahrt aufgeklärt. Und da hieß es auch klipp und klar: Niemand darf sich nach der verabredeten Ruhezeit in einem andersgeschlechtlichen Stockwerk aufhalten“, äußerte sich Herr Nowitzki in einem für ihn völlig untypischen Ton. „Und genau gegen diese Regel habt ihr verstoßen.“

Wieso wir? Freddy war es doch, der im falschen Bett geschlafen hatte. Als er diesen Einwand vorbringen wollte, schnitt ihm Frau Lacombe sofort das Wort ab.

„Was habt ihr euch nur dabei gedacht?“ Das wussten wir auch nicht so genau. So guckten wir uns auch an. Da bestand wohl noch eindeutig Klärungsbedarf bei uns beiden. Aber erst, wenn diese Sache hier durchgestanden war. Und es sah aus, als würde das noch sehr, sehr lange dauern. Oh Hilfe.

Frau Lacombe sprang auf und wanderte unruhig im Raum hin und her. Ein Tick, den sie mit Lea und Mama teilte. Oh Gott, Mama! Mir lief es kalt den Rücken herunter bei der Vorstellung, was zu Hause los sein würde.

Mittlerweile hatte unsere Französischlehrerin am Fenster Halt gemacht. Sie atmete tief durch und murmelte irgendetwas vor sich hin. Dann kehrte sie zurück zum Tisch, an dem Herr Nowitzki, Freddy und ich saßen.

„Wie Di… euh, Herr Nowitzki sagte, habt ihr gegen eine wichtige Regel verstoßen. Dies können wir auf keinen Fall auf sich beruhen lassen. Ihr bleibt heute den ganzen Tag in der Jugendherberge. Herr Nowitzki und ich denken uns eine passende Strafe für euch aus.“

Mit diesen Worten standen die Lehrkörper auf und bewegten sich zur Tür.

Da fiel Freddy noch etwas ein. „Gut. Aber wenn Sie uns deswegen bestrafen wollen, dann bestrafen Sie bitte auch noch die anderen männlichen Vertreter dieser Reisegruppe sowie Katja, die entweder Alkohol mitgebracht oder auf dieser Fahrt gekauft haben, obwohl das, wie Sie uns gesagt haben, strengstens verboten ist.“

„Ferme-la“, fauchte Frau Lacombe. „Und natürlich werden wir eure Eltern über diesen Vorfall informieren.“ Sie zerrte ihren Kollegen aus dem Raum und war weg.

„Scheiße“, fluchte ich und hätte meinen Kopf am liebsten gegen die Wand geschlagen, um mich für meine Blödheit zu bestrafen. Wieso hatte ich so viel getrunken, dass ich nicht mehr wusste, was ich tat? Wieso hatte ich es vorgezogen, einer Saufparty beizuwohnen, anstatt einen Abend mal ganz allein zu verbringen? Wieso nur?

„Meine Mutter bringt mich um“, stöhnte ich vor mich hin. „Mein Vater wird drakonische Strafen verhängen und mindestens drei Jahre lang herumjammern, dass ich seinen Ruf geschädigt habe und seine Kanzlei meinetwegen den Bach heruntergeht. Und meine Oma wird mich für noch verkommener halten als bisher.“

„Ach komm, so schlimm wird’s schon nicht werden“, antwortete Freddy.

Ich konnte nicht glauben, was er da gerade gesagt hatte. „Nein, für dich wird es garantiert nicht so schlimm! Du hast bestimmt keine schreckliche Familie!“, fuhr ich ihn an.

„Nein, habe ich auch nicht“, entgegnete er ruhig. „Ich habe nämlich gar keine Familie.“

Überrascht schaute ich auf. „Warum?“

„Meine Eltern und meine kleine Schwester sind bei einem Verkehrsunfall gestorben. Die einzige, die sich um mich kümmert, ist meine Oma.“

Ich biss mir auf die Lippe. „Tut mir Leid.“

„Schon gut. Ich war erst zwei, als es passiert ist. Aber reden wir nicht darüber.“

„Und worüber dann?“

„Na, über diese blöde Situation. Es wird auf keinen Fall schlimm. Ich habe nämlich bereits einen Plan.“

„Ach, und wie sieht dieser tolle Plan aus?“, fragte ich pessimistisch. „Willst du die Lacombe und den Nowitzki erpressen, wie in einem dieser billigen Filme?“

„Wird nicht verraten“, antwortete Freddy mit einem breiten Grinsen. „Aber hab keine Angst, dir wird nichts passieren.“ Sprach’s und verschwand.

Meine Güte, was hatte der Junge nun wieder vor? Eine brilliante Idee konnte das auf keinen Fall sein, so viel stand fest. Keine Idee war gut genug, um mich aus diesem Schlamassel wieder herauszuholen.

Während die anderen Paris erkundeten, saß ich in meinem Zimmer in der Jugendherberge und dachte nach.

In den schrecklichsten Farben malte ich mir aus, was sich zu Hause alles ereignen würde, wenn meine Eltern und meine Oma von dem Vorfall erführen. Wunderschön war die Aussicht nicht gerade.

Papa würde mir den Vortrag seines Lebens halten, der selbst seine besten Plädoyers in den Schatten stellen würde. Immer wieder stellte ich ihn mir vor, in den verschiedensten Variationen, mit rotem Kopf, wild gestikulierend, Wortfetzen rufend wie „Was hast du dir nur dabei gedacht?“, „Unverschämtheit“, „unreif“ und „Rufschädigung“. Natürlich. Rufschädigung. Diese verdammte Kanzlei! Bestimmt würde er das Ganze nur halb so eng sehen, wenn er nicht so verdammt stark auf seinen guten Ruf aus wäre. Vor Ärger haute ich mit der Faust gegen die Wand. Den Schmerz spürte ich schon gar nicht mehr.

Oma würde die Sache wieder auf Mamas ach so schlechte Erziehung schieben. Denn, wie sie bereits beim letzten großen Streit von vor ein paar Wochen gesagt hatte, habe meine Mutter ja angeblich bei der Kindererziehung total versagt.

Mama würde diese total falsche Behauptung natürlich nicht auf sich sitzen lassen, was wieder einen Riesenstreit zur Folge hätte. Wahrscheinlich würde Mama am Ende deswegen das Angebot ihrer Freundin sausen lassen und Hausfrau bleiben, weil man ja auf mich aufpassen musste. Sonst würde ich mich ja wieder zusaufen und mit irgendwelchen Männern in der Kiste landen und so weiter. Und natürlich würde Mama mir den Rest ihres Lebens nachtragen, dass sie meinetwegen nicht wieder gearbeitet hatte.

Tolle Perspektive. Ich stellte mich mental schon mal auf das Donnerwetter zu Hause ein. Klar, Freddy hatte einen großartigen Rettungsplan angekündigt, doch ich glaubte nicht daran.

Abends aßen wir alle gemeinsam im Speisesaal der Jugendherberge. Wie gerade erwähnt, hatte ich den lieben langen Tag damit verbracht, mir die Situation zu Hause vorzustellen und dabei hatte ich nicht eine Sekunde an das gedacht, was jetzt passieren würde.

Als Freddy und ich kurz hintereinander den Raum betraten, verstummten plötzlich alle Gespräche.

Super, dann hatte es sich also schon herumgesprochen. Ich wusste nicht, wer von den Tratschtanten es überall verbreitet hatte, aber als ich in Idas Augen sah, senkten die sich schlagartig auf den vor ihr befindlichen Teller. Aha, dann war sie es also gewesen. Wer hatte eigentlich noch mal die schwachsinnige Idee gehabt, sie als fünftes Mädchen mit in unser Zimmer aufzunehmen? War es nicht sie gewesen, die Frau Lacombe heute Morgen gesteckt hatte, wo ich war?

Da bestand ebenfalls Klärungsbedarf. Ich schlug mit meiner zur Faust geballten rechten Hand in die offene linke.

Ich setzte mich zu Lea, Anna und Aurélie. Erstaunlicherweise sagte keine von ihnen etwas. Alle blieben sie still, aßen ihr dîner so manierlich, dass es schon peinlich war.

Schließlich machte Anna den Mund auf. „War es sehr schlimm?“

„Anna und ich, wir besuchen dich die ganze Zeit in deinem Gefängnis, wenn du willst!“, schob Aurélie superlieb hinterher.

Mit einer stimmlichen Gelassenheit, die mich überraschte, antwortete ich: „Lieb von euch. Aber nach der Sache darf ich garantiert nicht mal mehr Besuch empfangen.“

Jetzt guckten alle betroffen drein. „Und… äh… weißt du schon, was jetzt passiert?“, wollte Lea wissen.

„Nein. Die Lacombe und der Nowitzki sagen Freddy und mir gleich, was für eine Strafe wir zu erwarten haben. Freddy hat zwar gesagt, er paukt uns beide da raus, aber da gebe ich keinen Cent drauf. Können wir jetzt bitte über etwas anderes reden?“

Geschützt: Land unter, Gehirn auch

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