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Warum ich ein Problem damit habe, wenn jemand sagt, der Osten habe ein Naziproblem

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Vorab: Nein, es geht mir nicht darum, dass da jemand fiese Sachen über die Region Deutschlands äußert, in der ich mein erstes Lebensjahr verbracht habe und in dem meine Familie immer noch wohnt. Ich leugne auch nicht, dass im Osten haufenweise Nazis rumlaufen.

Ich will nur erklären, warum ich ein Problem damit habe, wenn jemand sagt, der Osten habe ein Naziproblem. Zweifellos hat er das, aber das hat der Westen auch. Mein alter Politiklehrer erzählte von Kneipen, in denen die Jalousien heruntergelassen und danach NS-Kampflieder gesungen werden. In dem Ort, in dem ich wohne, hat man 2015 versucht, die Unterkunft meiner damaligen Deutschschüler anzuzünden. Und seit neuestem wohnt überm Babysachen-Laden jemand, der die Reichskriegsflagge auf dem Balkon hat. Ich frage mich, ob es damit zusammenhängt, dass man hier im Ort seit neuestem außerdem ständig irgendwelche Naziaufkleber auf Laternenmasten und Derartigem sieht.

Wenn man sagt, im Osten sind doch lauter Nazis, ignoriert man, dass das im Westen auch so ist. Auch hier kriegt die AfD viel zu viele Stimmen. Auch hier wird das gesellschaftliche Klima immer ekliger. Auch hier passieren fremdenfeindliche Straftaten. All das wird mit so einer Aussage herabgespielt. Und man kümmert sich nicht um das, was hinter der ganzen Fremdenfeindlichkeit steht. Deswegen ist das so gefährlich.

Mit freundlichen Grüßen

Die Kitschautorin

Buntwäsche

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Neulich lag die Zeitschrift „Bunte“ im Zug herum und ich las aus Langeweile darin. (Glaubt es oder auch nicht.) Nun kann es sehr gut sein, dass es müßig ist, all das zu beklagen, was darin steht, aber einige Stellen möchte ich dennoch kommentieren.

Der Irrsinn beginnt schon auf dem Titelblatt.

„Tatort“-Star Adele Neuhauser – In einem Jahr verlor sie ihre ganze Familie“

Man stelle sich mal vor, den Bunte-Redakteuren würde dasselbe passieren. Wie glücklich wären sie dann wohl, wenn man es ihnen mit Hilfe eines etablierten Mediums unter die Nase reiben würde?

Neue Krebs-Therapien – Ärzte sprechen von einer „Revolution“

Ich wollte erst ausflippen, aber dann fiel mir ein, dass das Wort Revolution hier in Anführungszeichen steht. Der Gestalter des Titelblatts scheint hier also zuzugeben, dass es sich nicht um eine echte medizinische Revolution handelt.

Blättern wir also weiter. Auf Seite 7 nutzt Chefredakteur Robert Pölzer die Zeilen für seine Gedanken zu Corinna Schumacher. Er schreibt darüber, wie viel sie wohl durchmachen muss und dass sie, wenn vielleicht nicht immer physisch, doch auf jeden Fall in Gedanken bei ihm ist. Fällt euch was auf?

http://meedia.de/2016/09/16/fuer-bunte-koennte-es-teuer-werden-wegen-falscher-schumacher-berichterstattung-droht-100-000-euro-schadenersatz/

Zeitschrift mit Verfallsdatum

Wie gemein! Wer setzt solche Gerüchte in die Welt?

http://www.tagesspiegel.de/medien/wie-geht-es-michael-schumacher-medien-bericht-veraergert-schumachers-managerin/12754792.html

Auf Seite 8 werden irgendwelche Mutmaßungen über den Raubüberfall bei Kim Kardashian angestellt. Das ist schon bescheuert, aber auf Seite 24 ff. findet man einen Artikel über Corinna Schumachers Zuhause in Texas. Mit dem Hinweis „Hier hat sie ihre Ruhe“. Wie viel Ruhe kann sie denn da haben, wenn Bunte-Mitarbeiter ihr dauernd nachstellen?

Auf Seite 28 geht es dann damit weiter, dass Amal Clooney eine Zwillingsschwangerschaft unterstellt wird, mit allen Tricks (das berühmte „geheimnisvolle Bäuchlein“ und eine Suggestivfrage als Artikel-Titel). Auch Prinz Harry wird nicht in Ruhe gelassen. Der Halbbruder seiner Freundin soll jemanden mit einer Waffe bedroht haben und das wird jetzt benutzt, um Leute in den Dreck zu ziehen. In den letzten beiden Sätzen des auf Seite 32 stehenden Artikels wird etwas über einen angeblichen Urlaub in der Schweiz geschrieben, der „hoffentlich nicht von immer neuen Skandalen überschattet wird“. Liebe Bunte: Der einzige Skandal ist die Berichterstattung der Yellow Press.

Moment!, werden jetzt vielleicht einige Leser dieses Blogartikels sagen, die Bunte hat auch gute Artikel. Welche denn?, kann ich da nur zurückfragen. Der Artikel über Flüchtlingsfrauen, den die Bunte und Nina Ruge benutzen dürfen, um Werbung für sich zu machen, oder die Umfrage über Donald Trump – also, über seine Frisur?

Was bleibt sonst noch zu sagen? Eine Doppelseite Witwenschütteln, weil Roman Herzog am 10. Januar gestorben ist.

Mit freundlichen Grüßen

Die Kitschautorin

Geschützt: Tischgespräch

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I’m a believer

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Ich weiß, nicht alle meine Leser sind gläubig und ich verstehe gut, wenn man ein Problem mit Religionen hat, aber einen Gedanken gibt es da doch, den ich gerne mit euch teilen möchte (und der vielleicht auch für Nichtreligiöse interessant ist).

Vor sechs Tagen war ich in einem osternächtlichen Gottesdienst. Ostern und der davorliegende Karfreitag bieten sich ja an, um über den Tod nachzudenken. Und die Pastorin sagte etwas ganz Interessantes: Liebevolle Gesten wie Umarmungen können nicht ausgelöscht werden, auch nicht durch den Tod. Was haltet ihr davon?

Mit freundlichen Grüßen

Die Kitschautorin

Geschützt: Nazis und Austauschstudenten

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Krümelmonster, Teil 10

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Eine halbe Ewigkeit später trat ein großer, älterer Mann im weißen Kittel aus der Tür. Gero sprang sofort auf und ließ mich damit fast auf den Nebenstuhl fallen. „Ist Lea wieder bei Bewusstsein? Wie geht es ihr? Nun sagen Sie schon!“

Ich spürte, wie mein Herz schlug. Der Arzt schüttelte ihn notdürftig ab und antwortete: „Die Patientin ist jetzt wieder bei Bewusstsein.“

„Geht es ihr gut? Was ist mit dem Baby?“, rief ich, nicht weniger alarmiert.

„Soweit wir das feststellen konnten, ist mit dem Kind alles in Ordnung. Es werden allerdings weitere Untersuchungen nötig sein“, erklärte der Arzt. „Sie dürfen jetzt zu ihr, allerdings bitte einzeln.“ Er ging davon.

Gero und ich sahen uns an.

„Möchtest du zuerst reingehen?“, fragte ich ihn.

„Ja, bitte.“

Ich wusste nicht, was ich denken sollte, als ich nun ohne Gero auf dem Flur saß. Ich winkelte meine Beine an und umschlang sie mit den Armen. Die Gedanken kamen und gingen im Halbsekundentakt, während irgendwelche namenlosen Ärzte und Krankenschwester über den Flur stratzten.

Heute Morgen war ich aufgekratzt gewesen vor Glück und jetzt war ich so niedergeschlagen, wie es nur ging. Die Angst um meine Schwester hatte mich krank gemacht, und der Umstand, dass plötzlich eine kleine Person aufgetaucht war, wirbelte die ganze Situation durcheinander. Und was würde unsere Familie nur sagen?

Mir lief es kalt den Rücken herunter. Die Familie! Sie würden nicht gerade vor Glück schreien, das war klar.

„Du bist doch selbst noch ein Kind!“

„Das war ja klar, dass du wieder nicht aufpassen konntest! Du und dein nichtsnutziger Freund!“

„Und woher wollt ihr das Geld dafür nehmen?“

So oder so ähnlich stellte ich mir die Reaktionen unserer Familie auf Leas Schwangerschaft vor. Wahrscheinlich würden unsere Eltern Lea aus dem Haus schmeißen und Oma würde sie enterben, sie würden ihr jegliche Unterstützung streichen, so malte ich es mir aus. Unsere Eltern wären nicht eben begeistert davon, mit Mitte 40 schon Großeltern zu werden, das wusste ich ganz genau.

Ich hasste dieses Warten, es machte mich krank! Immer wieder stierte ich zur verschlossenen Zimmertür. Was beredeten die da drin wohl gerade? Was dachte Lea gerade? Ich vermochte es nicht, es mir auszumalen.

Irgendwann ging die Tür auf und Gero kam heraus. „Lea möchte dich jetzt sprechen. Sag mir bitte Bescheid, wenn ihr fertig seid. Ich gehe mal in die Cafeteria.“ Und weg war er.

Auf wackligen Beinen ging ich ins Zimmer.

Meine große Schwester lag im Bett, mit ausgestrecktem linkem Arm, wegen der Infusion. Sie wirkte sehr blass und als ich neben dem Bett stand, merkte ich es: Sie weinte.

Wortlos nahm ich sie in den Arm und streichelte ihr den Rücken. Sie weinte wie ein Springbrunnen, bis das Licht orangefarben ins Zimmer scheinte.

Ich wusste gar nicht, was ich zuerst sagen sollte. Die ersten Worte, die mir dann über die Lippen kamen, waren: „Was hat er gesagt?“

„Wer?“, schniefte Lea.

„Dein Verlobter“, antwortete ich.

„Was meinst du?“, entgegnete Lea, zu Recht verwirrt.

„Er hat sich als dein Verlobter ausgegeben, damit er mitfahren durfte. Sonst hätten sie ihn doch nie im Leben mitkommen lassen.“

„Phh“, schnaubte Lea. „So verliebt hat er gerade aber nicht gewirkt. Die ganze Zeit rief er: ‚So ein Mist, was machen wir jetzt?‘ Und wollte nicht eine Sekunde wissen, was ich darüber denke. So ein Arsch!“ Wütend schmiss sie ihr Kissen mit dem unangezapften Arm an die Wand.

Wenn ich es bis jetzt noch nicht gewusst hätte, dann hätte ich spätestens jetzt gewusst, dass die Situation ernst war, denn nicht mal im schlimmsten Streit hatte Lea ihren Freund als Arsch bezeichnet.

„Was denkst du denn darüber?“, wollte ich von ihr wissen.

„Was ich darüber denke? Ich denke darüber, dass ich keine Ahnung habe, was ich machen soll, und ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll, dass ich nicht Diabetes habe, wie ich eigentlich dachte, oder ob ich mich ärgern soll, weil ich jetzt Mutter werde! So ein Mist, was machen wir jetzt? Ach, verdammt!“ Lea fing wieder an zu weinen.

Ich streichelte ihr über den Kopf.

„Und was werden erst Mama und Papa sagen? Die schmeißen mich doch aus dem Haus, wenn sie das erfahren!“, schluchzte sie.

„Das werden sie schon nicht tun. Das dürfen sie gar nicht!“, versuchte ich, sie zu trösten. „Als deine Eltern sind sie gesetzlich verpflichtet, dich zu unterstützen.“

„Selbst wenn…“ Lea wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Gero verlässt mich doch garantiert, solche Geschichten hört man doch immer wieder. Wieso sollte er denn jetzt noch bei mir bleiben? Er wirkte nicht gerade begeistert, als er gerade hier war.“

„Weil er dich liebt, zum Beispiel? So, wie er um dich besorgt war, gerade, wirkte er nicht, als wollte er dich fallen lassen. Also, wenn er dich nicht liebt, dann… weiß ich auch nicht. Denkst du wirklich, dass er dich wegen dieser Sache verlässt? Die fehlende Begeisterung kannst du ja wohl kaum zählen. Du weißt, dass die Situation ernst ist, und daran bist du ja wohl auch ein bisschen schuld.“

„Das weiß ich doch!“, fauchte Lea. „Es ist nur… Es kommt alles so schnell, von einer Sekunde auf die andere werden unsere Leben so schnell verändert und ich kann nichts dagegen tun…“

„Aber du kannst das Beste daraus machen“, fiel mir dazu nur ein. „Du und Gero, ihr werdet schon die richtige Entscheidung treffen.“

„Wenn du meinst… Du, bitte sei mir nicht böse, aber bitte geh jetzt, ich möchte irgendwie versuchen, es unseren Eltern beizubringen.“ Lea griff nach dem Hörer des Telefons, das neben dem Bett stand, ließ mich aber nicht aus den Augen.

„Na gut. Ich besuche dich morgen wieder.“ Ich umarmte meine große Schwester noch einmal kurz und schloss dann die Tür hinter mir.

Würde sie wirklich unsere Eltern anrufen oder nur in der Krankenschwesternstation anrufen und um ein Glas Wasser bitten? Ich wusste es nicht.

Auf dem Flur kam mir jemand entgegen. Es war Gero. Mir kam auf einmal diese Filmmusik in den Sinn, die Mundharmonika aus diesem einen Film, wie hieß der noch gleich? „Spiel mir das Lied vom Tod“, genau. Ich erinnerte mich an einen Augenblick vor ungefähr acht Jahren. Da musste ich elf oder zwölf gewesen sein, Opa hatte noch gelebt. Im Fernsehen hatte er sich diesen Film angesehen, und ich hatte währenddessen bei ihm auf dem Sofa gesessen und Hausaufgaben gemacht oder so. Der Film war erst ab sechzehn und als Mama das gemerkt hatte, wurde sie furchtbar böse. Ich schluckte.

„Du bist immer noch hier?“, sagte ich schließlich, als Gero und ich uns trafen.

„Ja. Wo sollte ich sonst auch hin? Wie geht es ihr jetzt?“

„So mittel“, antwortete ich. „Bitte sag mir Bescheid, ob sie unsere Eltern angerufen hat.“

„Mach ich, ich muss jetzt unbedingt zu ihr!“, rief er und eilte an mir vorbei.

Er hatte tatsächlich gewartet. Die ganzen Stunden, während Lea und ich im Zimmer gewesen waren, hatte er geduldig gewartet. Ich musste zugeben, dass mich das erstaunte. War das nun ein Zeichen seiner tiefen Liebe zu meiner Schwester? War das nun ein Zeichen dafür, dass er bei ihr bleiben und alle Widrigkeiten, die sie noch erwarteten, zusammen mit ihr durchstehen würde?

Ich verließ das riesige Krankenhaus.

Krümelmonster, Teil 7

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Es war Hannes.

Er war ein Bild von einem Mann.

Er hatte einen Traumkörper. Hatte nicht mal irgendjemand erwähnt, dass er Sport studierte?

Da er mir den Rücken zugewandt hatte, bemerkte er mich nicht. Er seifte sich gerade mit diesem unheimlich gut riechenden Männerduschgel ein.

Das Seifenwasser rannte ihm Blasen werfend den Rücken herunter. Wie gebannt starrte ich auf diese Rinnsale.

Mein Gehirn sagte mir, dass ich den Vorhang jetzt besser schließen sollte. Aber ich konnte nicht.

Und da drehte er sich um.

Er sah mich an.

Ich sah ihn an.

Das Wasser rannte seinen Körper runter.

Absurderweise bemerkte ich gerade, dass er grüne Augen hatte. Ich erinnerte mich plötzlich an einen Augenblick vor sechs Jahren, in dem Anna und ich im Klassenraum der damaligen 9c über unsere Traummänner diskutiert hatten. „Und er muss auf jeden Fall grüne Augen haben!“, hatte ich damals zu ihr gesagt, das wusste ich ganz genau.

Er sah mich immer noch an.

„Oh, äh, hi, ich wollte nur, äh, duschen…“, stammelte ich.

Er sah mir intensiv in die Augen. So intensiv hatte mich noch nie in meinem Leben jemand angesehen. „Weißt du, dass du unheimlich attraktiv aussiehst?“

„Das Gleiche kann ich von dir behaupten…“

Ich ließ mein super duftendes Orangenblütengel und den dämlichen Waschlappen fallen. Mit einem leisen Geräusch kamen sie unten an. In dem Augenblick war kein Laut mehr zu hören, nirgendwo.

Dann ging alles ganz schnell. Er fasste mich am Hals und zog mich in die Duschkabine, an sich und küsste mich intensiv. Mit Zunge. Das hatte ich überhaupt noch nie getan. Die Dusche verteilte ihr Wasser über uns und machte mich samt Handtuch total nass. Aber das war mir egal. In meinem Kopf explodierten Funken. Er wanderte mit seinen Lippen vom Mund zur Wange, den Hals herunter, und wieder zurück. Mit der einen Hand hielt er mich im Arm, mit der anderen drehte er das Wasser ab.

Wir stolperten über den Zimmerflur und pressten dabei die Körper eng aneinander, sodass mein Handtuch weiterhielt, obwohl es sich eigentlich schon gelöst hatte. Mehrmals liefen wir dabei gegen die Wand, denn die Augen hielt ich beim intensiven Küssen geschlossen. Irgendwie schaffte er es, die Zimmertür zu öffnen und uns beide auf sein riesiges Bett fallen zu lassen. Er zog mir das Handtuch, das schwer wie Blei auf mir lag, vom Körper. Dabei kam er nicht nur zufällig an meine Brüste, die er streichelte und mit der Zunge liebkoste. Es fühlte sich so gut an. Seine Hände berührten mich am ganzen Körper und ließen mich glauben, ich wäre im Paradies. Es fühlte sich an, als bestünde ich aus einem Eisberg, in dem ein Feuer war, der den Berg zum Schmelzen brachte. Meine Hände gingen auf Erkundungsreise und wanderten auf seiner Haut herum. Sie war gleichzeitig heiß und kalt, genauso wie ich. Ich bewegte meine Hände vom Rücken, auf dem ich einige erregte Kratzer hinterließ, zu seiner unteren vorderen Mitte und tastete mich dort entlang. Auch das hatte ich noch nie gemacht und es war ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Eigentlich hatte ich es mir nie richtig vorgestellt. Trotzdem schien es ihm zu gefallen, denn er stöhnte auf und wurde auf einmal noch wilder. Er küsste mich von meinen Brüsten abwärts, über die Hüften bis auf die Beine und die Innenseiten meiner Schenkel hoch. Mir liefen Schauer über den Rücken. Jetzt streichelte er mich in der unteren Mitte meines Körpers und brachte dort Gefühle zum Vorschein, die ich noch nie gehabt hatte und so unendlich gut taten. Ich massierte seinen ganzen Körper, besonders die eben erwähnte Stelle, und er bäumte sich auf und ließ mich seine gesamte Männlichkeit spüren. Wir wurden beide immer lauter und immer erregter. Jetzt langte er mit der rechten Hand unter sein riesiges Bett, dessen Breite wir voll auskosteten, und streifte sich das, was er dort fand, über. In einen Pariser verpackt, fühlte er mit seinen wundervollen Händen kurz vor und war in mir. Es war in jeder Hinsicht, so sagten die Franzosen, wie ein kleiner Tod. Es tat weh, aber das merkte ich kaum, weil ich so unter Strom stand und sich in meinem Kopf ein ganzes Feld von Blumen auftat, ich schloss die Augen und mir entfuhr ein lauter, lustvoller Schrei. Irgendwann sank ich ermattet zusammen und er ließ sich neben mich fallen. Er küsste mich auf beide Seiten meines Halses und dann auf den Mund.

„Na, hat es dir gefallen?“, fragte er mich und streichelte dabei über meine Haare.

„Es war das Schönste, was ich je erlebt habe“, seufzte ich glücklich.

„Hast du denn überhaupt schon mal…?“, fragte er mich und betonte dabei das hast auf eine besondere Weise.

„Nein. Aber ich könnte mir nicht vorstellen, dass es jemals schöner werden könnte…“, antwortete ich und schloss die Augen. Es war bereits ziemlich spät, das Erste, was ich wieder bewusst mitbekam.

„Du bist ja ziemlich müde, meine Hübsche“, flüsterte er mir ins Ohr.

„Du hast mich auch ins Schwitzen gebracht“, murmelte ich und zwinkerte ihm zu. „Machst du das eigentlich immer?“

„Was meinst du?“

„Mit einer anderen schlafen, obwohl du vergeben bist?“

Jetzt setzte er sich auf und vergrub sein Gesicht in beiden Händen. „Die Beziehung mit Kati ist immer schwieriger geworden. Ich habe mit ihr Schluss gemacht und sie ist heute Morgen gefahren. Sie wird nie wiederkommen. Und wenn ja, dann ist es mir egal, denn sie bedeutet mir überhaupt nichts mehr.“

In dem Augenblick knallte eine Tür. Wir beide zuckten zusammen, besannen uns aber wieder auf uns beide.

„Dass sie einen Mann wie dich nicht zu schätzen weiß, war ja klar“, brummte ich und lächelte ihn an.

Dann gähnte ich. „Du solltest wirklich schlafen. Sonst kommst du morgen nicht rechtzeitig in die Uni, meine Hübsche“, wisperte er mir zu.

„Die Uni ist mir so was von egal“, rief ich und zog ihn zu mir runter, da ich ihm noch einen Gute-Nacht-Kuss geben wollte, und was für einen…

 

Am nächsten Morgen war mein ganzes Leben irgendwie anders. Habt ihr, verehrte Leser, mal den Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“ gesehen? Dort fand die Protagonistin Selbsterfüllung, indem sie einem Menschen, der früher in ihrer Wohnung gelebt hatte, Schätze aus seiner Kindheit zukommen ließ. Sie ging durch Paris, die Sonne schien, und sie war vollkommen im Einklang mit sich selbst. Genauso ging es mir jetzt. Ich lief durch Frankfurt, die Sonne schien für mich, obwohl es in Wahrheit bestimmt regnete, und ich fühlte mich unheimlich toll. Die Uni überstand ich wie nichts, stellte in der Vorlesung Dutzende Fragen, war also unheimlich präsent, arbeitete sogar gerne in meiner eigentlich aufgezwungenen Arbeitsgruppe mit. Sonst fand ich meine Kommilitonen immer voll nervig, aber jetzt fand ich sie so interessant wie sonst was. „Was ist denn mit dir los?“, fragte dieses blonde Mädchen, dessen Namen ich nie wusste, und ich antwortete: „Ich bin heute einfach supergut drauf.“

In der Mittagspause traf ich in der Mensaschlange, dessen Länge mir natürlich überhaupt nichts ausmachte, auf Anna.

„Sag mal, was ist denn mit dir los?“, wollte sie neugierig wissen.

„Das bleibt mein kleines Geheimnis“, antwortete ich und zwinkerte ihr, immer noch dauergrinsend zu.

Irgendwann verriet ich es ihr schließlich. „Hannes und ich haben, du weißt schon…“ Kicher!

„Nein, nicht wirklich, oder?“ Anna riss die Augen vor Erstaunen weit auf.

„Doch!“ Ich nickte grinsend mit dem Kopf.

„Wie, ernsthaft?“

„Ja, natürlich ernsthaft!“

Anna machte immer noch große Augen. Doch dann erfolgte nicht die Reaktion, die ich erwartet hätte. Ich dachte eigentlich, sie würde jetzt so etwas sagen wie: „Wow, du hast zum ersten Mal mit einem Mann geschlafen? Toll!“ Oder so etwas in der Art. Stattdessen kam von ihr nur der Kommentar: „Au Backe!“ und sie nahm ihr Gesicht in ihre Hände.

„Was ist denn los?“, fragte ich, nun nicht länger lächelnd.

„Du fragst mich, was los ist?“ Anna schaute mich an. „Du verschwendest deine Jungfräulichkeit an so einen Typen? Stadtbekannter Casanova? Der hatte schon mit so ziemlich jeder Frau an der Uni was, einige Dozentinnen mit eingeschlossen. Und jetzt kommst du an und lässt dich auch noch in seinem Portfolio auflisten? Oh Mann, ich hätte dich eigentlich für intelligenter gehalten.“

„Ich weiß doch auch nicht, was da passiert ist“, verteidigte ich mich. „Es war höhere Gewalt. Der kam einfach so in mein Zimmer und hat mich vollgequatscht und ich hab ihn rausgejagt… Aber als wir uns dann in der Dusche getroffen haben, da…“

„Wie, ihr habt euch in der Dusche getroffen?“, wollte Anna wissen.

„Na ja, ich wollte halt duschen gehen und da hab ich den Vorhang aufgerissen, und er stand da nackt und dann kam eins zum anderen…“, erzählte ich.

„Eins kam zum anderen, soso. Na ja, ich hoffe nur, dass es dir nicht am Ende so geht wie all den anderen armen Tussis.“

„Wie meinst du das?“

„Nun ja“, sagte Anna und nahm sich einen Teller Gemüsemaultaschen von der Anrichte, „der reißt halt ständig eine auf und lässt sie dann wieder fallen.“

Während ich mir ebenfalls Gemüsemaultaschen auftat, fragte ich: „Glaubst du, das hat mich in dem Moment interessiert? Ich hab ja auch nicht darüber nachgedacht, ob Hannes und Kati jetzt noch zusammen sind oder nicht.“

Wir bezahlten unser Essen und nahmen unser Besteck.

„Das weiß man bei den beiden nie so genau. Die haben so eine On-Off-Beziehung…“ Anna setzte sich an einen Tisch und ich tat es ihr gleich. „Alles, was ich dir sagen wollte, ist doch: Pass auf, dass du dich nicht in den Typen verliebst, der ist gefährlich. Und nimm dich in Acht vor Kati. Mit der ist überhaupt nicht gut Kirschen essen.“

„Ich wollte doch nicht gleich eine Beziehung mit ihm anfangen“, lachte ich. „Und vor der dummen Pute hüte ich mich doch. Die kann mir gar nichts.“

Krümelmonster, Teil 6

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Zu Hause wollte ich jetzt nur noch meine Ruhe haben. Ich schaltete mein Handy aus, schloss die Zimmertür zwei Mal ab und hängte ein Tuch über die Klingel, damit ich sie nicht hörte. Zur Entspannung wollte ich Musik hören, aber die CD, die ich hören wollte, war nicht da. Es war eine ganz besondere CD, die ich mir in Frankreich gekauft hatte und die es in Deutschland gar nicht gab. Eine CD mit Liedern von meiner Lieblingsband, allerdings nur auf Französisch. Aus Interesse hatte ich mal im Internet geguckt, da fand man die Songs nirgendwo.

Das konnte doch nicht wahr sein! Wieso hatte ich die ganze Welt verschworen, um meinen Tag zu vermiesen? Was hatte ich denn getan? Gut, ich hatte Aurélie ‚blöde Kuh’ hinterhergerufen, aber ich hatte doch nicht gewusst, dass sie es war, sonst hätte ich das doch nie gemacht! Das war ja fürchterlich!

Aus lauter Ärger über den rundum verpfuschten Tag schmiss ich alle Sachen, zumindest die, die nicht zerbrechlich waren, durchs Zimmer und schrie meinen Ärger aus mir raus. Ich verwendete dabei alle Schimpfwörter, die mir einfielen, in drei Sprachen, und war überrascht, dass ich so viele konnte. Irgendwann bummerte es an der Zimmertür.

„Was willst du? Ich hab keine Musik an, also halt verdammt noch mal deine Klappe, Kati!“, keifte ich Richtung Tür.

„Ich bin nicht Kati“, erklärte überraschenderweise eine männliche Stimme. Wo hatte ich die nur schon mal gehört? Es fiel mir nicht ein.

Ich schob eben die nötigsten Sachen aus dem Weg und öffnete die Tür.

Es war Hannes, Katis Freund, der mich am ersten Tag so nett begrüßt hatte.

„Was willst du hier?“

„Es war ziemlich laut hier, da wollte ich mal fragen, was hier los ist.“

„Hat deine Kati dich geschickt? Dann kannst du gleich wieder gehen. Da will man einmal im Leben seine Ruhe haben und dann kommst du und machst alles kaputt.“

„Nein, ich komme tatsächlich freiwillig hierher. Und es sieht hier eher so aus, als würdest du hier alles kaputt machen. Was hast du denn?“

„Als würde dich das was angehen. So eine Scheiße!“ Wütend haute ich ins Kissen und übersah dabei leider, dass mein Radiowecker noch drunter lag. Aua.

„Klar, du weißt noch fast gar nichts über mich. Aber das möchte ich gern ändern. Ich heiße Hannes Wehmeyer, bin 1,92 groß und wurde vor ziemlich genau einundzwanzig Jahren geboren, am 3. Dezember. Ich bin in Berlin zur Welt gekommen, aber mit sechs Jahren kam ich in die hessische Provinz. Meine Hobbys sind Snowboarden, lesen und Partys feiern.“

Er lehnte sich zurück. „Und möchtest du mir was über dich erzählen?“

„Nein, möchte ich nicht. Es interessiert mich auch gar nicht, wer du bist. Also, von mir wirst du nichts über mich erfahren.“

„Ich weiß schon eine Menge über dich.“

„Ach ja, und was wäre das, bitte?“

„Du heißt Sara Lehmann, bist zwanzig Jahre alt und studierst Politologie. Zur Welt gekommen bist du in Wetzlar, du liebst Rockmusik, vor allem Muse und Placebo, und dein Lieblingsautor ist Paul Auster.“

Schockiert fragte ich: „Woher weißt du das denn?“

Er hob schweigend drei meiner Bücher auf und hielt sie mir entgegen. Es handelte sich um Mond über Manhattan, Das Buch der Illusionen und Nacht des Orakels.

„Gib mir meine Bücher zurück!“, rief ich und stellte sie ins Regal zurück, ohne auf die alphabetische Reihenfolge zu achten.

„Du lässt niemanden an dich ran, oder?“, fragte Hannes und schaute mich dabei von der Seite an. Er grinste.

„Sag mal, was bildest du dir eigentlich ein? Nur weil du per Zufall meinen Lieblingsautor erraten hast, denkst du, du kannst mir solche intimen Fragen stellen? Du weißt gar nichts über mich!“

„Kati hat mir vieles über dich erzählt. Ungefähr so: Den ganzen Tag lässt sie diese schreckliche Rockmusik dudeln, Placebo und Muse, oder wie die alle heißen! Gibt’s da überhaupt einen Unterschied? Und erst diese Bücher, die sie liest: Paul Auster! So was würde ich ja nicht mal mit spitzen Fingern anfassen.

„Noch besser!“ Ich sprang auf und riss die Arme nach oben. Unruhig lief ich im Zimmer hin und her. „Dann hast du wahrscheinlich noch ihre Meinung über mich von ihr übernommen. Super. Solche Leute kann ich nicht brauchen. Am besten, du gehst jetzt.“

„Wieso hast du so eine schlechte Meinung von uns? Für so eine hätte ich dich eigentlich nicht gehalten.“ Er zwinkerte mir zu.

Was sollte das denn jetzt schon wieder? „Was willst du eigentlich? Du kannst gar nicht wissen, wie ich wirklich bin. Mit Leuten wie euch habe ich schon genug schlechte Erfahrungen gemacht, besonders mit deiner tollen Freundin. Und jetzt hau ab“, fauchte ich.

Im Rausgehen sagte er noch: „Schade, dass du so eine schlechte Meinung von…“ Den Rest hörte ich nicht mehr, er war unverständlich, weil ich ihm die Tür praktisch vor der Nase zuschlug.

Aber was hatte er denn jetzt gesagt? Von wem sollte ich eine schlechte Meinung haben? Nur von ihm oder von beiden oder von Kati? Und wie hatte er das gemeint? Er hatte Schade gesagt und wie hatte er das bloß gemeint?

Ich rannte immer noch im Zimmer hin und her und tat das so schnell, dass ich einen Stolperstein in Form einer Tasche übersah und auf die Schnauze flog. Ich blieb auf dem Boden liegen und starrte zur Decke. Ohne noch eine andere CD anzumachen.

 

Ich dachte über mein bisheriges Leben nach. Ließ ich wirklich niemanden an mich ran? Das stimmte nicht. Ich hatte drei gute Freunde und meine Familie, mit der ich schon über meine Probleme sprach. Mehr hatte ich nie gebraucht. Und ich bildete mir auch nicht schnell eine Meinung über andere Leute. Gut, Kati hatte mir früher immer die Haare rausgerissen, als wir miteinander spielen mussten, aber ich hatte sie doch deswegen nicht gleich gehasst! Und Freddy hatte ich auch nicht sofort für einen Freak gehalten damals. Nur für etwas merkwürdig.

Ich überlegte auch, was Kati mir bereits alles angetan hatte. Sie hatte mir besagte Haare ausgerissen, sich über meine Kufiyas und meine roten Haare lustig gemacht, ihren Luxus, den wir so nicht hatten, zur Schau gestellt und mir so manchen Tag mit ihrer ewig schlechten Laune vermiest. Hatte man ja oft genug gesehen. Und diese Liste ließe sich wohl beliebig fortsetzen.

Langsam stank mir die Sache. Ich atmete tief durch und roch dabei, dass wirklich etwas stank. Bei näherer Nachprüfung stellte ich fest, dass ich die Geruchsquelle war. Ich sollte wahrscheinlich mal duschen. Ich zog mich aus, wickelte mein Riesen-Badehandtuch, auf dem mein Name stand, um meinen Körper und tappte mitsamt Duschgel und Waschlappen ins Bad.

Meine Bude, die ich gemietet hatte, war zwar im Vergleich zu vielen anderen Studenten-Einzelzimmern, die es in Frankfurt so gab (beispielsweise Freddys Zimmer) ziemlich luxuriös. Aber auf eine Sache musste ich verzichten, nämlich auf eine Einzeldusche.

Also tappte ich handtuchumwickelt und mit Waschutensilien versehen über den Flur zum Bad. Es gab dort drei Duschkabinen. Leider konnte ich nicht hören, welche Duschkabine frei war, da auf dem Flur irgendwelche Musik dudelte, und sehen konnte ich es schon gar nicht, da alle Vorhänge geschlossen waren. Also riss ich einfach einen Vorhang beiseite.

Und da sah ich ihn.

Geschützt: Wurst mit Gesicht

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Wo ist die Liebe hin?, Teil 4

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Ich verfluchte das Kultusministerium dafür, dass es alle meine schriftlichen Prüfungen innerhalb einer Woche stattfinden ließ. Pädagogik am Montag, Deutsch am Mittwoch, Geschichte am Freitag und – ganz schlimm – direkt am nächsten Tag Biologie. Sechs Tage lang fuhr ich morgens zur Schule, mittags zurück, versuchte zwischendurch, letzte Fakten für die Prüfungen in mein Gehirn zu bimsen. Ich pendelte zwischen Schule, Freunden und meinem Zuhause hin und her und häufig war die Straßenbahn, in der ich an den Prüfungstagen die Unterlagen zum letzten Mal durchsah, mein letzter Zufluchtsort.

Dass es zu Hause nicht gerade toll war, war ja klar. Aber auch in meinem Freundeskreis war die Situation nicht die beste. Aurélie verhielt sich in letzter Zeit wie ein aufgescheuchtes Huhn und es war klar, dass das nicht nur an den Abiturprüfungen lag. Mit Freddy war das nicht anders. Sonst sehr ruhig, machte er jetzt alle verrückt mit seiner Nervosität.

Für Anna war natürlich klar, dass die beiden etwas miteinander hatten. Das fand ich gar nicht so schlimm. Vielmehr regte ich mich darüber auf, dass es Anna missfiel. Okay, Freddy war ein Sonderling, der nicht besonders viel sprach, seine Stoppeln orange färbte und Musik hörte, die wir nicht wirklich mochten. Aber wir konnten ihn doch trotzdem akzeptieren, oder? Er hatte immerhin dafür gesorgt, dass wir wegen der Sache mit der Parisfahrt nichts Schlimmes zu befürchten hatten. Dabei hatte er mir doch erzählt, dass er das hauptsächlich meinetwegen getan hatte. Er war ja zu diesem Zeitpunkt schon achtzehn gewesen.

Als ich Anna das genauso sagte, hatte sie trotzdem noch Bedenken. „Versteh doch, Sara“, meinte sie, „ich kann ihn finden, wie ich will, es kommt doch darauf an, wie Aurélie und er sich verstehen. Klar, er kann sich sofort in sie verlieben, aber wird sie von ihm dasselbe denken? Du kennst sie doch.“

„Gegensätze ziehen sich an.“ Mehr fiel mir dazu nicht ein.

„Und Gleich und Gleich gesellt sich gern. Außerdem: Überleg dir doch mal, wie das sein wird, wenn die beiden zusammen sind. Dann haben wir ständig ein knutschendes Pärchen um uns. Die beiden werden sich ablecken wie diese ganzen Pärchen aus der Leckecke.“ Mit der Leckecke war der Flur von den Schließfächern bis zum Vertretungsplan gemeint. Dort konnte man nie lang gehen, ohne mindestens zwei Unzertrennliche anzurempeln.

Das saß. Ich war schwer getroffen, ich war immer die gewesen, die sich am meisten über diese Pärchen geärgert hatte. Mit meinen Argumenten am Ende war ich, als Anna mir erklärte: „Und wie wird es wohl sein, wenn sie sich mal nicht mehr so gut verstehen? Besonders für dich. Dein guter Freund und deine gute Freundin zicken sich an. Wie ätzend wäre denn das für dich?“

Wir saßen gerade an einer Bushaltestelle und warteten auf Annas Bus. Da er herannahte, sagte ich noch schnell zu ihr: „Ach was. Es ist doch noch gar nicht gesagt, dass die beiden wirklich zusammen sind. Und selbst wenn, so schlimm muss es doch nicht werden.“

„Hast ja Recht“, meinte Anna und wollte in den Bus einsteigen.

„Ach ja, und, Anna…“

„Ja, was denn?“

„Bitte unternimm nichts dagegen, wenn sie wirklich…“

„Schon gut, so hab ich es ja gar nicht gemeint.“ Anna stieg ein und die Bustüren schlossen sich hinter ihr. Der Bus fuhr weg.

Ich sah dessen Rücklichtern hinterher. Ob sie sich an meine Bitte halten würde?

Erst in diesem Augenblick bemerkte ich, dass Freddy an dieser Haltestelle ausgestiegen war. Hatte er etwa die letzten Worte unserer Unterhaltung mitbekommen? Sah nicht so aus, er wirkte allerdings auch nicht gerade glücklich. Was war los?

„Hi, Freddy, du siehst nicht glücklich aus. Was ist los?“

„Nichts. Was soll los sein?“

Aha, kurz angebunden wie immer. Verdächtig, verdächtig.

„Das weiß ich nicht. Würde ich sonst fragen? Komm, mir kannst du’s ja sagen.“

„Kommst du mit zu mir?“

„Ja, gerne.“

Den ganzen Weg vom Nordkreuz bis zur Berliner Straße versuchte ich, herauszufinden, worum es ging. Doch Freddy war noch maulfauler als sonst, das machte es mir nicht eben leicht.

„Liegt es am Abitur?“

„Nein.“

„Oder machst du dir Sorgen wegen der Zeit nach dem Abi? Eine Uni nimmt dich schon auf, mach dir da mal keine Gedanken.“

„Nein.“

„Hast du Probleme mit deiner Oma?“

„Nein.“

„Mit mir?“

„Nein.“

„Kannst du noch ein anderes Wort außer ‚Nein’?“

„Nein.“

Er stöhnte. Ich stöhnte.

„Was ist denn jetzt los? Es hilft dir jedenfalls nichts, wenn du weiter so einsilbig bist.“

Wir waren an seinem Zuhause angelangt. Er schloss die Tür auf, schmiss die Tür hinter uns zu und ließ sich auf den Boden sinken. „Oh Mann.“ Freddy rieb sich die Augen.

„Sag schon, was ist passiert!“

Und jetzt platzte er mit der Wahrheit heraus.

„Du meine Güte, ich bin total in Aurélie verknallt! Ich hab ihr bei Chemie geholfen, neulich waren wir zusammen essen und sie findet mich auch nett, aber mehr nicht! Da bin ich ganz sicher.“ Er lachte bitter auf. „Vielleicht sollte ich mal nachschauen, ob ich auch in grauer Vorzeit mal französische Vorfahren hatte. Das würde bestimmt helfen.“

Ich schnappte nach Luft. Also war Annas Vermutung (oder eher Befürchtung?) richtig gewesen. Mir gingen tausend Gedanken gleichzeitig durch den Kopf.

War sie auch in ihn verliebt?

Würden sie ein Paar werden?

Bestimmt würden Anna und ich die beiden dann nur noch im Doppelpack antreffen. Aber würde es überhaupt so weit kommen?

Die Situation war wie in einer Fernsehserie, wo die Heldin sich mit jemandem unterhielt, was aber trotzdem an ihr vorbeizog, da sie – genau wie ich gerade – tausend Gedanken gleichzeitig hegte.

Was sagte er gerade?

„… und deswegen werde ich sie auch nicht fragen, ob sie dasselbe für mich fühlt. Hat ja sowieso keinen Sinn.“

„Natürlich hat das Sinn!“, protestierte ich sofort und überlegte fieberhaft, wie ich meine These begründen konnte. Denn manche von Annas und Freddys Einwänden waren, so fürchtete ich, leider berechtigt.

„Ich kenne Aurélie schon seit fast zwölf Jahren und ich weiß, dass sie einer der am wenigsten oberflächlichen Menschen ist, die es gibt. Glaubst du wirklich, dass sie so hirnlos ist, jemanden fallen zu lassen, nur weil er sich anders gibt als die anderen und keine französischen Vorfahren hat?“

Freddy zuckte nur mit den Schultern. „Machen wir uns doch nichts vor, Aurélie steht nie im Leben auf so ’nen Typen wie mich.“

„Ach, Quatsch.“

„Das sagst du doch nur so. In Wirklichkeit glaubst du doch selbst nicht daran, dass sie so was wie Liebe für mich empfinden könnte.“

Das brachte mich auf die Palme. „Verdammt, wie willst du es denn wissen, wenn du sie nicht fragst?“, empörte ich mich. „Meinetwegen kannst du in deiner Höhle hocken bleiben und dich ewig bedauern. Oh, ich bin ja so ein armer Kerl. Aber komm dann bloß nicht zu mir, um mich vollzujammern.“

Jetzt zuckte Freddy zusammen. So einen Ton war er nicht von mir gewohnt, denn auch wenn es bei mir nicht so extrem war wie bei ihm, war ich doch ein relativ ruhiger Mensch.

„Ist ja schon gut, Sara“, murmelte er und er tat mir beinahe Leid, wie er da auf dem Boden vor der Tür hockte und einfach nicht weiterwusste.

„Komm, steh auf.“ Ich hielt ihm meine Hand hin, an der er sich hochzog, und wir setzten uns auf sein Bett.

„Ich nehme mir ja so oft vor, es ihr zu sagen“, beklagte sich Freddy. „Aber wenn ich dann vor ihr stehe, verlässt mich jedes Mal der Mut.“

„Also, ich kann nur wiederholen, was ich gerade gesagt habe. Wenn du es ihr nicht sagst, wird sie es nie erfahren. Du kannst doch ein ganz lockerer Typ sein.“

„Wie? Wann denn das?“, fragte er erstaunt.

„Denk doch nur mal dran, als wir damals zusammen in Paris unterwegs waren. Da warst du lustig, relaxt… Wenn du das jetzt bei Aurélie anwendest, klappt es bestimmt.“

„Bist du sicher?“

„Aber klar.“

„Ach, ich weiß nicht. Nachher mag sie mich doch nicht und dann stehe ich total dumm da.“

„Sei kein Frosch. Du machst das schon. Du musst sie ja nicht sofort überfallen. Frag sie erst mal nach einem Treffen.“

„Na gut. Aber lass mich den richtigen Moment abwarten.“

Ich wusste: Wenn Leute das in Filmen sagten, zögerten sie die nötige Aussprache einfach immer weiter heraus. Aber ich sagte nichts.