Ich war komplett durch, als ich zu Hause ankam. Durch wie ein durchgebratenes Steak. Wieso hatten nur so viele Leute Probleme mit der Liebe? Konnte man es nicht einfach so machen wie ich und Single bleiben? Mir hatte nie etwas gefehlt. Zu Hause wartete keiner auf mich, der mit einem Nudelholz auf mich losgehen wollte. Bildlich gesprochen. Ich war, im Großen und Ganzen zumindest, zufrieden mit meinem Leben.
Weil es mir so ätzend ging, drehte ich wieder die Musikanlage auf. Mein MP3-Player spuckte per Zufallsreihenfolge ein uraltes Lied auf, das ich schon lange nicht mehr gehört hatte.
I just don’t want to be with you
There’s simply nothing you could do
To change my mind
To make me wanna sleep with you…
Und den ganzen Refrain noch mal.
Auch wenn es noch nicht Nacht war, so drang doch bald ein erbostes Türklopfen an mein Ohr, das mir signalisierte, dass meine Musik wohl nicht erwünscht war. Ich wusste schon, wer da stand, bevor ich die Tür geöffnet hatte.
„Kati, was willst du hier, verdammt?“
„Sag nicht ‚verdammt’ zu mir. Im Übrigen stört mich deine Musik beim Lernen. Wenn du ständig so weitermachst, sehe ich mich gezwungen, die Haussprecher zu informieren.“
An jedem anderen Tag hätte ich noch halbwegs mit Verständnis reagiert und die Musik leiser gedreht. Ich hätte vielleicht geantwortet: „Tut mir Leid, es ging mir gerade nicht so gut. Kommt nicht wieder vor.“
Doch heute ging das nicht. Ich wurde wieder in irgendwelche Probleme hereingezogen, die nichts mit mir zu tun hatten, in meiner Familie spielten plötzlich alle verrückt, die Uni war die Hölle, und als wäre das nicht schon genug, spürte ich gerade ein riesiges Ziehen, das mir die bevorstehende Periode ankündigte.
Also antwortete ich stattdessen:
„Ich weiß, das geht in dein aufgeblasenes Erbsenhirn nicht rein, aber es gibt hier auch Leute, die sich amüsieren wollen. Und wenn wir dir alle so auf den Sack gehen, warum hast du dann nicht ’ne eigene Wohnung? Du kriegst von deinen Eltern eh das Geld in den Arsch geblasen. Was ist eigentlich mit dir los? Kriegst du nicht genug Sex oder was? Damit du’s weißt: Ich werde meine ‚Scheißmusik’ nicht leiser drehen! Und erzähl mir bloß nicht, du musst lernen. Dein IQ ist doch eh nicht höher als der von Tütensuppe!“
Ich knallte ihr die Tür vor der Nase zu und drehte noch etwas lauter, um die blöde Tussi zu ärgern.
Etwas später bekam ich einen Anruf. Ich konnte in meinem Zimmer nicht so gut telefonieren, da das Netz hier ziemlich schwach war, also rannte ich aus dem Zimmer in den Aufenthaltsraum und nahm an.
„Hallo?“
„Hi, hier ist Anna. Wo bist du gerade?“
„Zu Hause, und du?“
„Ich auch. Bitte komm sofort her, es ist dringend.“
Ich seufzte abgrundtief. Ich hatte echt keine Lust mehr auf noch so ein Mein-Leben-ist-Scheiße-aber-ich-kann-nichts-daran-ändern-Gespräch heute. Überhaupt nicht mehr. Aber was machte ich? Ich sagte zu.
Um meine Jacke und das Portmonee zu holen, ging ich kurz zurück in mein Zimmer. Es roch dort sehr komisch nach Parfüm, aber ich verfolgte das nicht weiter und nahm nur schnell die Sachen vom Haken.
Ich quälte mich durch den Verkehr. Zu der Uhrzeit war natürlich halb Frankfurt unterwegs und deswegen musste ich mich in eine bereits bis zum Anschlag gefüllte S-Bahn quetschen, um bei Anna anzukommen.
Endlich dort, drückte ich aufs Klingelschild. Bevor Anna unten ankam, um mir aufzumachen, wurde ich von einer blonden, jungen Frau angerempelt. Irgendwie kam sie mir bekannt vor, aber ich konnte es nicht genau sagen, da die Tussi einfach wegrannte, ohne sich umzudrehen. Auch nicht, als ich ihr „Ey, pass doch auf, du blöde Kuh!“ hinterherrief.
Anna kam unten an und umarmte mich zur Begrüßung. Ihr „Hi“ klang unheimlich fertig. Als wir in der Altbauwohnung saßen, fragte ich, was los war.
„Ach, ich halt das einfach nicht mehr aus!“
Innerlich stöhnte ich. Das roch ganz nach einem Gespräch, wie ich es früher am Tag bereits mit Freddy gehabt hatte. Und ich wettete, es ging um…
„Manchmal hasse ich Aurélie einfach! Auch wenn ich sie schon so lange kenne.“
Treffer versenkt.
„Was ist denn los, sag mal? Freddy hat mich heute auch schon zu sich bestellt und er wirkte total fertig wegen ihr. Er hat sogar wieder angefangen, zu rauchen.“
Anna riss die Augen auf. „Echt? So weit ist er schon? Na ja, ich fange auch bald an, obwohl ich von dem krebserregenden Zeug absolut nichts halte, wie du weißt.“
„Na klar. Wie hat sie dich denn genervt?“
„Wahrscheinlich hat Freddy dir schon erzählt, dass ich ihm sagen sollte, dass Aurélie nicht zu Hause ist. Er hat’s natürlich gemerkt. Ich konnte ja noch nie so super lügen.“
„Es lag wohl eher daran, dass im Hintergrund ganz laut ihre Lieblingsserie lief.“
„Wie auch immer, lange mach ich das nicht mehr mit. Jetzt hat sich Aurélie sogar schon ihre Haare blond gefärbt, um ihm besser zu gefallen. Und als er sagte, dass es total hässlich aussieht, ist sie beleidigt abgerauscht.“
Mir dämmerte einiges. Dann war die Frau, die mich vorhin angerempelt hatte, also Aurélie gewesen? Und ich hatte ihr ‚blöde Kuh’ hinterhergerufen? Dann würde ich mich spätestens morgen in der Uni dafür rechtfertigen müssen. Na super.
„Also, ich sag dir eins, lange mach ich das echt nicht mehr mit…“
„Das sagtest du bereits.“
„Das kann ich gar nicht oft genug sagen. Jedenfalls habe ich keinen Bock, mich da reinziehen zu lassen.“
„Da hast du verdammt Recht. Beide sind bereits bei mir gewesen und es sieht nicht gerade so aus, als würden sie sich irgendwie einigen können.“
„Aber was machen wir da nur?“
„Ich hab absolut keine Ahnung. Aber irgendwas müssen wir tun, sonst überlegen wir bei unserer nächsten Party bereits, wen von beiden wir nicht einladen, damit es kein Gemetzel gibt.“