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Hör mal, wer da schreibt

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Hallo, liebe Leute! Ich lebe noch, bin nur derzeit sehr beschäftigt (womit, erzähle ich euch ein andermal. Vielleicht.).

Gelegentlich finde ich aber noch die Zeit, mich mit unsinnigen Themen zu beschäftigen, und so sende ich euch heute den mit Abstand am bestesten recherchierten Blogeintrag aller Zeiten – Geschlechterrollen in „Hör mal, wer da hämmert“. Kennt die Serie überhaupt noch irgendjemand von euch?

Naja, wie auch immer, es war über Jahre meine Lieblingsserie und da die ja im Grunde ein einziges Abfeiern des Männerseins ist, drängt sich das Geschlechterthema da förmlich auf. Meine konfusen Notizen zu acht Jahren dieser Sitcom möchte ich euch nun in halbwegs geordneter Aufmachung darbieten.

So sind Männer

– Ihnen gehört das Haus, also sind sie der Bestimmer.
– Wenn ihre Frau sich über die Doppelbelastung Arbeit – Familie aufregt, sagen sie „Du musst doch nicht arbeiten!“.
– Männer sind stark. (Deswegen gibt Tim zunächst nicht zu, dass er sich nach dem Schleppen einer schweren Truhe die Leiste gezerrt hat.)
– Sie sind die großen Verführer, was Tim in einige Probleme stürzt.
– Wenn Frauen von Menstruation erzählen, reagieren Männer megaempfindlich. (Außerdem haben sie keine Ahnung von Monatshygiene-Artikeln. Oder wie der weibliche Körper überhaupt funktioniert.)
– Laut dem Buch, das Tim in Folge 8/14 schreibt, stellen sich Männer ihren Ängsten. (Frauen tun das also nicht?)
– In einer Ausgabe von „Tool Time“ gibt es ein ’salute to men‘ (als wäre die Sendung nicht schon ein einziges^^). Männlich sind demnach beispielsweise Armee / Navy, Hunde-Mögen und Filme wie „True Grit“ und „Spartacus“.

So sind Männer nicht

– Sie wissen nicht, wie ein Geschirrspüler funktioniert. Zumindest musste Jill es Tim erklären. (Und als er es dann weiß, baut er ihn um, denn das Gerät ist ihm zu unmännlich. Immerhin ist Tim aber grundsätzlich dafür, dass Männer im Haushalt helfen, wenn er es auch oft Jill überlässt.)
– Der Nachbar Wilson weiß, dass man für unterschiedliche Anlässe unterschiedliche Schuhe braucht. Als er sein Wissen über unterschiedliche Formen der Fußbekleidung demonstriert, wird er von Tim schief angeguckt. Ähnliches passiert, als Al beweist, dass er mehr Farbtöne als der Klischee-Mann unterscheiden kann. (Bei Autofarben wäre das aber auf einmal akzeptiert…)
– Sie mögen kein Ballett. Zumindest ist Tim dieser Ansicht, und es gibt einen Riesenstreit, als er mit Mark zum Ballett gehen soll (der darauf durchaus Lust hatte), ihn dann aber lieber zum Basketball mitnimmt. Jill ist enttäuscht von Tim, da sie ihre Söhne nicht nur männertypischen Dingen aussetzen möchte, und Tim da nicht mitzieht. Als Randy für die Schülerzeitung über das Ballettteam seiner Schule schreibt, sagt Tim sinngemäß, dass es nicht normal sei, sollte Randy sich für Ballett interesssieren.
– Sie trauern nicht, jedenfalls nicht mit Tränen. Tim hält das für unmännlich. (Wobei er sich da später durchaus korrigiert.)
– Sie backen keine Cupcakes.
– Tims ältester Sohn Brad benutzt in Folge 4/26 Makeup, um seine Hautunreinheiten zu kaschieren. Tim ist dagegen, Brads Brüder Randy und Mark machen sich über Brad lustig.
– Männer interessieren sich nicht für Dinge wie Bücher oder Jazztanz.
– Als Tim mit einer seiner Nichten „Teeparty“ spielt, sagt er ihr, sie solle das nicht seinen Freunden im Werkzeugladen erzählen. Den Nachmittag mit ihr mochte er, was allerdings letztlich auch mit stereotypem Mädchen- / Jungenverhalten zu tun hat („Jungen wollen raufen, Mädchen tun mehr Dinge wie Geschichten erzählen“).

So sind Frauen

– Bei „Tool Time“ sind Mädels im Prinzip nur zum Präsentieren da. Dabei kann zumindest Heidi deutlich mehr, denn laut Tim ist diese Elektrikermeisterin. Fun fact: Wegen so einer Sache ist Pamela Anderson, die das vormalige Tool-Girl Lisa gespielt hatte, sogar aus der Serie ausgestiegen. Heidi bzw. Debbe Dunning bekam dann etwas mehr Raum, aber viel war es auch nicht.
– Es gibt aber auch starke Frauen bei „Hör mal, wer da hämmert“. Eine solche ist Jill, die ihrem Ehemann Tim so manches Mal Paroli bietet und ihren Kopf durchsetzt, schließlich sogar nach x Jahren Hausfrauendasein eine neue Karriere startet. Sie wird als Feministin dargestellt, als sie z.B. mit einschlägiger Literatur gesehen wird oder ihren Söhnen beibringt, dass Frauen auch Rechte haben. Ein anderes Beispiel für eine starke Frau in der Serie ist Jills Freundin Karen. Sie kebbelt sich des Öfteren mit Tim, weil die seiner Machowelt etwas entgegensetzt („Natürlich haben Männer viel geschaffen, sie haben ja auch alle Arbeitsplätze“). Sie kann zwar zuweilen etwas aggressiv klingen, wenn sie bspw. allen Männern aggressive Tendenzen unterstellt, aber oft genug ist sie einfach nur der Spiegel, der Tim vorgehalten wird.
– Frauen sind manierlich (während Männer sich ruhig danebenbenehmen dürfen).
– Sie teilen sich anders mit als Männer, nämlich subtiler (was so manches Mal zu Streit führt).
– Frauen, die sich durchsetzen, laufen schnell Gefahr, als Drachen gesehen zu werden. Beispiel: Wanda, Staffel 2, Folge 4.
– Frauen wollen alle Singles verkuppeln. Beispiel: Jill in derselben Folge. Aber sie tut das nicht nur da. Sie verkuppelt eine ihrer Dozentinnen mit Wilson, weil „so eine wundervolle Frau nicht allein sein sollte“. (Mit anderen Worten: Ihrer Meinung nach brauchen Frauen unbedingt einen Partner.)
– Frauen mögen die Farbe Pink (und Männer Schwarz).
– Sie wollen alles zu Tode diskutieren.
– Hat hier jemand mal von dem Begriff „maternal gatekeeping“ gehört? Nein? Na gut. Auf jeden Fall, Jill zeigt, dass sie auch dazu fähig ist. Sie ist beispielsweise der Ansicht, dass Mütter manche Dinge besser können als Väter aufgrund einer speziellen Bindung zum Kind.
– Oft wird von Frauen aber auch verlangt, dass sie Arbeit UND Familie wuppen. (Warum muss Jill kochen, wenn sie wegen ihres Studiums viel um die Ohren hat? Und warum schätzt ihre Familie ihr Essen dann nicht?) Als Tim sich dann doch mal erbarmt und ein paar Wochen mal mehr tut als sie, erwartet er dafür dann so ungefähr den Nobelpreis.^^ Den bekommt er verständlicherweise nicht von Jill, der Dank dafür ist, dass er in einer Tool-Time-Ausgabe alle Frauen inkl. seiner eigenen als Meckertanten darstellt, die man austricksen muss, um seine Ziele zu erreichen.
– Bügeln ist Frauensache, sagt Tim.
– Er sagt außerdem, dass sie ihre Partner dazu zwingen, sich emotional zu öffnen.
– Als Tim sich einmal mit Heidi streitet, regt er sich darüber auf, dass Frauen überemotional seien und man es ihnen nicht recht machen könne.

So sind Frauen nicht

– Sie verstehen Männer im Allgemeinen nicht.
– Sie haben keine Ahnung von Autos (was trotz zahlreicher Gegenbeispiele geglaubt wird).
– Sie können keine Häuser bauen (auch hier gibt es Gegenbeispiele, die nicht helfen).
– Sie können kein scharfes Essen ab. (Heidi rächt sich umgehend für diese falsche Annahme.)

Und sonst so?

– Tim verzapft viel Blödsinn (wer hätte das nach all diesen Anmerkungen gedacht?^^), zeigt sich aber häufig einsichtig. Oft geschieht dies nach einem Gespräch mit Wilson, der als so eine Art Mentor für Tim (und viele andere Figuren) fungiert.
– Wenn Männer und Frauen etwas miteinander unternehmen, wird immer davon ausgegangen, dass sie etwas miteinander haben.
– In unzähligen Ausgaben von „Tool Time“ lästert Tim über seine Frau bzw. Frauen im Allgemeinen. Ein Höhepunkt: Er schnappt sich zwei Zuschauer und zieht mit denen richtig ausführlich über Frauen her, nur weil die eben so sind, wie sie sind.
– Alle möglichen Gegenstände und Dinge müssen „für Männer“ produziert oder umgestaltet werden, weil die normalen zu doof sind. Dies gilt u.a. für Haushaltsreinigungsgeräte, Bade- und Schlafzimmer.
– In Folge 20 wird darüber debattiert, ob Frauen Smokings tragen dürfen, Jill will einen solchen zu einem Opernabend mit Tim tragen, er mokiert sich darüber. Schlussendlich trägt sie ihn aber doch und er ist überrascht davon, wie gut er ihr steht.
– In Folge 2/14 eröffnet Jill ein eigenes Konto, auf das ihr Gehalt als freie Journalistin eingeht. Tim gefällt das überhaupt nicht. Es entbrennt ein Streit darüber, wem was gehört und wer die Macht worüber hat, da Tim der Familienernährer ist, Jill nur ein kleines Gehalt verdient, aber auch gerne Mitspracherechte haben will.
– Die Rosa-Hellblau-Falle existiert (vermutlich wenig überraschend) auch bei „Hör mal, wer da hämmert“. In Folge 3/1 taucht eine rosa Decke auf, die Jill gehäkelt hatte, als sie mit Mark schwanger war. Sie hatte auf ein Mädchen gehofft. Als Tim das seinen beiden älteren Söhnen verrät, machen die sich über Mark lustig.
– Tim kann schlecht akzeptieren, wenn Frauen auf einem männertypischen Gebiet, bspw. als Vorarbeiter auf einer Baustelle, mehr Ahnung haben. Er haut dann Vorurteile raus („hat bestimmt keinen Respekt bei männlichen Kollegen“), sexistische Sprüche (z.B. übers Aussehen) und gaaaanz viele herablassende Kommentare („brauchen Sie die Hilfe von einem starken Mann?“).
– In Folge 5/15 begleitet Jill Tim zu einem Aufenthalt auf einer Militärbasis. Er findet, Frauen hätten da nichts zu suchen – und das, obwohl Jill die Tochter eines Colonels ist und an dem Aufenthalt sehr viel Freude hat, zumindest so lange, bis Tim es ihr vermiest. Ihr wird ermöglicht, einen Panzer zu fahren, und Tim macht ihr die Freude daran zunichte, weil sie es besser kann als er.
– Tim soll sich auf Wunsch von Jill vasektomieren lassen, er ist zunächst nicht sehr offen. Seine Freunde im Werkzeugladen denken, man ist dann kein Mann mehr. Tim lässt sich zu einem Besuch in einer urologischen Praxis überreden, und als er feststellt, dass es sich um eine Ärztin handelt, macht er sofort zu, denn eine Frau könne Männer ja nicht angemessen „da unten“ behandeln. Er ist Argumenten nicht zugänglich, fragt Jill, was sie denn von Schmerzen da unten verstehe, und als sie die Geburtsschmerzen der Kinder aufbringt, ist er genervt. Jill musste sich all die Jahre ihrer Beziehung allein um Verhütung kümmern und es sieht so aus, als würde das so weitergehen. Ironischerweise hilft ihm dann einer der Freunde aus dem Werkzeugladen, Tims Meinung zu ändern – Harry, der eine Vasektomie hatte, das in seinem Laden aber nicht zugeben wollte.
– Interessant wird dies, als Jill sich aus medizinischen Gründen einer Totalhysterektomie unterziehen muss: Sie fühlt sich danach nicht mehr als Frau. Tim macht ihr aber klar, dass zu einer Frau mehr gehört als Eierstöcke, Gebärmutter und die Möglichkeit, Kinder zu kriegen.
– In einer Folge gibt es einen Streit, als festgestellt wird, dass Brads damalige Freundin Angela alle Hausarbeiten für ihn erledigt. Tim macht weniger im Haushalt als Jill und das bisschen, was er macht, auch nur um des häuslichen Friedens willen. Er zeigt sich nicht besonders bereit, Brad klarzumachen, dass der sich falsch verhält, aber schlussendlich tut er es doch.
– In Folge 7/24 ist Jill zu Gast in einer Talkshow mit dem Thema „Erfolgreiche Frauen“. Tim und seine Freunde sehen die Talkshow im Werkzeugladen. Als eine der talkenden Frauen erzählt „Ich bekam ein Jobangebot und mein Mann interessierte sich nur dafür, wer dann kocht“, fragt Harry, was daran falsch sei. Jill versucht, das Verhalten der jeweiligen Ehemänner zu erklären. Tim erscheint in ihrer Darstellung zunächst verständnisvoll (unterstützte Jill grundsätzlich in ihrer Berufswahl), dann wie ein Idiot (verständnislose erste Reaktion auf Studienwahl, hält Psychologie im Allgemeinen für Schwindel, Midlife-Crisis und verletzlicher Zustand). Seine Freunde und die Besucher eines Fitnesscenters, in dem die Sendung lief, machen sich daraufhin über Tim lustig. Tim und Jill fetzen sich heftig. Daraufhin kommt zur Sprache, dass Tim sich in „Tool Time“ regelmäßig über Jill auslässt, was ja etwas gaaaanz anderes sei. Als Jill mit Wilson über die Geschehnisse redet, wird ihr klar, dass all das passiert ist, weil sie glaubte, sich vor den anderen Frauen mit ihrem Psychologie-Wissen und besseren Stories beweisen zu müssen.
– Vielleicht am interessantesten ist das Serienende. Tim kündigt bei Binford, gleichzeitig bekommt Jill ein Jobangebot als Familientherapeutin in einer Hunderte von Meilen entfernten Stadt. Logisch, dass da umgezogen werden müsste. Tim möchte das aber nicht und Jill ist darüber enttäuscht, zumal sie sich 20 Jahre lang immer nur nach seiner Karriere ausgerichtet hat. Letztlich willigt Tim aber doch ein.

Puh.

Fazit

Die Serie lief von 1991 bis 1999. Natürlich findet man da sehr häufig noch klassisches oder klischeehaftes Männer- / Frauenverhalten, stellenweise ist das so extrem, dass man sich darüber aufregen will. Ich muss aber sagen: Für eine Serie aus den Neunzigern finde ich „Hör mal, wer da hämmert“, was Geschlechterthemen anbelangt, ziemlich fortschrittlich. Immer wieder tauchen Figuren auf, die aus den klassischen Rollen ausbrechen. Immer wieder wird sich dafür ausgesprochen, dass Männer und Frauen ihre Differenzen beilegen. Jill darf ein Leben außerhalb der Familie haben (wenn da auch viel verbesserungswürdig ist, aber ich will nicht zu viel erwarten). Und ganz großartig ist natürlich das Serienende, in dem sich Tim karrieremäßig nach seiner Frau richtet.

Habt ihr Fragen, Anmerkungen oder Kritik? Rein damit in die Kommentare (oder meinetwegen meinen Maileingang, auch wenn der mal wieder überquillt).

Mit freundlichen Grüßen

Die Kitschautorin

Sechswortgeschichte

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Ich wollte wieder einmal eine Dreiwortgeschichte schreiben und habe auf Twitter nach Wortvorschlägen gefragt. Die Ergebnisse habe ich kurzerhand in einer Sechswortgeschichte verarbeitet. Vielen Dank an Des_Roin und Angriffsvektor für die Vorschläge!

 

Niemand wusste, was für ein Tag war. Ich hatte auch nicht vor, es irgendjemandem zu sagen. Was sollte es bringen? Ich versuchte einfach, mir einen schönen Tag zu machen. Aber das hätte ich auch an jedem anderen Tag versucht.
Es war ein sehr warmer Tag. Aus Sicht eines jeden anderen Menschen wäre das übertrieben gewesen. Alle anderen Menschen hätten gesagt, es wäre knallheiß. Aber ich hatte nun einmal einen etwas komischen Körper. Ich war ziemlich unempfindlich, was Temperaturen anging. Woher das wohl kam?
Ich hatte nichts zu tun, ich war allein. Und es war warm. Daraus folgte zwangsläufig, dass ich mich in die örtliche Groß-Eiswassertonne, sprich: ins Freibad begab. Doch zuvor musste ich mich noch eincremen. Ich hatte zwar kein gutes Temperaturempfinden, das hinderte meinen Körper aber nicht daran, bei mehr als zehn Minuten Sonne eine unangenehme krebsrote Färbung einzunehmen. Und so musste ich eben jeden Sommer der Sonnencremeindustrie einen Haufen Geld für 50er in den Rachen werfen. Ich schmierte mich also mit weißem Zeug ein, hoffte, dass ich keine Stelle vergessen hatte, und warf mich in Schale. Naja. In blaue Badebekleidung.
So gut sah ich darin nicht aus, aber das sollte mich nicht daran hindern, Bewegung im kühlen Nass zu suchen. Während ich noch einen Rock und ein T-Shirt überstreifte, überprüfte ich, ob ich etwas vergessen hatte. Das kam häufiger mal vor. Hatte ich nicht. Gut. Dann los.
Die warme Luft strich an mir vorbei, während ich auf dem Fahrrad Richtung Freibad rollte. Es fühlte sich eigenartig an. Ich rollte über die Flussbrücke und sah aus den Augenwinkeln, wie ein paar Männer am Ufer ihrem geliebten Fangsport nachgingen.

Ich erinnerte mich daran, wie ich bei meinem Opa in der Garage stand. Zwischen 80er-Jahre-Nacktpostern und Werkzeugen hatte er mir erklärt, wie seine Angel funktionierte. Und dass sie schweineteuer gewesen war. Ich wusste noch genau, wie sehr sie mich interessiert hatte. Naja, mit acht Jahren interessiert einen fast alles, was man nicht wirklich anrühren durfte. Mein Opa hatte mir viel gezeigt und mit mir viel gemacht. Er hatte mich auf dem Roller mitgenommen zum Brötchenholen. Allerdings war er nur komische Schleichwege gefahren, weil ich vorne sitzen musste und das eigentlich verboten war. Und er hatte mir zum Geburtstag immer einen Fünfziger geschenkt. Mittlerweile war es mit den Abenteuern wie auch mit dem Geburtstagsgeld eh vorbei, er lag seit drei Jahren in kalter mecklenburgischer Erde.
Ich zuckte mit den Schultern und fuhr in die Allee ein, in der das Freibad lag. Die Kassiererin verlangte beim Eintritt meinen Studentenausweis. Sie musterte ihn, dann riss sie ihre Augen auf.
„Alles G-“
„Schon gut“, winkte ich ab, nahm die Eintrittskarte und ging davon. Rasch zog ich in der Umkleide meinen Rock und mein T-Shirt aus. Dann schnappte ich meine Badutensilien und betrat das Bad.
Ich ließ mich auf der Wiese nieder und merkte ziemlich schnell, dass Zigarettenrauch in meine Nase stieg. Für einen Abend in einer Bar vielleicht ganz en chaud, aber nicht für einen Tag im Freibad. Ich nahm mein Handtuch und verzog mich ein paar Meter weiter unter einen schattigen Baum.
Ein Schluck aus der Wasserflasche, dann ging ich zum Becken. Ich hoffte, dass sie sich nicht in Heißwasser verwandelt haben würde, bis ich zurück war. Es könnte passieren.
Ich schwamm Bahnen vor mich hin und fühlte mich sofort in meinem Element. Wenn ich im Wasser war, vergaß ich immer alles andere.
Nachdem ich einen Kilometer geschwommen war, trieb es mich ins Nichtschwimmerbecken. Dort ruhte ich mich ein wenig aus. Einfach am Rand hängen. Und die Beine kreisen lassen.
Auch wenn ich es mir vielleicht gewünscht hatte, war ich nicht so alleine. Und so schwamm, ich weiß nicht, wie viel Zeit zwischenzeitlich vergangen war, ein ungefähr zehnjähriges Mädchen vorbei. Ich musste meine Beine einklappen, sonst hätte sie mich gerammt.
Ich blickte um mich. Ein paar andere Menschen waren noch im Wasser. Und auf einmal ertönte direkt hinter mir eine männliche Stimme.
„Weitermachen.“
Ich drehte mich um und erblickte den Bademeister, der mich anlachte. Ich lachte zurück und setzte meine Beine wieder in Bewegung.
Ich beobachtete ihn. Kurze, blonde Haare, ein orangefarbenes T-Shirt, blaue Shorts und eine Sonnenbrille. Nicht schlecht. Ob er noch länger hier arbeitete?
Ich beobachtete ihn noch eine ganze Weile, rutschte an ihm vorbei, schwamm in seine Richtung und wieder weg, bis ich das Becken verließ und mich auf meinem Handtuch ausstreckte. Das Mineralwasser war inzwischen lauwarm. Ich starrte in den blauen Himmel. Keine Wolke zu sehen.
Ich hob meinen Kopf leicht. Da drüben war die Imbissbude. Schwimmbekleidete Leute holten sich Eis, Pommes und Würstchen – und sahen teilweise selber so aus wie Bratwürstchen. Wohl zu lange in der Sonne gewesen. Nicht, dass sie am Ende noch verbrannten. Ich wusste, wie sich das anfühlte.
Gerne wäre ich noch weiter im Schatten geblieben, aber langsam überkam mich der Wunsch nach etwas in den Magen und etwas Unterhaltung. Und so stand ich auf, kaufte mir ein Eis mit Schokoladenhülle und holte mein Handy aus dem Schließfach. Dann legte ich mich wieder hin.
Ich genoss den süßen Geschmack, der sich auf meiner Zunge breitmachte. Und es war nicht nur süß, es war auch kalt. Was half, mich vom Schwitzen abzuhalten.
Ich schaltete mein Handy wieder an. 3 neue Nachrichten. Ein Urlaubsfoto von meiner besten Freundin, ein verpasster Anruf von meiner Oma und eine Nachricht von Tim.
Na, was machst du an diesem schönen Tag?
Er wusste, was für ein Tag heute war. Hatte sich aber dafür entschieden, nichts direkt zu sagen. Sehr gut. Hatte ich mir ja auch verbeten.
Bin im Freibad und du?
Oh, da wäre ich ja gerne dabei, schrieb er postwendend zurück. Das glaubte ich ihm sofort.
Glaubst du, das wäre eine gute Idee?, schrieb ich.
Naja, du dürftest dich halt dann nicht wundern, wenn ich eine mega Erektion bekomme, lautete die nächste Nachricht in meinem Postfach.
Ich lachte auf. Das war wieder typisch für ihn. Siehste, genau das meinte ich, antwortete ich und legte mich wieder hin.
Ich musste zugeben, dass mein Leben ziemlich langweilig gewesen war, bis ich ihn kennen gelernt hatte. Klar, er war nicht der Erste gewesen, der an mir Interesse bekundet hatte, aber trotzdem tat es ziemlich gut. Außer wenn er es mal wieder zu weit trieb.
Gelegentlich hatte ich auch einfach das Gefühl, ihn nicht zu verstehen, nicht schlau aus ihm zu werden. Ich wusste manchmal nicht, ob ich es toll finden sollte oder nicht. So sehr mir die Anziehung gefiel, manchmal schreckte ich auch zurück. Liebe konnte ich von ihm jedenfalls nicht erwarten, das war mir klar. Manchmal fand ich das nicht schlimm. Manchmal dachte ich, warum schreibe ich mit jemandem, für den ich eh nur eine willkommene Ablenkung bin?
Ich seufzte und starrte in den blauen Himmel.
Wahrscheinlich hatte es damit zu tun, dass ich einfach nach Aufmerksamkeit gierte und mich darüber freute, wenn mich ein Kerl geil fand.
Ich reckte den Kopf, ich lächelte den Bademeister an, der lächelte zurück. Ich legte den Kopf wieder zurück.
Mein Handy vibrierte.
Schade, du würdest es nicht bereuen.
Ich flirtete gerne ein wenig. Und ab und zu gab es einen Kerl, der da nicht schreiend wegrannte. So wie Tim eben. Ich freute mich darüber, wenn ich eine positive Reaktion bekam. In meinem Kopf war ich immer noch das kleine, hässliche Mädchen, das keiner leiden konnte, schlecht im Sport war und eine Zahnspange trug. Furchtbar, das Ding…
Ich schüttelte mich kurz, stand auf, packte das Handy zurück ins Schließfach und sprang wieder ins Sportbecken.
Schwimmen war der einzige Sport auf der Welt, der mir gefiel und den ich einigermaßen beherrschte. In meiner Jugend war ich mal Basketballfan gewesen, aber da hatte ich mich auch eher aufs Gucken beschränkt. Mit einer Größe von einsfünfundsechzig konnte man aktiven Basketball auch eher vergessen. Meine beste Freundin hatte mich vor ein paar Jahren mal zum Lacrossetraining eingeladen. Auch toll zum Ansehen, aber mehr auch nicht. Und so verlagerte ich mich eben aufs Schwimmen. Freibad im Sommer, Hallenbad im Winter. Und wenn ich es mir leisten konnte, fuhr ich ans Meer.
Ich zog meine Bahnen durchs Becken und erblickte dabei am Horizont die Kirche. Wie gut, dass ich da nicht mehr reinmusste, das war ja früher das Sonntagsritual gewesen in meiner Familie. Seit ich da ausgezogen war, zwang mich keiner mehr dazu. Und keiner zwang mich dazu, was zu glauben.
Die Kirche war nicht das einzige Sonntagsritual in meiner Familie gewesen. Sonntagabends hatten wir immer alle zusammengegessen und „Die Fallers“ geguckt. Es war die Lieblingsserie meiner Oma. Das heißt, Vaters Mutter. Sie war zu uns ins Haus gekommen, nachdem Opa gestorben war, und sie bestand darauf, ihre Lieblingsserie zu gucken, jeden Sonntagabend. Und da sie kaum noch hören konnte, war der Fernseher immer extrem laut. So wusste jeder, der sich im Haus aufhielt, irgendwann zwangsläufig genau, was in der Serie jetzt wieder abging. Ob Caro Sonntag ihren Sohn mittlerweile dem Vater gezeigt hatte? Wollte Oma mir bestimmt erzählen, als sie mich vorhin angerufen hatte. Oder es hatte mit dem heutigen Tag zu tun. Wobei ich mir das verbeten hatte, aber so was hatte Oma noch nie interessiert.
Ich packte mein Zeugs wieder zusammen, zog mich wieder an und verließ das Schwimmbad. Auf dem Heimweg überlegte ich, was ich mit dem Rest des heutigen Tages anfing. Morgen musste ich wieder los. Ich seufzte laut. Das war ein weiterer Grund, warum ich Sonntage immer gehasst hatte. Immer schon die Schrecken des Montags im Nacken. Und ich musste noch das Seminar vorbereiten. Ich war morgen mit einem Referat dran, für das ich unbedingt noch ein Youtubevideo raussuchen musste. Ob es Youtube noch geben würde, wenn ich eines Tages wirklich mal in einer Klasse stand und Biounterricht gab? Ich wusste es nicht.
Zu Hause angekommen öffnete ich meinen Briefkasten. Außer einem Werbebrief von WWF war aber nichts drin. Wie langweilig. Ich ging in meine Wohnung und setzte mich auf mein beiges Sofa. Ich öffnete den WWF-Brief, der mich von der Wichtigkeit des Artenschutzes überzeugen wollte, der natürlich nur mit einer Spende an diese Organisation funktionieren würde. Dann legte ich ihn weg. Eine ganze Weile lang lauschte ich der Stille. Dann seufzte ich.
Ich öffnete den Laptop. Nützte ja alles nichts. Ich suchte in meinen Unterlagen nach dem Video über Evolution, das ich der Seminargruppe morgen im Referat präsentieren wollte. Hatte ich es nicht hier irgendwo in den Unterlagen abgespeichert? Ich suchte im Fotoordner nach dem Link. Irgendwann hatte ich mir mal den Tick mit dem Handy-Bildschirm-Abfotografieren angewöhnt. Hier war es nicht. Statt dem erwünschten schlechten Screenshot hatte ich nur ein Foto von der letzten Silvesterparty gefunden. Eine blaue Flamme.
Blaue Flamme? Silvesterparty? Was war das noch gleich?
Ach, richtig. Meine Freunde und ich hatten Feuerzangenbowle gemacht. Ich erinnerte mich dunkel daran, dass ich den Arm um Tim gelegt hatte und ihm halbbetrunken versucht hatte, zu erklären, dass unser Chemielehrer im Unterricht Feuerzangenbowle gemacht hatte und warum das nicht gut war. Man hätte den Karamellisierungsprozess ja auch anders erklären können oder so ähnlich, wollte ich ihm weismachen.
Ich schüttelte mich kurz und suchte weiter. Da vibrierte mein Handy.
Kommst du vorbei?
Ich muss unbedingt noch das Referat zu Ende vorbereiten, antwortete ich Tim. Nicht mitgeschriebener Untertitel: Glaubst du eigentlich, ich habe sonst nichts zu tun? Du bist nicht der wichtigste Mensch auf dem Planeten. Ich recherchierte weiter.
Mein Handy vibrierte.
Nanu, ein Foto?
Eine Weinflasche. Und darunter eine Nachricht.
Schade, ich hatte nicht vor, die allein zu trinken. ;D
Ich grinste, klappte meinen Laptop zu und zog mir ein schönes Kleid an. Dann fuhr ich los.

Hochzeitsforum

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Ich verfolge ja die Devise: Ich versuche, vieles zu wissen, und wenn ich etwas nicht weiß, suche ich mir jemanden, der es mir sagt. Als ich mich letztes Jahr dafür entschied, zu heiraten, wusste ich über vieles, wie ich es machen wollte, aber ich wusste nicht, wo man Einladungskarten herbekommt. Also suchte ich mir ein Hochzeitsforum im Internet und fragte da nach.

Nachdem ich die gewünschte hilfreiche Information bekommen hatte, postete ich noch zwei oder drei Beiträge – und dann gar nichts mehr. Warum, fragt ihr euch vielleicht. Ich sage es euch.

Im Wesentlichen hatte ich zwei Probleme. Das erste Problem ist gemeinhin als „Bridezilla“ bekannt. Die beste Freundin kommt zum Anprobe-Termin zwei Minuten zu spät, weil sie ein Real Life hat? Was für eine egoistische Zicke! Ein Stückchen Tüll ragt beim Kleid dahin, wo es nicht hinsollte? Bei welchem Saftladen habe ich denn mein Kleid gekauft?!? Und wenn auf der Torte ein Marzipanröschen zu viel prangt, ist die Hölle los.

Das zweite Problem ist der – ich fasse es jetzt mal so zusammen – Umgang mit den jeweiligen Partnern. Es ist in dem Forum grundsätzlich üblich, statt „Zukünftiger“ nur „Z“ zu schreiben. Es wirkt immer so, als wäre der Mann die zehn anderen Buchstaben nicht wert, zumal viele Userinnen (denn natürlich sind es nur Userinnen) offen zugeben, dass der Partner bei der Hochzeitsplanung nicht viel zu sagen hat. „Der hat ja nun mal keine Ahnung von Dekoration oder Musik!“ Der Höhepunkt war dann eine Frau, die mit ihrem Mann schon zwei Kinder hatte – eines davon war ein Säugling – und ihn bestürmte, noch ein drittes zu zeugen. „Ja, ich weiß, wir sind grad mit dem Winzling so beschäftigt, aber ich will doch so gern eine Prinzessin!“ Ich hoffe, der Mann merkt noch rechtzeitig, dass er die Prinzessin bereits im Haus hat, wenn ihr versteht, was ich meine.

Und dann gab es noch ein ganz komisches Erlebnis. Mein Mann hat einmal gesagt, dass manche Frauen nur um der Hochzeit willen heiraten wollen. Daran musste ich denken, als ich im Forum von einer Frau las, deren Mann ihr drei Wochen nach der Hochzeit gestand, dass er sie auf dem Junggesellenabschied im besoffenen Zustand mit einer Prostituierten betrogen hatte. Sie schrieb davon, wie sehr sie das verletzt hatte – um nahtlos von den Planungen der Flitterwochen zu berichten. Was sollte das denn bitte? Wenn mein Partner so was mit mir anstellt, dann denke ich doch nicht mehr daran, mit ihm in die Flitterwochen zu fahren. Oder ich gebe gleich offen zu, dass ich das Ganze nur gemacht habe, um mich einen Tag lang wie eine Königin zu fühlen. Versteht ihr das?

Mit ratlosen Grüßen

Die Kitschautorin

PS: Der eine oder andere fragt sich jetzt vielleicht, warum ich über so etwas Irrelevantes geschrieben habe. Ich komme aber einfach nicht damit klar, dass manche Frauen wegen Kleinigkeiten so austicken und ihre Partner so respektlos behandeln.

Geschützt: Ich konnte nicht widerstehen

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Bedeutungsschwanger, Teil 3

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Ich war wieder einigermaßen versöhnt und wir konnten normal weiteressen. Nach dem Dinner fuhren wir in die WG, um dort noch etwas Zeit zu verbringen. Zusammen schauten wir ein paar Folgen meiner Lieblingsserie auf DVD und machten es uns in meinem Bett gemütlich. Zumindest so lange, bis das Telefon klingelte.
„Gehst du mal, ich kann grad nicht!“, brüllte Anna von irgendwoher. Ich entsprach also ihrem Wunsch und stand murrend vom Bett auf. Dann drückte ich den grünen Hörer.
„Lehmann?“
„Oh, äh, hi, Sara, Kati hier“, meldete sich eine meiner anderen Freundinnen zu Wort. „Sag mal, ist Anna grade da?“
„Die kann grad nicht ans Telefon, soll ich ihr irgendwas ausrichten?“, fragte ich sie.
„Oh, äh, nein, äh, weißt du, sag ihr einfach, dass ich angerufen hab, okay? Bye!“ Und ehe ich sie fragen konnte, wie es ihr ging und was sie heute so unternommen hatte, hatte Kati aufgelegt.
„Was sollte das denn?“, wendete ich mich verdutzt an Anna, die mittlerweile mit einem Handtuchturban um den Kopf im Türrahmen des Badezimmers stand. „Bevor ich irgendwie ein Gespräch beginnen konnte, hat sie einfach aufgelegt.“
„Wer war das denn?“
„Kati. Und ich soll dir sagen, dass sie angerufen hat.“ Ich verzog das Gesicht. „Erledigt.“
„Was, sie hat angerufen? Das ist ja unglaublich!“, quietschte Anna und hüpfte dabei so doll auf und ab, dass ihr Turban einzufallen drohte, und sie stürzte auf mich zu und umarmte mich. In diesem Moment ging die Wohnungstür auf und Aurélie kam rein. Noch während sie versuchte, ihre Tasche abzusetzen, wurde auch sie von Anna angefallen, die daraufhin juchzend in ihr Zimmer lief.
„Was ist denn mit der los?“, wunderte sich Aurélie.
„Keine Ahnung“, antwortete ich und ging zurück in mein Zimmer.

Lukas und ich blieben nicht besonders lange auf, da ich am nächsten Morgen zum Arbeiten im Studentencafé eingeteilt war. Es gibt Tage, da muss ich mich richtiggehend zur Arbeit hinschleppen. Die Sonne versteckt sich hinter Regenwolken, die ihren gesamten Inhalt auf die Erde regnen, ich fühle mich müde und krank, kann aber auch nicht einfach zu Hause bleiben. So ein Tag war das nicht. Im Gegenteil, die Sonne schien kräftig, es war Juni. Draußen liefen alle im T-Shirt rum, die Mädels trugen Röcke und Sommerkleider und es war keine einzige Wolke am Himmel zu sehen. Nur allerschönstes Blau. Das Arbeiten an sich war auch sehr angenehm, da aufgrund der Semesterferien nicht so viele Gäste kamen. Alle waren gut drauf, ich fertigte Kaffee, Latte macchiatos und Säfte an und unterhielt mich nebenbei mit den Bestellern dieser Getränke.
Irgendwann betrat auch Kati den Laden. Ich hörte sie zunächst nur, da ich mich gerade zum Schrank herunterbeugte, um eine Saftflasche herauszuholen. Als ich schließlich wieder normal stand, konnte ich sehen, dass sie sich heute wieder besonders herausgeputzt hatte. Gut, das war für Kati jetzt nicht weiter ungewöhnlich.
„Na, was möchtest du bestellen?“
„Gleich, ich muss dir unbedingt was erzählen! Ich hab heute Abend ein Date! Oh, ich hoffe so, dass es klappt.“
„Echt? Wer ist denn der Glückliche?“
„Die Glückliche!“, verbesserte mich Kati. „Wird nicht verraten!“ Sie zwinkerte mir zu.
„Wendeste dich jetzt also wieder den Frauen zu? Aber wieso willst du mir nicht erzählen, wen du triffst?“, wollte ich wissen.
„Naja, nach meiner letzten Enttäuschung will ich sichergehen, dass es diesmal auch wirklich klappt“, gab Kati zu. „Ich hätte übrigens gerne ein Mineralwasser.“
„Kriegst du.“ Ich holte ein Glas aus dem Regal. „Und, wie geht’s dir so?“, erkundigte sich Kati.
„Och, ganz gut. Ich war gestern mit Lukas essen. Da hat er mir erzählt, dass seine Band eine neue BASSISTIN hat.“
„Wieso betonst du das Wort so?“
„Es ist seine Exfreundin.“
„Ist das so schlimm?“
„Ach, ich hab keine Ahnung, ich werd einfach mal bei ‘ner Probe zugucken.“ Ich stellte Kati ihr Mineralwasser hin.
„Danke. Wie geht’s eigentlich deinen Freunden?“
„Ganz okay. Ich glaube allerdings, Anna dreht zur Zeit durch.“
„Wieso das denn?“ Kati zeigte sich auf einmal höchst alarmiert. Auf ihrem Hocker saß sie kerzengerade.
„Naja“, sagte ich, „sie hat ihren ganzen Style verändert. Sie hübscht sich auf, trägt sogar neuerdings Kontaktlinsen. Erzählt mir, dass sie Dates hat und als du gestern angerufen hast, ist sie total ausgeflippt vor Freude.“
Jetzt war es an ihr, vor Freude loszuquietschen. „Wirklich?“
„Moment mal…“ In diesem Augenblick setzte vor meinem inneren Auge eine Diashow mit Bildern der letzten Stunden ein. Anna im rosafarbenen, ärmellosen Kleid. Anna, wie sie mit dem Telefon im Zimmer verschwand. Anna, wie sie durch ihr freudiges Herumhüpfen fast ihren Handtuchturban zum Einsturz gebracht hätte. Kati am Telefon. Und eine andere Szene.
‚Ich freu mich schon so auf sie! Äh, ich meine, auf die Person.‘
Mir blieb der Mund offen stehen. „Moment mal, willst du mir etwa sagen, dass du und Anna…?“
„Na toll, jetzt hast du’s doch rausgekriegt“, murmelte Kati. Ihr Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden.
„Wieso? Das ist doch toll! Ich freue mich für euch. Ich drück euch die Daumen, dass alles klappt. Sie scheint ja auch Gefühle für dich zu haben.“ Ich zwinkerte Kati zu.
„Oh, meinst du wirklich? Boah, ich hoffe so, dass das klappt. Noch so einen Komplett-Reinfall wie Hannes will ich nicht noch mal erleben. So, ich glaube, ich muss jetzt los.“ Sie bezahlte ihr Mineralwasser. „Ich treffe sie nämlich gleich noch mal – und ich wollte vorher noch zum Frisör! Bis dann, drück mir die Daumen!“
„Na klar.“
Nachdem sie mir noch einen Schmatzer auf die Wange gedrückt hatte, war sie weg.

Auf dem Weg nach Hause dachte ich über die beiden nach. Würde es mit ihnen wohl funktionieren? Ich hatte sie als ziemlich unterschiedliche Menschen kennen gelernt, aber vielleicht zog sie ja gerade das so an. Anna hatte ja noch nie eine Beziehung gehabt, aus welchem Grund auch immer. Sie hatte schon zweiundzwanzig Jahre nach dem Mann fürs Leben gesucht – aber erst mit einer Frau schien es etwas zu werden. Kati hatte ja, wie uns allen bekannt war, schon mehrere Liebesbeziehungen gehabt, und die waren nicht alle gut verlaufen. Nach dem Idioten von Hannes gönnte ich ihr eine neue Beziehung von Herzen.
Zu Hause wurde ich von Lukas empfangen, der den Tag mit ein bisschen Gitarrespielen und Fernsehen verbracht hatte. Jetzt kochte er mir zum Mittag mein Lieblingsessen – Spaghetti Napoli. Ich küsste ihn auf den Mund. „Hey, du schmeckst nach Nudelsoße.“
„Ja, das Essen ist auch schon fast fertig. Und, wie geht’s dir so? Wie hast du den Tag erlebt?“
„Oh Mann, die Welt ändert sich so schnell“, antwortete ich, noch halb in Gedanken woanders.
„Wieso, was ist denn los?“
Ich schloss die Tür. „Ich weiß jetzt, warum Anna sich in letzter Zeit so merkwürdig verhält. Sie ist verknallt. Und zwar in Kati!“
„Ja, und?“ Lukas zeigte sich nicht besonders überrascht. „Das hab ich mir schon gedacht.“
„Ja, aber Kati will auch was von ihr!“
„Das ist ja toll. Hoffen wir mal für die beiden, dass das klappt. Übrigens, der Termin für die erste Bandprobe steht fest. Wir treffen uns übermorgen im Probenraum. Willst du mitkommen?“
Schlagartig schraubte mein Herz seine Frequenz nach oben. „Oh, äh, auf jeden Fall? Sind denn… alle dabei?“
„Ja, klar. Ich bin wirklich gespannt, wie die erste Probe mit Kiki läuft.“ Er lächelte mich an.
„Ich auch“, murmelte ich.
„Was?“
„Ach, nichts. – Wann sind die Nudeln fertig?“
„Hier, ich glaube, sie sind schon fertig…“ Er hielt mir eine Nudel zum Probieren hin. Als ich mein OK gegeben hatte, goss er sie ab und in einen Teller, samt der dazugehörigen Soße. Ziemlich hungrig begann ich sofort zu essen.

Bedeutungsschwanger, Teil 1

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Vor einigen Jahren begann ich eine Reihe über eine junge Frau namens Sara und stellte die entstandenen Teile auf neon.de hoch. Da ich den Account vor einiger Zeit gelöscht habe, wird die Geschichte nach und nach hier zu lesen sein. “Bedeutungsschwanger” ist der vierte Teil der Reihe. Viel Spaß beim Lesen.

Allons, enfants de la patrie,
le jour de la gloire est arrivé!
Contre nous de la tyrannie,
l’étendard sanglant est levé!
Wie oft wacht man morgens auf und hat das Bedürfnis, jemandem ein Kissen oder sonst irgendetwas an den Kopf zu schmeißen? Ich hatte es in den drei Tagen, die ich hier wohnte… nun ja, schon drei Mal gehabt. Und das, obwohl es Hochsommer war und wir alle keine Vorlesungen hatten. Aber Aurélie musste ja unbedingt ein Praktikum ableisten. Und deswegen wurde ich jetzt jeden Morgen mit der französischen Nationalhymne geweckt.
Meine Uroma wurde, soweit ich wusste, in Königsberg geboren. Trotzdem brüllte ich nicht jeden Morgen meinen guten Freundinnen um die Ohren, dass Russland unser geheiligtes und geliebtes Land sei.
Nachdem ich es im Studentenwohnheim nicht mehr ausgehalten hatte, dachte ich, es wäre eine gute Idee, zu Anna und Aurélie zu ziehen. Tja, falsch gedacht, konnte man da nur sagen. Wie viele Strophen hatte die Marseillaise eigentlich? Das war ja nicht auszuhalten!
„Mann, ey!“, rief ich laut und genervt und quälte mich in meiner Nachtkleidung aus dem Bett. Die bestand aus einem mir viel zu großen Männer-T-Shirt und einem weißen, eng sitzenden Slip. Nein, das T-Shirt gehörte nicht mir, sondern meinem Freund Lukas. Heute Abend wollten wir zusammen ausgehen – aber so, wie es grad aussah, würde das wohl nichts werden. Vor lauter Müdigkeit würde ich ihm wohl auf dem Hinweg vom Roller sacken. Musste Aurélie mich wirklich in aller Herrgottsfrühe wecken? Ich riss die Zimmertür auf und wankte in die Küche.
Dort wurde ich von einer arbeitenden Kaffeemaschine und meiner anderen guten Freundin begrüßt. Anna schien mindestens genauso verschlafen zu sein wie ich. Deswegen auch der Kaffee. „Morgen“, gähnte sie und streckte ihre Arme so weit aus, dass sie ihre Faust fast gegen das Fenster gehauen hätte.
„Boah, das ist ja echt nicht auszuhalten“, stöhnte ich und holte Milch und Kakaopulver aus dem Kühlschrank. „Hat sie das immer schon gemacht?“
„Eigentlich schon“, antwortete Anna. „Die ist so stolz auf ihre Wurzeln… wenn sie wenigstens singen könnte.“
In dem Moment drang ein besonders schiefer Ton in unsere Ohren. Ungefähr eine halbe Minute später stand Aurélie im Bademantel und mit Handtuchturban im Türrahmen. „Guten Morgen! Habt ihr auch so toll geschlafen wie ich?“
Mit den Blicken, die wir ihr darauf zuwarfen, hätte man sie töten können.

Am Nachmittag fuhr ich in mein angestammtes Zuhause, was wahrscheinlich neunzig Prozent aller Studenten, die nicht mehr bei ihren Eltern wohnten, regelmäßig taten. Es gab Leute aus meinem alten Abijahrgang, die dafür ein paar hundert Kilometer Fahrt auf sich nehmen mussten. Aus Berlin, München, Braunschweig mussten sie anreisen. Ich hingegen nahm nur eine knappe Stunde Fahrt auf mich.
Zu Hause war zur Zeit richtig viel los. Meine Schwester Lea war inzwischen hochschwanger und würde Anfang nächsten Monats wahrscheinlich entbinden. Es musste wahnwitzig viel Babyzeug eingekauft und Leas altes Zimmer umgestaltet werden. Gero sollte in Zukunft auch bei uns im Haus wohnen – und bald würde auch noch ein ganz neuer Erdenbürger dazukommen.
Klar, dass da so einiges abging. Beim Essen wurde es jedenfalls, das kann ich ganz sicher sagen, nicht langweilig.
Als ich ankam, war es schon fast fertig. Wie ich schon an der Tür riechen konnte, hatte Oma diesmal gekocht. Deswegen öffnete auch nicht sie mir die Tür, sondern Lea mit ihrem dicken Bauch. „Hallo, Schwesterchen!“, begrüßte sie mich und versuchte, mich zu umarmen, was nur bedingt klappte. „Es gibt gleich Essen.“
In der Küche saßen bereits Gero und meine Eltern. Ich ließ mich auf einem der drei übrigen Stühle nieder. „Wo ist denn Paul?“, fragte ich.
„Gute Frage“, entgegnete Mama. „Er wollte eigentlich zum Mittagessen von seinem Freund zurück sein.“ Sie sah auf die Uhr. „Also, so langsam…“
Oma hatte das Essen fertig gekocht und stellte die Töpfe nach und nach auf den Tisch. „Das passiert ihm in letzter Zeit immer häufiger. Ständig kommt er zu spät!“
„Na, wie geht denn der Umbau voran?“, erkundigte ich mich bei Lea und Gero und nahm einen Löffel von meiner Suppe.
„Ach, hör mir doch auf!“, brummte Lea, verdrehte die Augen und füllte sich nun ihrerseits den Mund mit Essen. „Wir wären bestimmt schon fertig, wenn es nicht gewisse Leute gäbe, die Entscheidungen immer wieder verzögern würden.“ Sie funkelte Gero böse an. „Was denn?“, rief der Angesprochene. „Ich finde es nun einmal total überholt, solche blöden Klischeefarben für Kinderzimmer zu benutzen. Du kannst doch nicht ernsthaft verlangen, dass das Babyzimmer rosa gestrichen wird!“
„Wieso nicht?“, entgegnete Lea. „Ich finde das total schön. Und unser Kind sicher auch.“
„Das wird eher gegen die Tapete reihern“, brummte er und zog die Augenbrauen hoch.
„Gero!“, entfuhr es mehreren Leuten am Tisch. „Jetzt regt euch doch nicht so auf! Was ist denn so falsch an Rosa? Zur Not könnt ihr die Wände ja abwechselnd streichen.“ Wie üblich versuchte meine Mutter, die Gemüter zu beruhigen. Dies schaffte sie zunächst auch, aber der Erfolg war nur von kurzer Dauer, da meine Großmutter irgendwann das Wort ergriff.
Sie war jemand mit sehr traditionellen Wertvorstellungen. In einer Zeit groß geworden, als Männer ihren Frauen noch verbieten konnten, zu arbeiten, und über ihr Vermögen verfügen durften. In einem Dorf aufgewachsen, in dem man selbstverständlich katholisch zu sein und vor jeglichen auf Kinder hinauslaufenden Aktivitäten erst zu heiraten hatte. Dass Lea so urplötzlich schwanger geworden war, war eine Katastrophe für sie – und das erklärte auch, was sie jetzt sagte:
„Habt ihr eigentlich schon über einen Termin für die Hochzeit nachgedacht?“ Ihre Stimme klang ganz normal.
Lea und Gero hoben allerdings ihre Köpfe und sahen sich an. Man sah förmlich in ihren Gesichtern, dass das Wort „Hochzeit“ noch nie Eingang in ihre Gedanken gefunden hatte. Dementsprechend echoten sie: „Für die Hochzeit?“
„Ja, natürlich! Jetzt, wo ihr ein Kind erwartet, müsst ihr doch heiraten!“
„Was hat denn das bitte damit zu tun?“, fragte Lea. „Heiraten ist doch heutzutage total überholt. Ein Relikt aus einer total anderen Zeit!“
„Es ist überhaupt nicht überholt! Es ist richtig und notwendig, dass ihr heiratet. Eure Beziehung soll doch Hand und Fuß haben! Und überhaupt, was sollen denn die Leute denken?“
Ein Satz, bei dem Lea – wie auch ich übrigens – traditionell ausflippten. Meine Schwester echauffierte sich: „Wenn Gero mich verlassen will, ist es egal, ob wir verheiratet sind oder nicht. Und es ist mir scheißegal, was die Leute denken!“
„Lea!“, entfuhr es meiner Mutter ob des Schimpfwortes.
„Ich halte doch nicht an irgendwelchen vertrockneten Wertvorstellungen von irgendwem fest“, fuhr Lea fort. „Und wenn wir uns wirklich lieben, brauchen wir nicht unbedingt verheiratet zu sein!“
„Ihr tut ja so, als hättet ihr die Weisheit mit Löffeln gefressen! Absicherung ist euch wohl gar nichts wert?“, rief meine Oma. Woraufhin Lea stöhnte und Gero noch weiter auf seinem Stuhl in sich zusammensank. Der Arme. Er sagte auch nichts, obwohl er zweifellos dieselbe Meinung wie Lea hatte.
„Ich muss dir wirklich sagen, dass –“, setzte meine Schwester zu einer erneuten Verteidigungsrede an, wurde aber genau in diesem Moment von der Türklingel unterbrochen. „Oh, wer könnte das denn sein?“, fragte sich meine Mutter. „Ich mach mal auf.“
Ich hörte, wie die Tür aufging und Mama ein „Hey, Mama, sorry, dass ich zu spät bin“ entgegenkam. Es wurden Schuhe abgestreift und dann stand er in der Tür, mein Bruder.
Er sah aus wie die nervigen Halbwüchsigen, die morgens immer lautstark Handymusik durch die Straßenbahn jagten. Auf dem Kopf trug er ein dunkelblaues Cap, am Körper eine viel zu große Sweatjacke und eine Hose, die so weit war, dass sie eigentlich auf dem Boden hätte hängen müssen. „Hi, Leute!“ Jetzt klingelte auch noch sein Handy. Und natürlich war es einer von den Tönen, die ich in der Bahn immer vermeiden wollte. „Hey, Alter… ne, ich kann grad nicht… ja, ruf mal gleich zurück… ja, ciao, Mann.“ Er legte auf und steckte das Handy zurück in seine Tasche.
„Wo kommst du denn so spät her? Wir hatten ausgemacht, dass du pünktlich zum Essen kommst“, regte sich Mama auf. „Und wer hat dir überhaupt erlaubt, Klingeltöne auf dein Handy herunterzuladen?“
„Mann, stress nich‘!“, meckerte Paul und wollte sich an den Tisch setzen, doch bevor er das tun konnte, wurde er von Oma aufgehalten.
„Junger Mann“, sagte sie, „sprich nicht so mit deiner Mutter! Auch du hast gewisse Regeln einzuhalten.“
„Oh Mann, auf das Gemecker hab ich keinen Bock“, brummte mein kleiner Bruder, schnappte sich den bereits vorbereiteten Teller mit Suppe und verzog sich.
Meine Mutter guckte ratlos alle im Raum Anwesenden an, zuletzt mich. „Herzlichen Glückwunsch, Mutter, dein Sohn ist in der Pubertät“, bemerkte ich, klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter und ging ebenfalls.

Noch’n Fragebogen

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Ich habe zwar neulich erst einen veröffentlicht, aber da fehlten mir einige Fragen, also beantworte ich jetzt einen neuen, den ich bei Sibel (http://www.rock-rendezvous.de/?p=14937) gesehen habe:

1. Welcher ist dein liebster Held / Lieblingsprotagonist?

Lionel Logue aus “The King’s speech”. (Ich wurde gefragt, warum. Antwort: Weil er Georg VI. ein unheimlich guter Freund ist und dieser dank ihm eine unglaublich gute Rede halten kann.)

2. Wer ist deine liebste Heldin / Lieblingsprotagonistin?

Shoshanna Dreyfus aus “Inglourious basterds”. (Auch hier wurde ich gefragt, warum. Antwort: Weil sie Nazis töten will, yay! Außerdem sieht sie einfach wunderschön aus… *_*)

3. In welchen Charakter hast du dich sofort verliebt?

Batman, gespielt von Christian Bale… *_*

4. Mit wem aus der Buchwelt könntest du Pferde stehlen?

Puh, das wird schwierig… aber vermutlich passt Anne-Pauline aus “Stern oder Schnuppe” ganz gut.

5. Welches ist dein liebstes Paar?

Tim und Jill aus “Hör mal, wer da hämmert”.

6. Mit welchem Paar könntest du dich so gar nicht anfreunden?

Al und Ilene, siehe Frage 5.

7. Wer ist dein liebster Nebencharakter?

*denkt lange nach* Der erste Oscar für Christoph Waltz war echt verdient (Hans Landa aus “Inglourious basterds”).

8. Wen kürst du zum fiesesten Antagonisten?

Calvin Candie aus “Django unchained” war schon verdammt fies.

9. Wem würdest du gerne einmal gehörig die Meinung sagen?

Namenloser Ich-Erzähler aus “Soloalbum”: Du bist ein dummer, eingebildeter Idiot und hast deine Katharina völlig zu Recht verloren! Du dummer, eingebildeter Idiot! Gnaaaar!

10. War für dich schon einmal der Antagonist der eigentliche Held?

Nie.

Mit freundlichen Grüßen

Die Kitschautorin

Krümelmonster, Teil 22

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Noch lange saßen wir da und unterhielten uns über Gott und die Welt. Am nächsten Tag ging ich glücklich, aber müde durchs Leben und erledigte nach und nach alles, um das ich mich zu kümmern hatte. Zwischen Uni, Freundeskreis und schwangerer Schwester war das zum Beispiel die Besorgung der Weihnachtsgeschenke.

Seit zwei Wochen hingen die Lichterketten nun schon an den Kaufhäusern und in den Straßen. Wie viele Leute in der Zeit wohl schon alles für ihre Lieben besorgt hatten? Die Menschenmassen nahmen, während ich Stück für Stück die Geschenkeliste abarbeitete, jedenfalls kein Ende und das, obwohl ich mir eine relativ späte Zeit zum Weihnachtsshoppen ausgesucht hatte. Na ja, ich war nicht eher dazu gekommen.

Und so zog sich alles ziemlich lange hin, obwohl ich ganz genau wusste, was ich meinen Lieben kaufen wollte. Paul sollte ein Hot-Wheels-Auto bekommen, meine Mutter ein Buch von Dora Heldt. Papa wollte ich ein gerahmtes Bild schenken und Oma ein paar Malfarben. Anna würde sich hoffentlich über den Comicband freuen, den ich für sie ausgesucht hatte, und Aurélie würde an Weihnachten eine Schneekugel mit dem Eiffelturm unter der Tanne finden. Die werdenden Eltern bekamen von mir ein paar Babysachen, Strampler und so etwas, natürlich in neutralen Farben. Ich wusste ja das Geschlecht noch nicht.

Für all das brauchte ich eine halbe Ewigkeit. Als ich mich zum letzten Mal an der Kasse anstellte, rief plötzlich jemand von irgendwoher ganz laut: „Sara!!!“

Genervt drehte ich mich um. „Was ist denn?“

Es war Kati. Wieso traf ich Leute eigentlich immer zum falschen Zeitpunkt? Irgendwie wollte ich sie gerade nicht sehen. Nervös betrachtete ich die Schlange vor mir.

„Hi, Kati“, begrüßte ich sie wenig begeistert. „Auch Weihnachtsgeschenke kaufen?“

„Ja“, erwiderte sie. „Ich hab eigentlich schon alle… nur das für meinen Vater, das ist jedes Jahr eine neue Herausforderung.“ Sie hatte mit mir über ihren Vater gesprochen. Ich wusste noch ziemlich genau, was sie gesagt hatte, und nickte verständnisvoll.

„Also, was ich dir noch sagen wollte…“, setzte sie an, nachdem wir uns eine Weile angeschwiegen hatten, während wir so halb in der Kassenschlange standen. Nanu? Was wollte sie mir sagen?

„Also, ich kann… konnte dich ja überhaupt nicht leiden. Aber es war schon ziemlich witzig, wie wir uns an Hannes gerächt haben. Das hat mir unheimlich gut getan.“

„Ja, das war ziemlich gut“, musste ich zugeben, obwohl ich auch nicht so viel von ihr hielt.

„Und ich wollte dir sagen, dass es mir Leid tut, dass ich einfach in dein Zimmer gegangen bin und deine CD kaputt gemacht hab. Du hast ja eigentlich überhaupt nichts gemacht. Der wahre Übeltäter ist Hannes und an dem haben wir uns jetzt gerächt. Also… tut mir Leid.“

„Ach was“, winkte ich ab. „Ist doch Ehrensache.“

„Und ich hab noch was für dich“, rief sie und kramte in ihrer Handtasche herum.

„Wie… du für mich?“

Nach einer Weile hatte sie ein kleines, in Silberpapier eingewickeltes Teil hervorgekramt und drückte es mir in die Hand.

„Na, mach es schon auf! Ist für dich“, ermutigte Kati mich. Ungläubig riss ich das Silberpapier und die rote Schleife, die noch drumherum gewesen war, ab und zum Vorschein kam… die CD mit den französischen Liedern. Mit zwei Songs, die ich noch überhaupt nicht kannte. Und was am Wichtigsten war: Auf dem Cover hatten die drei Bandmitglieder unterschrieben! Ich konnte es nicht fassen. „Wie… die ist für mich? Aber wie konntest du sie so schnell… und warum ist die signiert?“

„Tja, manchmal hat Reich-Sein eben auch so seine Vorteile. Viel Spaß damit!“ Sie lächelte mich an und ging.

„Aber das wäre doch nicht nötig gewesen!“, rief ich ihr hinterher. Sie drehte sich noch um und rief: „Die hast du verdient!“ Und weg war sie.

Ich konnte es nicht glauben. Ich registrierte gar nicht, dass ich von einigen Leuten in der Schlange überholt wurde, und statt den verlangten sechzig Euro drückte ich der Kassiererin sechzehn Euro in die Hand, so durcheinander war ich.

Diese ganze vorweihnachtliche Episode brachte mich noch mehr zum Nachdenken. Wahrscheinlich war Kati doch nicht so ein schlechter Mensch, wie ich nach über vierzehn Jahren schlechten Erfahrungen mit ihr gedacht hatte. Trotz all dem Haare-Ziehen und Angeben. Und genau dies bewog mich, mich mit ihr nach der Uni mit ihr auf einen Kaffee zu treffen.

Als ich kam, saß sie bereits an einem Tisch am Fenster. Ihr Haar trug sie wie gewöhnlich mit einer Haarspange nach hinten geklemmt, in ihren Ohren steckten Perlenstecker und ihren Körper bedeckte ein dunkelblauer (marineblauer?) Pullover. Wenn man sie so sah, konnte man eigentlich denken, sie studiere BWL und nicht Pädagogik.

„Na, wie geht’s dir?“, begrüßte sie mich.

„Körperlich oder seelisch?“, fragte ich zurück. Doch wir wurden unterbrochen vom Kellner, der unsere Bestellungen aufnehmen wollte. Kati nahm Latte Macchiato, ich einen Orangensaft. „Ich will ja nicht so enden wie letzte Woche“, erklärte ich es Kati.

„Wie, was ist dir denn da passiert?“, fragte sie.

„Ach, bei dem ganzen Stress hab ich vergessen, was zu trinken. Das war letzten Samstag“, erzählte ich. „Da hat mich dann meine Schwester besucht, und schwupps! bin ich ihr vor die Füße gekippt –“

„Ach ja, richtig, das hab ich mitgekriegt“, rief Kati sogleich.

„Echt? Wie jetzt? Auf jeden Fall hat Hannes mich dann wiederbelebt –“

„So weit ist es also schon gekommen? Dieser gottverdammte Lügner!“

„Wieso bin ich ein Lügner? Dieser Latte macchiato ist wirklich der beste in der ganzen Stadt!“, schaltete sich der Kellner ein, der uns gerade die Getränke brachte. „Nein, ich hab nicht Sie gemeint, keine Sorge!“, beruhigte Kati ihn und machte sich sofort ans Schlürfen. „Na, dann bin ich ja beruhigt“, erwiderte der Kellner und ging davon.

Verwirrt fragte ich: „Wer ist ein Lügner?“

Schlürf.

„Kati, wer ist ein Lügner?“, wiederholte ich meine Frage.

Schlürf. Keine Reaktion.

„Kati, verdammt noch mal, was ist hier los?“

Die Angesprochene zuckte zusammen und hätte hierbei fast ihr Glas umgestoßen. „Ich wollte es dir eigentlich nicht sagen, aber…“ So, als hätte sie mir ein äußerst vertrauliches Geheimnis zu erzählen, sah sie sich erst nach beiden Seiten um und rückte dann bis auf fünf Zentimeter an mein linkes Ohr heran, um zu sagen: „Ich habe alles gesehen.“

„Wie, du hast alles gesehen?“

„Ich hab gesehen, wie du umgekippt bist, ich hab gesehen, wie Hannes behauptete, dich wiederbelebt zu haben und auch, wie er dich in sein Zimmer geschleppt hat, um dir all das romantische Zeug zu erzählen. Der wollte dich nur bei der Stange halten!“

„Moment mal, was meinst du damit?“

„Dass Hannes dir nur was vorgespielt hat, damit du dich nicht völlig von ihm abwendest. Erinnerst du dich daran, wie nach dem Aufwachen der andere Typ, der dabei war, zu dir gesagt hast, dass du Flüssigkeit brauchst?“

„Dunkel…“

„Der hat dich in Wahrheit wiederbelebt. Das war gar nicht Hannes. Der würde so was auch nie im Leben hinkriegen.“

Ich fühlte mich voll verarscht. Ich konnte gar nicht glauben, dass er es nicht gewesen sein sollte. Konnte ich Katis Version wirklich Glauben schenken?

„Das… ist doch alles gar nicht wahr“, stammelte ich. „Das erzählst du doch alles nur…“ Ich zeigte mit dem Finger auf sie. „Und am Ende krallst du dir Hannes!“

„Was soll das eigentlich?“, erregte sich Kati. „Da erzähle ich dir einmal im Leben die Wahrheit und dann kriege ich so was zu hören. Glaub doch, was du willst! Ich hab’s nicht nötig!“

„Nein, so hab ich das gar nicht gemeint. Aber… wieso hast du alles beobachtet?“

„Ich hatte ihn an dem Abend noch mal besucht. Ich bin dann kurz Richtung Toilette gegangen… und dann hörte ich nur einmal kurz deine Stimme und dann hab ich halt alles gesehen. Und ich wollte unbedingt wissen, was Hannes mit dir macht… da hast du schon Recht. Er ist so ein Arschloch!“ Traurig guckte Kati auf den Boden.

„Natürlich ist er das!“ Wütend guckten wir an die Decke. „Boah, ich bekomme glatt Lust, mich noch mal an ihm zu rächen!“, schnaubte sie. „Nein, das haben wir doch schon!“, antwortete ich. „Das brauchen wir nicht, denke ich.“

Eine Weile schwiegen wir beide. Nachdenklich starrte ich in meinen Orangensaft, den ich immer noch nicht angerührt hatte. Du brauchst Flüssigkeit.

„Der andere Typ hat mich also wiederbelebt?“, fragte ich schließlich. Kati nickte und guckte dabei genauso drein wie ich.

„Wer war das eigentlich?“

„Ach, das war Lukas. Ein alter Freund von Hannes. Hat nach dem Abi ‘ne Ausbildung zum Krankenpfleger gemacht und studiert jetzt Medizin.“

„Lukas…“

„Ja, so heißt er.“

„Krankenpfleger? Und Medizinstudent? Deswegen konnte er mich wiederbeleben… Und er hat sofort gewusst, was mir fehlt.“ Ich trank mein Glas in einem Zug aus.

„Also, danke, dass du mir das gesagt hast“, sagte ich zerstreut. „Ich gehe mal kurz auf die Toilette.“

Dort saß ich dann und seufzte so laut, dass ich damit die Pieselgeräusche überdeckte. Ständig änderte sich mein Leben und ich kam kaum hinterher. Es war so, als hätte sich jemand oben im Himmel den magischen Stift zum Drehbuch meines Lebens geschnappt und würde die abenteuerlichsten Wendungen und Schnitte einbauen. Wahrscheinlich sollte ich mir den Stift zurückholen. Wieso dachte ich über so etwas eigentlich auf der Toilette nach?

Beim Händewaschen fiel mir etwas auf, das sich im Spiegel spiegelte. Ich drehte mich mal kurz um. So erfuhr ich, dass meine Uni in knapp zwei Wochen einen Weihnachts- beziehungsweise Adventsball anbot. Das an der Wand hängende Plakat versprach für einen Eintrittspreis von fünfzehn Euro pro Studinase „vorweihnachtlichen Glamour und die besten Cocktails der ganzen Stadt“ (was für eine inflationär gebrauchte Floskel). Stattfinden sollte das Ganze in der Uni und es wurde eine Band angekündigt.

Wer von den Verantwortlichen hatte eigentlich die bescheuerte Idee, so etwas im Winter zu veranstalten, wo doch klar war, dass bei dem Wetter Abendkleider zu tragen lauter Erkältungen auslösen würde?

Dies sagte ich auch Kati, als ich wieder da war. „Tja, dann sind die Hörsäle wenigstens nicht mehr so voll, weil alle Mädchen zu Haus bleiben“, lachte sie. „Aber wo hast du denn das mit dem Ball gesehen?“

„Auf dem Klo. Es gibt Cocktails und es spielt ‘ne Band.“

„Echt? Welche denn?“

„Keine Ahnung. Irgendwas mit Students, ich hab mir den Namen nicht gemerkt.“

„Ah, Lukas spielt in einer Band, die so heißt. Die sind ziemlich gut.“ Kati wischte sich über die Nase. „Na ja, ich muss gleich nach Hause, ich will noch für die Pädagogik-Prüfung lernen.“

„Ja, ich sollte wahrscheinlich auch mal wieder lernen“, gab ich zu. „Hab in letzter Zeit ziemlich wenig gemacht.“

Wir bezahlten und fuhren nach Hause. An der Tür zu Flur 2 trennten sich unsere Wege.

„Hättest du denn Lust, zum Weihnachtsball zu gehen?“, fragte Kati.

„Keine Ahnung, muss mal schauen. Ich meld mich bei dir, okay?“
Wir verabschiedeten uns und ich ging in mein Zimmer, um mich mit den Vorlesungsmitschriften und einer heißen Tasse Kakao ins Bett zu legen.

Krümelmonster, Teil 21

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Ich fühlte mich ganz verändert. Ich lief durch die Welt wie auf Zehenspitzen, ein bisschen, als schwebte ich über dem Boden.Vielleicht würde ich bald bereuen, was Kati und ich da gestern gemacht hatten. Vielleicht würde ich mich dann zum Teufel dafür wünschen, was ich da einfach unternommen hatte, es als kindlich und unüberlegt betrachten. Ich hatte ja nicht bedacht, dass Hannes, genauso wie Kati es nun schon mehrmals getan hatte, Rache nehmen und mir damit schaden könnte. War das alles wirklich richtig gewesen? In dem Moment wusste ich nur, dass es für mich richtig gewesen war, da ich mich jetzt viel besser fühlte und mit der Geschichte quasi abgeschlossen hatte. Erstaunlich eigentlich.

Mit Kopfhörern in den Ohren hatte ich meine Beine wie üblich gegen den Tisch vor mir gelehnt und schaute verträumt an die Decke. Verträumt ist vielleicht nicht das richtige Wort, ich ließ einfach meine Gedanken schweifen. Vor fünf Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich so etwas mal erleben würde. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wie mein Leben zum jetzigen Zeitpunkt aussehen würde. Damals bekamen all meine Klassenkameradinnen ihre ersten festen Freunde, während ich mit Anna auf dem Schulhof in der Ecke herumstand und abgeklärt über all die Tussen urteilte. Zu der Zeit konnte ich noch nicht ahnen, wann ich meine erste Erfahrung mit der Liebe haben würde und dass sie so eine Enttäuschung werden würde. Aurélie hatten wir damals erst kennengelernt, kaum zu glauben, dass wir jetzt mit ihr befreundet waren. Wir hatten sie da für genauso ein blödes Huhn gehalten wie die anderen Mädchen aus unserer Klasse. Erst später hatten wir festgestellt, dass sie doch schwer in Ordnung war. Vor fünf Jahren hatte Lea in einer schweren spätpubertären Krise gesteckt und jeden Tag mit Auszug von zu Hause gedroht. Und was war? Ich zog eher aus als sie. Ich hätte vor fünf Jahren auch nie gedacht, dass Lea jetzt schwanger werden würde. So früh? Nie im Leben. Die Leute bekamen doch immer später Kinder.

Mitten in meine Gedanken hinein klingelte mein Handy. Ich zuckte zusammen, hatte nicht mitbekommen, wie spät es war und ob die Vorlesung schon angefangen hatte. Gott sei Dank noch nicht. Mein Handy meldete eine SMS von – Lea. Wieso schrieb sie mir eine SMS? Hätte sie nicht einfach zu meinem Hörsaal rübergehen können? Ach ja, stimmte ja, heute hatte sie ja nur Vorlesungen auf einem anderen Campus. Wäre vermutlich etwas zu viel, mal eben acht Kilometer hin und zurück zu rennen.

Hast du heute Abend Zeit? Ich muss etwas ganz Wichtiges mit dir besprechen!, schrieb sie. Ich wurde schlagartig aufgeregter. Was konnte dieses Wichtige sein, über dass sie mit mir reden wollte? Hatte es etwas mit ihrem Baby zu tun?

Wie wäre es mit heute Abend um acht? Bring Aurélie und Anna mit!

Ich war mir total unklar darüber, was Lea mit uns besprechen wollte. Konnte es mit ihrem Baby zu tun haben, wenn die beiden dabei sein durften? Warum nicht? Aurélie und Anna waren doch schließlich auch ihre Freundinnen. Ich simste hin und her mit Anna, die einen Raum über mir saß, soweit ich wusste, Aurélie, die heute erst um elf Uhr in der Uni sein musste, und meiner Schwester. Schließlich hatten wir uns auf halb neun – Anna konnte nicht früher – in der WG geeinigt, aber abschließen konnte ich mit dem Thema noch lange nicht. Falls ich vorher nur leicht verträumt war, so war ich jetzt stark abgelenkt und spielte in meinem Kopf unendlich viele Szenarien von dem durch, was ich an diesem Abend erleben würde.

Wieso erwartete mich von einem Moment auf den anderen wieder so etwas Schwerwiegendes? Furchtbar war das! Am laufenden Band passierten in meinem Leben auf wenige Tage komprimiert so furchtbar viele Dinge. Inzwischen ging ich fest davon aus, dass Lea uns dreien mitteilen wollte, ob sie das Baby behalten wollte oder nicht. Doch warum sollte sie diese Entscheidung so schnell fällen? Sie hatte doch erst vor kurzem festgestellt, dass sie schwanger war.

In raschen Rückblenden zog dieser Tag an meinem inneren Auge vorbei. Gero und ich im rasenden Krankenwagen, Lea bleich und ohnmächtig vom Schock auf der Liege, an Maschinen angeschlossen, Wiederbelebungsversuche. Gero und ich total aufgeregt vor lauter Panik und schließlich der Arzt, der uns auf seine verschwurbelte Art mitteilte, dass Lea im dritten Monat schwanger sei.

Im dritten Monat…

Wollte sie etwa abtreiben? Wenn ja, dann würde sie es bald tun müssen, rechnete ich aus. Ich konnte es mir irgendwie nicht vorstellen. Vielleicht wollte ich es mir auch einfach nicht vorstellen. Natürlich kam das Baby einfach zum total falschen Zeitpunkt. Die beiden steckten mitten im Lehramtsstudium und wollten nächstes Jahr den ersten Abschluss machen. Geld hatten sie auch kaum, unabhängig waren sie nicht wirklich. Und trotzdem war da in mir irgendwo ein kleiner Kern, der sich wünschte, dass sie ihr Kind trotzdem haben wollten.

„Sag mal, wieso bist du eigentlich so unaufmerksam?“, sprach mich das nervige blonde Mädel aus meiner Arbeitsgruppe an, nachdem ich mich halb nervös, halb wahnsinnig durch den Tag geschleppt hatte. „In den letzten paar Tagen hast du doch so gut mitgearbeitet.“

Sie klang wie Frau Heidemayer, die Lehrerin, die mir die gesamte Kursstufe zur Hölle gemacht hatte. „Wahrscheinlich geht das in deinen Kopf nicht rein, aber es gibt Menschen, die so etwas wie ernsthafte Probleme haben! Dass man da nicht aufpasst, ist vielleicht verständlich!“, fuhr ich sie an. Sie wich zurück. „Tschuldigung, kann ich doch nicht wissen! Wieso sagst du denn nichts?“

„Weil es niemanden etwas angeht!“

Ich versuchte, mich für den Rest der Sitzung zusammenzureißen, was mir nicht richtig gelang.

Dementsprechend nervös kam ich um kurz nach halb neun an der WG meiner guten Freundinnen Anna und Aurélie an. Allein. Lea wollte aus irgendwelchen Gründen getrennt von mir anreisen. War das überhaupt das richtige Wort? Was wusste ich denn?

Bevor ich ins Treppenhaus ging, atmete ich tief durch. Bei meiner Ankunft saßen alle bereits im Wohnzimmer. Die Glieder peinlich ordentlich sortiert. So, wie wir früher immer am Esstisch sitzen sollten, woran wir uns natürlich nie gehalten hatten. Gero war ebenfalls anwesend.

Eine Zeit lang saßen alle nur da und sagten kein Wort. Irgendwann räusperte sich Lea und setzte an: „Na ja, ich hab euch heute alle versammelt, weil Gero und ich mit euch reden müssen…“

„Ja, es geht um etwas sehr Wichtiges…“, fuhr Gero fort.

Nun gut, das wussten wir ja schon. „Worum geht es denn?“, fragte ich ungeduldig.

„Es geht um etwas, das unser ganzes Leben verändern wird. Na ja“ – Gero korrigierte sich – „eigentlich hat es unser Leben schon verändert.“ Lea nickte.

Also ging es um das Baby. Mein Herz klopfte noch schneller, wenn das überhaupt noch möglich war. Jetzt würde sich alles entscheiden.

„Anna, Aurélie, ihr habt es sicher schon mitbekommen – ich bin schwanger“, sprach Lea aus. Die Angesprochenen nickten. „Am Anfang war ich total verzweifelt.“

„Wir beide“, warf Gero ein.

„Ja, klar. Ich meine, wir beide sind erst 22 und jetzt hat es uns so überrascht.“ Lea seufzte. „Was soll man in so einer Situation schon machen? Es kam wirklich aus heiterem Himmel.“

„Also, eins habe ich noch nicht verstanden“, sagte Aurélie, „warum ist euch das eigentlich passiert? Habt ihr nicht verhütet oder wie?“

„Doch, ich habe die Pille genommen“, erklärte Lea, „aber sie hat nicht gewirkt. Wahrscheinlich habe ich sie nicht vertragen. Jedenfalls habe ich das nicht gewusst und deswegen hab ich das ja auch erst so spät gemerkt. Ich bin schon im dritten Monat!“

„Im dritten Monat?“, echote Aurélie erstaunt.

„Ja, und deswegen hab ich mich auch ganz schnell entscheiden müssen.“ Lea räusperte sich. „Willst du es ihnen sagen oder soll ich?“ Sie sah Gero an.

Ich versuchte, in ihren Gesichtern zu lesen. Neutral waren sie, ohne jedes Indiz für das, was gleich kommen würde. So sehr ich mich anstrengte, ich konnte kein Zeichen erkennen.

Im Zimmer war es so leise, dass man einer Feder beim Auf-den-Boden-Fallen hätte zuhören können. Keiner sagte ein Wort.

„Na ja… wie soll ich sagen“, ergriff Gero schließlich das Wort. Schlagartig zogen sich seine Mundwinkel nach oben, und bevor ich das irgendwie deuten konnte, rief er: „Wir wollen das Baby bekommen! Ich werde Vater!“

Wir brachen in Jubel aus. Lea und Gero umarmten sich, ich stürmte vor Freude allen Personen im Raum nacheinander in den Arm und konnte es vor Glück gar nicht fassen: „Du wirst Vater, das heißt, du wirst Mutter, das heißt, ich werde Tante! Super!“

Eilig langte Gero hinter die Sofaecke, um fünf Gläser und eine Flasche Sekt hervorzuholen. Alkoholfrei, damit Lea auch etwas davon trinken konnte. Wir stießen an:

„Auf das Baby!“

„Auf die werdenden Eltern!“

Wo ist die Liebe hin?, Teil 5

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Zu Hause war ich fix und fertig. Der auf sechs Tage komprimierte Prüfungsstress hatte mich richtig fertig gemacht, dazu kam noch der familiäre Terror, und nun hatte sich auch noch herausgestellt, dass Freddy tatsächlich in Aurélie verliebt war, was ohne Zweifel noch einen Haufen Probleme nach sich zog.

Als ich im Flur stand und die Schuhe abstreifte, hörte ich aus Leas Zimmer laute Musik. Sie hörte gerade die Beatsteaks.

I got a whole bag of trouble to be taken away…

„Die haben ja so Recht“, murmelte ich.

„Mit wem redest du gerade?“, fragte mich Paul, der mit seinem Lieblingsball durch den Flur tollte. „Paul, du sollst nicht mit deinem Ball auf dem Flur spielen, das weißt du ganz genau!“, rief meine Mutter gereizt aus der Küche. Nanu, war sie schon aus der Praxis zurück?

„Ich hab mit niemandem geredet“, behauptete ich und ging Richtung mein Zimmer. Unterwegs ging ich an Leas Zimmer vorbei. Die Musik war unverändert laut, doch jetzt stratzte meine Oma vorbei und versuchte, gegen den Lärm anzukommen: „Mach deine Kapelle leiser, du bist hier nicht alleine!“

Na toll. Die Atmosphäre hatte sich nicht entspannt, seit ich mich mit Anna zur Bushaltestelle aufgemacht hatte. Ich setzte meinen MP3-Player auf und drehte ihn auf volle Lautstärke, um mich abzuschotten.

Es ist ja häufig so, dass die Zufallsreihenfolge des MP3-Players einen zu ärgern scheint. Jedenfalls war das Lied, mit dem der Player startete, ausgerechnet „Wie es geht“ von den Ärzten. Bitte geh noch nicht, bleib noch ein bisschen hier, ich muss dir noch was sagen, nur die Worte fehlen mir… Ich schaltete weiter.

Doch es war wie verhext: Ich bekam nur noch Lieder, die haargenau auf meine Umwelt passten. Als es schließlich hieß: Junge, warum hast du nichts gelernt?, riss mein Geduldsfaden. Natürlich hätte ich auch einfach ein Lied auswählen können, aber dazu hatte ich schon gar keine Lust mehr.

Stattdessen pflanzte ich mich vor den Fernseher. Ich blieb auf Kanal sieben hängen, wo gerade über eine Sechzehnjährige berichtet wurde, dessen kleinkrimineller Freund ihr gerade einen Heiratsantrag gemacht hatte. Im Wechsel mit dieser Tussi wurde über eine Fünfzehnjährige berichtet, die unbedingt Go-go-Girl werden wollte in einem Club, in den sie noch nicht hereindurfte, und die sich deswegen mit ihrer Mutter zoffte.

Plötzlich tauchte meine Mutter in der Sendung auf und fauchte die Oma der Sechzehnjährigen, die meiner Oma verdammt ähnlich sah, an, dass sie an allem schuld sei, weil die Sechzehnjährige dadurch, dass die Oma so ein Ekel war, erst dazu getrieben wurde. Die Oma wehrte sich und hielt dagegen, dass die Mutter ihre Pflichten vernachlässigt hätte.

Ich wachte auf. Was zum…? Was war denn jetzt los?

Ich starrte konsterniert auf den Fernseher. Nichts mehr von außer Kontrolle geratenen Teenagern namens Mandy, Robin und Alina. Dafür verkündete nun eine Blondine die neuesten Nachrichten. Doch die streitenden Stimmen waren immer noch zu hören.

Na super. Meine Mutter und meine Oma zofften sich schon wieder. Kriegten die sich denn nie ein?

Ich versuchte, mich diesmal unbeeindruckt zu geben, und kochte, während der Streit in der Küche weiterging, das Abendessen. Mama hatte es bereits begonnen, aber anstatt es zu Ende zu führen, stritt sie sich lieber mit Oma.

Während des Essens hatten sie sich, Gott sei Dank, beruhigt.

Aber Mama hatte einige Beschwerden loszuwerden.

„Lea, bitte dreh deine Musik nicht immer so laut. Du bist nicht alleine in diesem Haus.“

„Ist ja schon gut. Wieso bist du heute eigentlich früher aus der Praxis zurückgekommen?“

„Darf ich das nicht? Ich dachte, ich mach euch eine Freude damit, wenn ich mal früher komme und mich ein wenig um den Haushalt kümmere.“

„Hat ja super geklappt“, brummte Oma.

„Elisabeth!“, hieß es von Papa und Mama gleichzeitig.

Nun probierte Paul zum ersten Mal von dem Essen, das zu einem großen Teil ich zubereitet hatte. Natürlich schmeckte es ihm nicht.

„Ich hätte mich auch nicht an den Herd wagen müssen, wenn Mama es vorgezogen hätte, das Essen zu machen, anstatt sich mal wieder mit Oma zu streiten“, rief ich.

„Sara! Bitte nicht in diesem Ton!“, wurde ich von meinem Vater zurechtgewiesen. Doch auch ohne seine Äußerung merkte ich schnell, dass ich da etwas gesagt hatte, was ich besser nicht gesagt hätte.

„Man kann es euch einfach nicht recht machen“, regte sich Mama auf und schmiss ihr Besteck auf den Teller. „Da will ich mal extra früher nach Hause kommen, um euch ein schönes Essen zu kochen, und dann ist es euch auch wieder nicht recht. Was wollt ihr eigentlich?“

„Dass du aufhörst, dich mit Oma zu streiten. Das geht uns nämlich mittlerweile allen auf die Nerven“, sprach Lea aus, was auch ich dachte.

„Du sei mal ganz ruhig“, keifte Oma. „Du kümmerst dich doch hier um nichts. Obwohl du nie in der Uni bist, sondern immer zu Hause herumhängst.“

„Das stimmt nicht“, machte Lea ihrem Ärger lautstark Luft. „Ich mache alles, was mir aufgetragen wird. Sogar Paul musste ich heute von der Schule abholen, weil du es mal wieder vergessen hast. Der Kleine sah ja ganz verzweifelt aus.“

„Wie bitte?“, rief Mama schockiert und gleichzeitig hieß es von Oma: „So wird es also respektiert, was ich hier mache. In Wahrheit halte ich doch den ganzen Laden zusammen!“

„So ein Blödsinn!“, fauchte Lea.

„RUHE!“, brüllte Mama plötzlich. In Großbuchstaben. Egal, was wir vorher gemacht hatten, jetzt waren alle still. Und erschrocken bis ins Mark.

„Es funktioniert so nicht. So funktioniert es einfach nicht! Und wisst ihr was? Ich pfeif drauf!“

Mama stürmte in den Flur, zog sich Schuhe und Mantel an. „Ich gehe zu Gitte.“ Das war ihre Praxiskollegin.

„Monika!“ Auf einmal machte Papa den Mund auf. „Monika, bleib doch…“

„Nein. Nein, Martin, das kann ich nicht. Ich habe keine Lust, mich weiter mit deiner Mutter zu streiten, wer hier was falsch macht. Wenn ihr euch beruhigt habt, bin ich wieder zurück. Tschüss.“

Und weg war sie.

Einige Sekunden lang wusste keiner von uns etwas zu sagen. Dann rief Lea: „Ganz toll. Das habt ihr ja mal wieder ganz toll hingekriegt. Ich glaube, ich ziehe lieber aus, bevor ich euch noch weiter ertragen muss.“ Sprach’s und verzog sich in ihr Zimmer.

„Das versuch mal“, antwortete Papa noch, aber das hörte sie schon nicht mehr.

 

Auch ich hatte von allem genug. Und wie immer, wenn mir zu Hause die Decke auf den Kopf fiel bzw. auf den Kopf geschmissen wurde, machte ich einen Spaziergang. Ich wollte meinen Kopf freimachen, aber es ging nicht gut. Da hatten meine Freunde und meine Familie ganze Arbeit geleistet.

Ich lief ziellos durch die Stadt. Auf meinem Streifzug kam ich an einem Haus mit einem Schild vorbei. Neugierig las ich das Schild.

Wohnung zu vermieten und eine Telefonnummer las ich darauf. Ich begutachtete das Haus. Es sah gar nicht mal schlecht aus.

Hier konnte Lea ja einziehen.

Ich ging schnell weiter.

Irgendwann landete ich am Hauptbahnhof. Wie, so weit war ich gelaufen? Jetzt merkte ich erst, wie weh meine Füße taten.

Da erblickte ich eine Filiale der Kette mit dem geschwungenen M. Warum eigentlich nicht, dachte ich und ging herein. Ich bekam sogar noch einen Sitzplatz.

Missmutig stocherte ich im Gartensalat herum, eine der wenigen vegetarischen Sachen, die man hier kriegen konnte. Wie konnte man die Probleme zu Hause nur lösen? Ständig lagen sie sich in den Haaren. Immer ging es um dasselbe. Kein Ende in Sicht.

Mir fiel ein Aushang ins Auge. Aushilfe auf 400-Euro-Basis gesucht.

Wie oft hatte ich zu hören bekommen, dass ich mir einen Job suchen sollte, um meinen Eltern nicht auf der Tasche zu liegen, wenn ich studierte?

Es war ziemlich laut hier, aber ich bekam trotzdem mit, wie sich drei Typen hinter mir über ihre Band unterhielten.

„Meine Güte, wenn wir nicht bald eine Location finden, sind wir aufgeschmissen“, meinte einer.

„Ja, genau. Blöd, dass um die Zeit immer tote Hose ist.“

„Wenn wir doch nur eine Auftrittsmöglichkeit hätten. Ich muss irgendwann mal meine Miete für diesen Monat bezahlen. Ich würde ja fast überall spielen…“

Und da hatte ich zwei super Ideen. Mit einem Mal ging mir ein Licht auf, das so grell war, dass es schon fast schmerzte.

Ich drehte mich zu den Typen hinter mir um und quatschte ein bisschen mit ihnen. Dann lief ich zurück zur Straße, wo eine Wohnung zu vermieten war, und speicherte die Telefonnummer in mein Handy.